Schock an der Kasse bleibt

Inflation Die Rohstoffpreise für Milch, Zucker und Kartoffeln sinken, und trotzdem sind die Preise im Supermarkt hoch oder steigen sogar. Treiben die Ketten ihre Gewinne in die Höhe?

Mehl, Fleisch und Zucker laufen über das Band. Die Supermarktkasse piepst und die Einkaufstasche ist wie jede Woche gleich gefüllt. Nur die Summe auf dem Kassenzettel ist wieder gestiegen. Discounter wie Lidl, Aldi oder Rewe haben im Laufe des Jahres große Preissenkungen angekündigt. Auch die Inflationsrate bewegt sich wieder im normalen Rahmen. Im Geldbeutel der Verbraucher scheint das jedoch nicht anzukommen.

Der Schein trügt nicht, meint die Europäische Zentralbank (EZB) und hat deswegen einen genauen Blick auf die Entwicklung der Lebensmittelpreise geworfen. Auch Handelsexperten gehen von einem weiteren Preisanstieg aus.

Für gewöhnlich arbeitet die EZB mit einem Preisindex, den das Statistische Bundesamt ermittelt. Der Index zeigt, wie viel ein durchschnittlicher Haushalt für eine feste Auswahl an Waren und Dienstleistungen wie Brot, Transport, Energie oder Urlaub ausgibt. Eine Art Einkaufskorb mit den wichtigsten Gütern. Steigen in diesem Warenkorb die Preise, steigt die Inflationsrate. Die Ausgaben für Lebensmittel nehmen laut der EZB aber eine Sonderrolle ein. Denn sie haben europaweit einen Anteil von 20 Prozent am gesamten Warenkorb. Das sei doppelt so hoch wie die Ausgaben für Energie. In ihrem Bericht trennt die EZB deshalb die Entwicklung der Lebensmittelpreise von der Entwicklung aller anderen Preise und kommt zu einem klaren Ergebnis: Es handelt sich um einen längerfristigen Trend. Im Vergleich zu anderen Produkten steigen seit 2022 die Preise für Lebensmittel deutlich stärker. Das zeigen auch Zahlen des Statistischen Bundesamts: Nahrungsmittel sind in Deutschland seit 2020 um 37 Prozent teurer geworden, während der allgemeine Preisanstieg bei 23 Prozent lag. Auch der Branchenexperte Patrick Höppner vom ifo-Institut in München geht davon aus, dass die Preise für Lebensmittel weiter anziehen. Denn besonders die Unternehmen, die Lebensmittel verkaufen, rechnen mit steigenden Preisen.

Wie passt das zusammen mit den zuletzt gesunkenen Butterpreisen? Wenn man sich die Preisentwicklung einzelner Produkte anschaue, ist es durchaus möglich, dass der Preis aktuell sinke, sagt Höppner. Demgegenüber stehen dann Produkte, die teurer geworden sind. Laut dem Statistischen Bundesamt ist der Preis für Rindfleisch innerhalb eines Jahres um 13 Prozent gestiegen. Der Preis für Zucker ist hingegen um 29 Prozent gesunken. In der Gesamtschau bleiben die Preise so auf einem hohen Niveau.

Gründe für den weiteren Anstieg von Lebensmittelpreisen seien nach wie vor die hohen Energiekosten und gestiegene Löhne. In den letzten Jahren sind auch die Preise für Lebensmittelverpackungen spürbar angestiegen, sagt Höppner. Laut dem EZB-Bericht steige auch die weltweite Nachfrage nach Agrarrohstoffen, da auch in Ländern des Globalen Südens die Nachfrage steigt. Der Bauernverband nennt als weiteren Grund den Einfluss des Klimawandels und verweist auf eine Studie der Weltbank, nach der unerwartete Wetterereignisse wie lange Hitzeperioden einen direkten Einfluss auf die globalen Nahrungsmittelpreise haben.

Anders sieht das Armin Valet von der Verbraucherzentrale Hamburg. Bei den Rohstoffen gebe es keinen großen Druck und auch die Energiekosten gingen zurück. Die Preise bei den Bauern für Zucker, Milch, Kartoffeln und Weizen sänken. Nur in den Supermärkten schrumpften die Preise nicht. Valet geht davon aus, dass die Anbieter die Stimmung nutzen, um ihre Gewinne zu maximieren. „Wir haben teilweise eine Gierflation und nicht nur eine Inflation.“

Es herrscht „Gierflation“

Auch die Monopolkommission, ein unabhängiges Beratungsgremium der Bundesregierung, geht in ihrem diesjährigen Hauptgutachten der These der „Gierflation“ nach. So gebe es Hinweise, dass der Einzelhandel seine Kosten senkt, Druck auf die Lebensmittelproduktion ausübt und die Ersparnis nicht an die Kunden weitergibt. Ein Grund sei ein fehlender oder schwacher Wettbewerb zwischen den Supermarktketten. Da der Weg der Lebensmittel vom Feld bis zum Supermarkt schwer zu überblicken sei, ist der Vorwurf jedoch nicht eindeutig nachweisbar.

Lebensmittel durchlaufen zahlreiche Stationen, bevor sie beim Kunden ankommen, erklärt Philipp Hennerkes. Laut dem Geschäftsführer des Bundesverbands des Deutschen Lebensmittelhandels gebe es entlang der Wertschöpfungskette vielfältige Punkte, die sich auf den Preis auswirken. Das können der Transport, die Verarbeitung, die Verpackung oder der Vertrieb sein. Die Kosten seien nicht immer sofort ersichtlich oder würden teils verzögert aufkommen. In der Kalkulation der Preise sind sie jedoch von vornherein mitgedacht. Sich ändernde Kosten, wie etwa ein sinkender Rohstoffpreis, bräuchten deswegen Zeit, bis sie auf dem Kassenzettel der Kunden ankommen.

Lücken im Strafgesetzbuch

Recht Die Leipziger Staatsanwaltschaft hat ein Verfahren eingestellt, bei dem ein Mann heimlich nackte Frauen in einer öffentlichen Sauna gefilmt hat – weil er sich nicht strafbar gemacht hat.

Ein Mann setzt sich in einer Sauna neben zwei junge Frauen – und die bemerken sehr schnell, dass er kurz zuvor ein Handy so positioniert hat, dass es die Szene einfängt. Sie stellen ihn zur Rede, irgendwann kommt die Polizei hinzu. Es stellt sich heraus, der Mann hat nicht zum ersten Mal heimlich nackte Frauen in der Sauna aufgenommen – trotz Handyverbots. Doch wenige Wochen später stellt die Leipziger Staatsanwaltschaft das Verfahren ein, weil ein hinreichender Tatverdacht fehle, wie zuerst die „Taz“ berichtete.

Die Erklärung, so fassungslos sie einen zurücklassen mag, ist simpel: Die öffentliche Sauna gilt nicht als besonders schützenswerter Raum, in dem heimliches Filmen oder Fotografieren nach Paragraf 201a Strafgesetzbuch verboten ist.

„Die öffentliche Sauna ist es nicht, aber regelmäßig gilt der Raum, der sich als letzter persönlicher Rückzugsbereich abschirmen lässt, als besonders schützenswert“, erklärt die Tübinger Strafrechtlerin Jennifer Grafe. Teilweise gebe es sogar Überlegungen, einen Garten, der von einer Hecke umgeben ist, als einen solchen höchstpersönlichen Bereich einzuordnen. „Bei einer Umkleidekabine kommt es auf die konkrete Gestaltung an, aber Einzelräume, die sich abschließen lassen, dürften als besonders schützenswert gelten, genauso wie Toiletten.“

Reform im Jahr 2021

Dass der Ausschluss einer Sauna Unbehagen auslöse, könne sie gut nachvollziehen, sagt Grafe. „Das Problem ist die aktuelle Gesetzesformulierung. Das Strafgesetzbuch beschäftigt sich außer bei Straftaten im pornografischen Bereich nicht mit dem Thema Nacktfotografie – es ist leicht antiquiert in einer Zeit, in der alle permanent ein Handy in der Hand haben. Es braucht eigentlich neue Regelungen für neue Probleme“, so die Expertin für Sexualstrafrecht. Aber: „Schon das Beispiel Upskirting und Downblousing hat gezeigt, dass mit dem Paragrafen 184k Teilbereiche geregelt werden und gleichzeitig neue Regelungslücken entstanden sind.“ Zu Recht könnte man hinterfragen, warum das eine moralisch verwerfliche Vergehen, das Fotografieren unter einen Rock oder in den Ausschnitt, geahndet wird, und das andere nicht.

Unter den Rock filmen oder in den Ausschnitt ist seit einer Strafrechtsreform 2021 strafbar, es drohen Geld- und Freiheitsstrafen – allerdings nur bei Aufnahmen „von den Genitalien, dem Gesäß, der weiblichen Brust oder der diese Körperteile bedeckenden Unterwäsche“. Dass der Paragraf laut einiger Experten zu kurz greift, hatte der Fall der Joggerin Yanni Gentsch gezeigt, die einen Mann, der ihren Po beim Laufen heimlich filmte, vor laufender Kamera zur Rede stellte. Anzeigen konnte sie ihn nicht, weil das Filmen des bedeckten Körperteils nicht strafbar ist. Gentsch startete eine Petition, um heimliches, sexuell motiviertes Filmen strafbar zu machen.

Auch wenn eine Reform sehr schwierig sei, unmöglich ist sie nicht, so Grafe. „Regelungen für bestimmte Räume zu schaffen, das geht nicht. Eine Norm muss ortsunbezogen funktionieren. Entscheidend ist nicht das Wo, sondern das Warum“, sagt sie. „Gleichzeitig braucht es im Strafrecht objektive Kriterien – wenn auf die Motivation abgestellt wird, wird eine Verfolgung sehr schwierig.“

Bedenken einiger Kritiker, dass bei zu starren Regelungen hinsichtlich des Einverständnisses die Kunstfreiheit eingeschränkt werde, hat sie nicht. „Im Urheberrecht unterscheiden wir zwischen einem Foto, das von einer Einzelperson gemacht wird oder von einer großen Menge. Für das eine braucht es das Einverständnis, für das andere meistens nicht. Aber wenn es um Nacktheit geht, da sehe ich keine Gefahr, dass die Kunstfreiheit eingeschränkt wird. Gerade bei Aufnahmen von nackten Menschen muss es mit einem Einverständnis laufen – ansonsten gehört es verboten“, sagt Grafe. Auch könnte man davon ausgehen, dass beispielsweise ein heimlich aufgenommenes Bild eines Gesäßes oder einer Brust – ob nackt oder bedeckt – weniger vom künstlerischen Interesse motiviert wurde.

Dass sich die Bundesregierung vorgenommen hat, Regelungslücken bei bildbasierter Gewalt zu schließen, findet die Juristin gut. „Entscheidend ist, dass nicht wieder nur mit Teilregelungen nachgesteuert wird“, betont Grafe.

Kommentar

Er denkt nur an sich

Von Tomahawk-Raketen ist keine Rede mehr, stattdessen stehen wieder Gebietsabtretungen an Russland im Raum. Das Pendel von US-Präsident Donald Trump schlägt – nach einem Telefonat mit Putin – mal wieder gen Moskau.

Die Ausgangslagen könnten unterschiedlicher kaum sein: Die EU berät darüber, wie und ob man eingefrorenes russisches Vermögen zur Unterstützung der Ukraine nutzen sollte und beschließt ein schrittweises Verbot russischer Gasimporte in die EU. Währenddessen bereitet der US-Präsident Zugeständnisse an Putin im Ukraine-Krieg vor. Das Verhaltens-Pendel des Donald Trump schwingt erneut Richtung Moskau. Und wieder einmal festigt er damit den Eindruck, dass er immer der Person folgt, mit der er zuletzt gesprochen hat.

Denn laut Trump hätten die Russen in der Ukraine gekämpft und gewisses „Eigentum“ gewonnen, sagte er in einem Interview mit Fox News – das unmittelbar im Anschluss mit seinem Telefonat mit Präsident Wladimir Putin und vor dem Treffen mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj aufgezeichnet wurde. Statt einer Verurteilung des Angriffskrieges, des Bruchs von internationalem Recht also das Signal an Putin für Gebietsabtretungen.

Ganz anders die Tage davor: Da hatte Trump deutlich ernstere und mahnendere Worte Richtung Moskau verloren, hatte sogar die Lieferung von Tomahawk-Raketen in Aussicht gestellt und war sichtlich sauer, dass Putin nach dem Alaska-Gipfel gar nicht von seinem täglichen Beschuss der Ukraine abließ. Von den Raketen, geschweige denn Aufforderungen gen Moskau, die Bombardierung von Zivilbevölkerung, Energieinfrastruktur und Zügen sofort zu unterlassen, hört man jetzt nichts mehr.

Schon die Friedensplan-Unterzeichnung für den Gaza-Krieg zeigte vergangene Woche, dass es Trump vor allem um eins geht: seinen großen Moment im Scheinwerferlicht. Dass es für einen Frieden mehr braucht als Händeschütteln und eine Unterschrift mit schwarzem Filzstift, zeigt sich dieser Tage. Doch mit den Details, den eigentlichen Schritte hin zu einem stabilen Frieden, damit will sich Trump nicht aufhalten. Da nimmt er sogar in Kauf, dass die Hamas, ausgerechnet diese Terrorbande, in Gaza patrouilliert und Zivilisten exekutiert.

Trump bewegt sich lieber gleich zum nächsten Schauplatz, er muss für seine Liste sammeln, um sich mit angeblich durch ihn gelösten Konflikten in die Geschichtsbücher zu schreiben.

Für die Ukraine kann das nichts Gutes heißen. Schon jetzt sind die gefürchteten Gebietsabtretungen dank Trump wieder auf dem Tisch. In Budapest könnte Trump diesen Deal klarmachen – über die Köpfe der Ukrainer hinweg. Dass er gemeinsam mit dessen letztem Verbündeten in Europa, mit Viktor Orbán, den Kriegsverbrecher Putin auf EU-Boden einlädt, ist alleine schon ein Affront. Doch für die Ukraine ist es ein besonderer Schlag ins Gesicht: Genau an dieser Stelle gab die Ukraine 1994 im Vertrauen auf Schutz und Unterstützung durch die USA, Großbritannien und Russland (!) ihre Atomwaffen aus Sowjetzeiten ab. Wie gut die Sicherheitsgarantien aus dem Budapester Memorandum funktioniert haben, zeigte sich spätestens 2014 mit der Annexion der Krim und dem Beginn des Kriegs in der Ostukraine. Man kann nur hoffen, dass nicht erneut in der ungarischen Hauptstadt das ukrainische Schicksal besiegelt wird.

leitartikel@swp.de

Kommentar

Rausch auf Rezept

Gesundheitsministerin Nina Warken will sehr streng gegen die Online-Cannabis-Apotheken vorgehen. Doch ihr Gesetz würde wenig bringen. Wirklich gegen Missbrauch helfen würde eine andere Maßnahme.

Man muss mit Blick auf die Zahlen skeptisch werden: Deutschland hat 2024 mehr als doppelt so viel Cannabis „für medizinische und wissenschaftliche Zwecke“ importiert wie noch 2023 – also vor der Teil-Legalisierung. Dass die knapp 40 Tonnen zusätzlich nur durch neue Patienten zustande kommen, besteht keinen Plausibilitätstest. Kiffer nutzen die Apotheken, um an ihren – nun nicht mehr illegalen – Stoff zu kommen.

Überraschen sollte das niemanden, bietet das Lauterbach-Gesetz doch all jenen, die nicht selbst anbauen, keine praktikable Bezugsquelle. Der Drogenbeauftragte Hendrik Streeck (CDU) spricht nun mit Blick auf das Geschäftsmodell der Cannabis-Apotheken von „Dealern in weißen Kitteln“. Das kann man so sehen. Nur: den Missbrauch sinnvoll zu verhindern, ist kompliziert. Auch dem sehr strengen Gesetz von Gesundheitsministerin Nina Warken (CDU) würde das schon aus EU-rechtlichen Gründen nicht gelingen, denn Ärzte aus Kroatien oder Griechenland wären nicht daran gebunden.

Der Suchtforscher Jakob Manthey, der das Cannabis-Gesetz wissenschaftlich evaluiert, spricht davon, dass zwischen 10 und 30 Prozent derer, die medizinisches Cannabis konsumieren, tatsächlich Patienten sind. Im Einzelfall ist das schwer zu sagen, schließlich darf Cannabis schon bei Schlafstörungen verschrieben werden.

Der einfachste Weg, den Missbrauch des Gesundheitssystems zu verhindern, wäre einer, der CDU und CSU nicht schmeckt: Gäbe man den Kiffern Fachgeschäfte, in denen sie ihren Stoff kaufen könnten, würden sie die Apotheken links liegen lassen. Diese könnten sich dann auf die Kunden konzentrieren, die wirklich medizinische Hilfe benötigen.

Ärzte sehen Gefahr für Patienten durch Rezeptfreiheit

Gesundheit Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) will den Apotheken mehr Spielraum geben. Für die Mediziner geht das komplett in die falsche Richtung.

Für die Ärzteschaft ist die Sache klar: Die von Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) geplante Apothekenreform sei ein „gefährlicher Irrweg“, gar eine Bedrohung der Patientensicherheit, heißt es unisono etwa von Kassenärztlicher Bundesvereinigung, Bundesärztekammer oder Hausärzteverband. Dabei geht es vor allem um einen Punkt: Dass es unter bestimmten Umständen möglich sein soll, dass Apotheker verschreibungspflichtige Medikamente ohne Rezept abgeben.

Das steht im Gesetzentwurf, den Warken in die Ressortabstimmung gegeben hat. Demnach soll gelten: Wer es versäumt hat, sich rechtzeitig das Folgerezept für ein regelmäßig einzunehmendes Medikament zu besorgen, soll diese Arznei in der kleinsten Packungsgröße auch ohne Verschreibung in der Apotheke bekommen können. Voraussetzung: Man hat das Präparat bereits mindestens ein Jahr lang genommen, was in der elektronischen Patientenakte überprüft werden soll. Allerdings muss man als Patient die Arznei dann selbst bezahlen. Und einen Servicezuschlag für die Apotheke von bis zu fünf Euro berappen.

Mehr Honorar gefordert

Eigentlich rezeptpflichtige Medikamente ohne Rezept werden auch für „akute, unkomplizierte Formen bestimmter Erkrankungen“ erwogen. Worum es sich da handeln könnte, soll später in einer Rechtsverordnung stehen. Gedacht ist etwa an Antibiotika bei einer Blasenentzündung. Für Markus Beier, den Chef des Hausärzteverbandes, ist das eine Zumutung. Ob eine Erkrankung unkompliziert sei oder nicht, könne nur ein Arzt feststellen. Apotheker verfügten nicht über die Kompetenzen, um einschätzen zu können, „ob es sich beispielsweise um einen einfachen viralen Infekt oder eine Lungenentzündung handelt“.

Kritisch sehen die Mediziner auch die Idee, dass Apotheken häufiger impfen dürfen. Bisher sind nur Grippe- und Corona-Impfungen in Apotheken erlaubt. Nun sollen etwa Tetanus und FSME dazukommen. Das hält der Verband der Ersatzkassen jedoch für eine gute Idee. „Mit dieser Öffnung wird den Menschen ein weiterer Weg ermöglicht, wichtige Impfungen wahrzunehmen“, so Vorstand Boris von Maydell.

Aber auch die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände ist letztlich mit der Reform unzufrieden. Hier allerdings geht es um einen anderen Punkt: Im Koalitionsvertrag war in Aussicht gestellt worden, das Apothekenhonorar spürbar zu erhöhen. Nun ist nur noch von Verhandlungen zwischen Apothekerschaft und Krankenkassen über die Honorarhöhe die Rede. Für Präsident Thomas Preis wird dies „das Apothekensterben nicht stoppen, denn davon könnten die Apotheken erst nach einigen Jahren profitieren“. Das Honorar sei seit „13 Jahren eingefroren und die Kosten der Apothekenbetriebe sind im selben Zeitraum um mehr als 60 Prozent gestiegen“. Innerhalb von zehn Jahren sei so jede fünfte Apotheke verschwunden.

Neue Rechtsform als Lösung?

Unternehmen Bundesjustizministerin Stefanie Hubig (SPD) will die Gesellschaft mit gebundenem Vermögen (GmgV) einführen.

Berlin. Bundesjustizministerin Stefanie Hubig (SPD) hat angekündigt, eine neue Rechtsform für Unternehmen einzuführen – die Gesellschaft mit gebundenem Vermögen (GmgV). Die Kernidee der neuen Gesellschaftsform ist auf den ersten Blick überraschend: Erwirtschaftetes Kapital soll im Unternehmen verbleiben müssen. Unternehmer leiten ihre Firma, doch haben sie keinen Zugriff auf den Unternehmensgewinn und das in der Gesellschaft gebundene Vermögen. Man kann sagen, dass sie als Treuhänder fungieren. „Asset lock“ heißt das im Wirtschaftsdeutsch.

Das Projekt klingt neu, hat aber eine lange Vorgeschichte. Schon die Ampelregierung hatte sich die Reform vorgenommen. Um das Konzept funktionstüchtig zu machen, hatte sie eine Gruppe von sechs Hochschulprofessoren beauftragt, einen Gesetzesentwurf vorzulegen. Der aber traf dann auf Bedenken – vor allem beim damaligen Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP). An dem Entwurf gab es inzwischen mehrere Änderungen. Lange war ein Thema, ob das Modell innerhalb der etablierten Rechtsform der Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) machbar ist. Nun aber liegt das Konzept der neuen Rechtsform der Gesellschaft mit gebundenem Vermögen vor.

Aber gibt es überhaupt eine Nachfrage dafür? Der Motor der Idee ist die „Stiftung Verantwortungsvermögen“. Ihr Sprecher Christoph Bietz nennt zwei Personenkreise, für die die neue Idee interessant sein könnte: „zum einen für die vielen mittelständischen Familienunternehmen, die in ihrer Familie keine Nachfolger finden und denen dann nichts anderes übrig bleibt, als das Unternehmen zu schließen oder zu verkaufen, mitsamt seinen Mitarbeitern, Kunden und Traditionen.“ Die Gesellschaft mit gebundenem Vermögen biete ihnen nun als eine weitere Option „die treuhänderische Weitergabe an Menschen, die sich für den Job eignen.“ Zweitens sei die GmgV interessant „für werteorientierte Start-ups und Sozialunternehmen, denen es darum geht, dass dauerhaft und verbindlich ihre Mission und Aufgabe im Zentrum steht und nicht das Interesse an schnellen persönlichen Gewinnen.“ Die Stiftung schätzt, dass bis zu 100.000 Unternehmen die neue Rechtsform nutzen werden.

Unumstritten ist die Idee nicht. Rainer Kirchdörfer, Vorstand der Stiftung Familienunternehmen und Politik, sagte dieser Zeitung: „Und wieder einmal treibt die Politik eine Sau durchs Dorf, die keine wirklichen Probleme löst, aber in den nächsten Jahren die Steuergerichte zu beschäftigen verspricht.“ Seine Einschätzung: „Im besten Fall ist die Gesellschaft mit gebundenem Vermögen schlichtweg überflüssig, im schlechtesten Fall beschäftigt sie über Jahre den Gesetzgeber und die Gerichte.“

Noch hat die Ministerin keine Eckpunkte vorgelegt. Im Ministerium arbeite man „unter Hochdruck“ an einem Vorschlag, erklärte eine Sprecherin in der Bundespressekonferenz.

Neun Quadratmeter für den Ex-Präsidenten

Frankreich Als erster ehemaliger Staatschef des Landes sitzt Nicolas Sarkozy (70) im Gefängnis.

Paris. Ein schwarzer Renault fuhr am Dienstagmorgen mit großer Polizeieskorte vor dem Pariser Gefängnis Santé vor. Darin saß Nicolas Sarkozy, der berühmteste Häftling Frankreichs. Schwer bewaffnete Polizisten schirmten den 70-Jährigen streng ab. Denn Sarkozy ist der erste ehemalige Staatschef, der eine Haftstrafe antreten muss.

Auf dem Weg ins Gefängnis veröffentlichte Sarkozy in den sozialen Netzwerken eine Nachricht an seine Landsleute: „Ich möchte Ihnen mit meiner unerschütterlichen Kraft sagen, dass heute Morgen kein ehemaliger Präsident der Republik inhaftiert wird, sondern ein Unschuldiger“, schrieb er. Er werde gegen den „Justizskandal“ kämpfen. Ein Strafgericht hatte Sarkozy Ende September wegen illegaler Finanzierung seines Wahlkampfs 2007 aus Libyen zu fünf Jahren Haft verurteilt. „Ich bin nicht zu beklagen, denn meine Frau und meine Kinder sind an meiner Seite“, versicherte Sarkozy in seiner Mitteilung.

Der ehemalige Präsident, der bereits in einer Abhöraffäre verurteilt worden war, darf in Haft zweimal pro Woche seine Angehörigen sehen. Sarkozy sitzt in einer Einzelzelle im Isoliertrakt des Gefängnisses, auch Spaziergänge und Sport muss er alleine machen. So soll verhindert werden, dass Fotos des einst mächtigsten Mannes des Landes in Haft in Umlauf kommen.

Eine Sonderbehandlung bekommt der prominente Gefangene allerdings nicht. Seine Zelle ist wie die anderen rund neun Quadratmeter groß mit einem hoch oben angebrachten Fenster, einem Schreibtisch, einem Regal, einem Waschbecken, einer Dusche und einem Klo. Sarkozy hat auch ein Festnetztelefon mit mehreren vorab registrierten Nummern, die er so oft anrufen darf, wie er will. Er kann dabei allerdings abgehört werden. Nur die Gespräche mit seinen Anwälten sind geheim. „Ich habe keine Angst vor dem Gefängnis. Ich werde den Kopf hoch tragen“, versicherte Sarkozy am Sonntag in der „Tribune Dimanche“. Der Ex-Präsident will die Zeit nutzen, um ein Buch zu schreiben.

Emmanuel Macron empfing Sarkozy am Freitag im Elysée-Palast. Die Begegnung, die offenbar die Solidarität des Präsidenten zeigen sollte, sei „normal“, rechtfertigte sich Macron hinterher. „Es steht mir nicht zu, die Justizentscheidungen zu kommentieren oder zu kritisieren. Ich bin der Garant des guten Funktionierens der Institutionen, auch wenn ein ehemaliger Präsident betroffen ist“, sagte der Staatschef am Dienstag. Sarkozys Anwälte beantragten sofort nach Haftantritt die Freilassung. Das Berufungsgericht braucht in der Regel ein bis zwei Monate, um darüber zu entscheiden. Sarkozy könnte also an Weihnachten wieder zu Hause sein.

EU greift im Verkehr härter durch

Brüssel. Das Europaparlament hat endgültig neue EU-Führerscheinvorgaben auf den Weg gebracht. Unterhändler des Parlaments und der EU-Staaten hatten sich bereits auf die Vorgaben geeinigt, nun erfolgte der letzte formelle Schritt im Gesetzgebungsprozess. Die EU-Staaten haben drei Jahre für die Umsetzung in nationales Recht und ein weiteres Jahr für die Vorbereitung der Umsetzung.

Digitaler Führerschein Bis spätestens 2030 soll ein einheitlicher digitaler Führerschein eingeführt werden. „In Zukunft wird es in allen EU-Staaten einen digitalen Führerschein geben, der über das Smartphone abrufbar ist und in der gesamten EU gilt“, heißt es vonseiten des EU-Parlaments. Gleichzeitig behalten Bürger das Recht, eine physische Führerscheinkarte zu beantragen. Beide Versionen sind gleichwertig.

Grenzübergreifende Fahrverbote Bei massiven Verstößen gegen Verkehrsregeln in einem EU-Land kann ein Fahrverbot in der ganzen Europäischen Union drohen. Das soll sicherstellen, dass Verkehrssünder künftig in allen Mitgliedstaaten zur Verantwortung gezogen werden – unabhängig davon, wo sie den Führerschein erworben haben. Das gilt etwa für schwere Verkehrsverstöße wie Trunkenheit und Drogenkonsum im Straßenverkehr, tödliche Unfälle oder extremes Rasen. Nach geltendem Recht dürfen EU-Länder, die den Führerschein nicht ausgestellt haben, Fahrverbote nur im eigenen Hoheitsgebiet durchsetzen.

Jugend ans Steuer Ein weiteres Element der Reform ist die Ausweitung des begleiteten Fahrens auf die gesamte EU. Junge Fahrer sollen so bereits früher unter Aufsicht Fahrpraxis sammeln können – in Deutschland gibt es das schon, dann sind laut ADAC aber auch Urlaubsfahrten möglich. Auch für Berufskraftfahrer soll dieses Modell freiwillig angeboten werden können, um dem Fachkräftemangel im Verkehrssektor entgegenzuwirken. Das Mindestalter für den Lkw-Führerschein wird zudem von 21 auf 18 Jahre gesenkt. Ähnliches passiert bei Busfahrern: Hier wird das Mindestalter von 24 auf 21 Jahre gesenkt.

Recht Fahrverbote sollen in der gesamten Union vollstreckt werden. Neue Regeln kommen für den Führerschein.

Weisheit aus dem Management

Der Autor ist ein Multitalent. Er war Professor in Mainz, Harvard und Stanford, schrieb 40 Bücher, gründete eine weltweit tätige Unternehmensberatung und wurde als einziger Deutscher in die globale „Thinkers50 Hall of Fame“ gewählt. In Deutschland machte sich Hermann Simon als Erfinder der BahnCard nützlich, untersuchte die Bedeutung der „Hidden Champions“, also der heimlichen Weltmarktführer unter den oft mittelständischen Familienunternehmen, und prägte den Begriff der „Servicewüste“. Nun hat Simon seine Erkenntnisse und Erfahrungen aus 50 Jahren Wissenschaft und Praxis in einem Buch zusammengefasst, 250 Seiten ebenso lehrreicher wie unterhaltsamer Gedankenblitze, Ideenflüge und ewiger Wahrheiten aus seinem langen Berufsleben. Simon plädiert für ein Denken, das nicht an kurzfristigen Gewinnen orientiert ist, sondern langfristige Werte schafft. Das ist eine Herangehensweise, die er nicht bloß Unternehmern empfiehlt, sondern auch Akteuren aus Wissenschaft und Politik. Dazu gehören Mut, Weitblick und Entschiedenheit, lauter Qualitäten, die man sowohl unter Topmanagern wie Spitzenpolitikern häufig genug vermisst. Insofern ist Simons Buch mit Zitaten und Verweisen auf Vorbilder, akademische Lehrer und weltweite Kollegen nicht nur Unternehmern zu empfehlen, sondern auch einer politischen Klasse, die dabei ist, die Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft zu managen.

Hermann Simon: Simon sagt! Was im Management wirklich zählt. Murmann Verlag, Hamburg 2025. 250 Seiten. 32,00 Euro.

< VORHERIGE SEITE NÄCHSTE SEITE >