Schock an der Kasse bleibt
Inflation Die Rohstoffpreise für Milch, Zucker und Kartoffeln sinken, und trotzdem sind die Preise im Supermarkt hoch oder steigen sogar. Treiben die Ketten ihre Gewinne in die Höhe?
Mehl, Fleisch und Zucker laufen über das Band. Die Supermarktkasse piepst und die Einkaufstasche ist wie jede Woche gleich gefüllt. Nur die Summe auf dem Kassenzettel ist wieder gestiegen. Discounter wie Lidl, Aldi oder Rewe haben im Laufe des Jahres große Preissenkungen angekündigt. Auch die Inflationsrate bewegt sich wieder im normalen Rahmen. Im Geldbeutel der Verbraucher scheint das jedoch nicht anzukommen.
Der Schein trügt nicht, meint die Europäische Zentralbank (EZB) und hat deswegen einen genauen Blick auf die Entwicklung der Lebensmittelpreise geworfen. Auch Handelsexperten gehen von einem weiteren Preisanstieg aus.
Für gewöhnlich arbeitet die EZB mit einem Preisindex, den das Statistische Bundesamt ermittelt. Der Index zeigt, wie viel ein durchschnittlicher Haushalt für eine feste Auswahl an Waren und Dienstleistungen wie Brot, Transport, Energie oder Urlaub ausgibt. Eine Art Einkaufskorb mit den wichtigsten Gütern. Steigen in diesem Warenkorb die Preise, steigt die Inflationsrate. Die Ausgaben für Lebensmittel nehmen laut der EZB aber eine Sonderrolle ein. Denn sie haben europaweit einen Anteil von 20 Prozent am gesamten Warenkorb. Das sei doppelt so hoch wie die Ausgaben für Energie. In ihrem Bericht trennt die EZB deshalb die Entwicklung der Lebensmittelpreise von der Entwicklung aller anderen Preise und kommt zu einem klaren Ergebnis: Es handelt sich um einen längerfristigen Trend. Im Vergleich zu anderen Produkten steigen seit 2022 die Preise für Lebensmittel deutlich stärker. Das zeigen auch Zahlen des Statistischen Bundesamts: Nahrungsmittel sind in Deutschland seit 2020 um 37 Prozent teurer geworden, während der allgemeine Preisanstieg bei 23 Prozent lag. Auch der Branchenexperte Patrick Höppner vom ifo-Institut in München geht davon aus, dass die Preise für Lebensmittel weiter anziehen. Denn besonders die Unternehmen, die Lebensmittel verkaufen, rechnen mit steigenden Preisen.
Wie passt das zusammen mit den zuletzt gesunkenen Butterpreisen? Wenn man sich die Preisentwicklung einzelner Produkte anschaue, ist es durchaus möglich, dass der Preis aktuell sinke, sagt Höppner. Demgegenüber stehen dann Produkte, die teurer geworden sind. Laut dem Statistischen Bundesamt ist der Preis für Rindfleisch innerhalb eines Jahres um 13 Prozent gestiegen. Der Preis für Zucker ist hingegen um 29 Prozent gesunken. In der Gesamtschau bleiben die Preise so auf einem hohen Niveau.
Gründe für den weiteren Anstieg von Lebensmittelpreisen seien nach wie vor die hohen Energiekosten und gestiegene Löhne. In den letzten Jahren sind auch die Preise für Lebensmittelverpackungen spürbar angestiegen, sagt Höppner. Laut dem EZB-Bericht steige auch die weltweite Nachfrage nach Agrarrohstoffen, da auch in Ländern des Globalen Südens die Nachfrage steigt. Der Bauernverband nennt als weiteren Grund den Einfluss des Klimawandels und verweist auf eine Studie der Weltbank, nach der unerwartete Wetterereignisse wie lange Hitzeperioden einen direkten Einfluss auf die globalen Nahrungsmittelpreise haben.
Anders sieht das Armin Valet von der Verbraucherzentrale Hamburg. Bei den Rohstoffen gebe es keinen großen Druck und auch die Energiekosten gingen zurück. Die Preise bei den Bauern für Zucker, Milch, Kartoffeln und Weizen sänken. Nur in den Supermärkten schrumpften die Preise nicht. Valet geht davon aus, dass die Anbieter die Stimmung nutzen, um ihre Gewinne zu maximieren. „Wir haben teilweise eine Gierflation und nicht nur eine Inflation.“
Es herrscht „Gierflation“
Auch die Monopolkommission, ein unabhängiges Beratungsgremium der Bundesregierung, geht in ihrem diesjährigen Hauptgutachten der These der „Gierflation“ nach. So gebe es Hinweise, dass der Einzelhandel seine Kosten senkt, Druck auf die Lebensmittelproduktion ausübt und die Ersparnis nicht an die Kunden weitergibt. Ein Grund sei ein fehlender oder schwacher Wettbewerb zwischen den Supermarktketten. Da der Weg der Lebensmittel vom Feld bis zum Supermarkt schwer zu überblicken sei, ist der Vorwurf jedoch nicht eindeutig nachweisbar.
Lebensmittel durchlaufen zahlreiche Stationen, bevor sie beim Kunden ankommen, erklärt Philipp Hennerkes. Laut dem Geschäftsführer des Bundesverbands des Deutschen Lebensmittelhandels gebe es entlang der Wertschöpfungskette vielfältige Punkte, die sich auf den Preis auswirken. Das können der Transport, die Verarbeitung, die Verpackung oder der Vertrieb sein. Die Kosten seien nicht immer sofort ersichtlich oder würden teils verzögert aufkommen. In der Kalkulation der Preise sind sie jedoch von vornherein mitgedacht. Sich ändernde Kosten, wie etwa ein sinkender Rohstoffpreis, bräuchten deswegen Zeit, bis sie auf dem Kassenzettel der Kunden ankommen.