Im Herz des Klangs

Konzert Ausverkaufte Stadthalle: Cellist Lionel Martin und die Württembergische Philharmonie.

Reutlingen. Mit 1200 Zuhörern komplett ausverkauft. Der Tübinger Cellist Lionel Martin gibt sein Debüt in der Reutlinger Stadthalle. Viele Tübinger sind gekommen, haben seine Auftritte und seine Entwicklung seit Kindheitstagen mitverfolgt. Nach seinem Studium bei Thomas Grossenbacher in Zürich studiert er aktuell bei Frans Helmerson an der Kronberg Academy – und war vor wenigen Wochen erst Finalist bei der renommierten Budapest Cello Competition. Am Montagabend spielt Lionel Martin erstmals das Cellokonzert von Robert Schumann, auf einem französischen Instrument von 1985 – zur Verfügung gestellt von Anne-Sophie Mutter –, auf dem schon Rostropowitsch und Yo-Yo Ma musiziert haben.

Das Schumann-Konzert ist kein Virtuosen-Bravourstück, sondern zutiefst romantische Gesamt-Kunst. Lionel Martin lässt das mit Gabe und Hingabe lebendig werden. Ein Erahnen, Erspüren, Herbeibeschwören, als fange das Cello wie von Zauberhand selbst an zu singen. Als wäre es die schöpferische Fantasie, die Poesie selbst, in deren Herz man hier hinein lauscht. Als hörte man endlich jenes magische Lied, das nach Eichendorff in allen Dingen dieser Welt schläft. Musiziert mit einer seismographisch empfindsamen, wachsam wendigen lyrischen Kraft, die sich in jedem Augenblick neu verwandeln kann, mit einer berührend offenen Seelen-Resonanz und einem wahrhaftig eigenen Ausdruck, der gebannt hören lässt, die Ohren öffnet, Unsagbares Klang werden lässt. Der langsame Satz ist ein behutsam fragiler Traum voll Wärme und Licht, ein kurzer, jenseitig entrückter Duett-Moment mit WPR-Solocellist Dong Nyouk „Sunrise“ Kim. Chefdirigentin Ariane Matiakh hält Martin überall den Rücken frei, gibt ihm Raum für eine freie, atmende Agogik, naturhaft organisch entfaltete Farben, ambivalente Umbrüche. Staunenswert synergetisch das Zusammenspiel mit der Württembergischen Philharmonie. Tosender Beifall und Bravo-Rufe. Als Zugabe musiziert Martin mit Kim ein Cello-Duo von Boccherini, dann die Allemande aus Bachs Solo-Suite Nr. 1 G-Dur BWV 1007.

Begonnen hatte der Abend mit Grazyna Bacewiczs rasanter Startschuss-„Ouvertüre“ von 1943. Fünf Minuten turbulente Vorfreude, ein alles mit sich reißender Höchstgeschwindigkeitslauf, schmetternd und bebend. Großartig hochpräzise. Ein toller, einstimmender Auftakt.

Bei Brahms’ 2. Symphonie zuletzt hob Matiakh das überraschend Moderne hervor: eine geradezu minimalistische Motorik, die hier Harmonik und Melodik hervortreibt. Sahen Schönberg und Bartók doch zu Recht in Brahms einen „Fortschrittlichen“, einen Vordenker der Moderne.

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