Schon eine Umdrehung bringt es

  • Deulich zu sehen sind diese Windräder im Schurwald. Doch ist der Anblick störend? Foto: Archiv
  • So haben sich erneuerbare Energien, die zur Stromerzeugung in der Bundesrepublik genutzt werden, seit 1990 entwickelt. Grafik: Statistisches Bundesamt

Metzingen Der AKE möchte Vorbehalte gegen die Windkraft zerstreuen und arbeitet mit der Initiative Pro Windkraft Reutlingen zusammen. Die Idee: Tausende Haushalte mit CO₂-freiem Strom versorgen.

Keine Energie hat in Deutschland im Jahr 2024 mehr Strom erzeugt wie die des Windes. 31 Prozent der 431,5 Milliarden Kilowattstunden Strom stammen von Windkraftanlagen, wie das Statistische Bundesamt ermittelt hat. Der Anteil erneuerbarer Energien beträgt im Strommix 59,4 Prozent. Das sind beachtliche Werte für ein ehemaliges Nischenprodukt, das vor rund 30 Jahren von einer Marktreife so weit entfernt schien wie heute eine Besiedelung des Mars.

Windkraft und Photovoltaik, davon jedenfalls sind der Metzinger Arbeitskreis Energie (AKE) und die Initiative Pro Windkraft Reutlingen überzeugt, haben das Potenzial, Deutschland aus der Energiekrise zu führen. Weil Windkraftanlagen bereits nach 18 Monaten CO2-neutral sind, also das bei der Herstellung oder späteren Entsorgung der Anlagen anfallende Kohlenstoffdioxid geringer ist als die Menge CO2, die entstünde, würde der aus den Anlagen gewonnene Strom auf fossilem Weg hergestellt.

Windkraft freilich ist umstritten. Das ist auch kürzlich in einer Sitzung des Metzinger Gemeinderats angeklungen. Die Windräder sind nun mal weithin zu sehen. Das gefällt nicht allen. Zudem müssen, sofern die Anlagen in einem Wald stehen, dafür einige Bäume gefällt werden. Die Fläche dafür pro Windrad ist freilich verhältnismäßig klein, ein halber Hektar reicht dafür aus, weniger als ein Fußballfeld.

Politischen Gegenwind gibt es zumindest für zwei in Reutlingen geplante Windkraftanlagen. Im Falle einer Zustimmung zur Windkraft strebt die AfD ein Bürgerbegehren an. Unterschriften werden schon gesammelt.

Davon möchte sich der AKE nicht entmutigen lassen. Dessen Vorstandsmitglied Markus Schenk vertritt die Grünen im Metzinger Gemeinderat und schätzt die Chancen auf Anlagen in Metzingen vorsichtig ein. „Noch ist es nicht eindeutig, ob sich die vorgeschlagenen Flächen eignen.“ In Metzingen kommen laut Regionalverband Neckar-Alb der Wippberg und eine Fläche im Maienwald infrage. Theoretisch, noch gibt es dazu keine Gutachten, die gibt in der Regel jene Firma in Auftrag, nachdem sie in Sachen Windkraft einen Vorvertrag mit der jeweiligen Kommune oder dem Grundstückseigentümer geschlossen hat.

Doch besser mehr als weniger Anlagen, sagen Angela Patka und Florian Klebs, beide sind Sprecher der Initiative Pro Windkraft Reutlingen: „Wir geben in Deutschland jedes Jahr 80 Milliarden Euro für fossile Brennstoffe aus“, sagt Klebs, „Geld, das ins Ausland fließt, in Länder mit fragwürdigem Demokratieverständnis, die sich gegebenenfalls in Konflikten gegen uns stellen.“ Er plädiert dafür, Volksvermögen im Land zu halten: „Wenn ich sich drehende Räder sehe, freue ich mich als Lokalpatriot.“ So eine Umdrehung, also eine einzige Umdrehung, erzeugt den Strom, den ein durchschnittliches E-Auto benötigt, um 70 Kilometer weit zu fahren.

Im Metzinger Gemeinderat, erinnert sich Markus Schenk, wurden bezüglich der Frequenz Bedenken laut: So eine Windkraftanlage drehe sich ja nicht ständig, manchmal stehe sie still. Schlechtes Argument, sagt Schenk: „Autos stehen meist 23 Stunden am Tag.“

Angela Patka kennt diese Vorbehalte. Weil diese immer wieder vorgebracht werden und sich wiederholen. An jedem neu geplanten Standort beginnt die Diskussion jedes Mal neu, der Wissensstand der Bürger ist gering. Ein Prozedere, das viel Zeit kostet. Weswegen die Initiative ebenso wie der AKE zu Exkursionen einlädt, um bestehende Anlagen zu besichtigen. Und um sich mit jenen Menschen zu unterhalten, die entweder von Anfang an dafür zu begeistern waren oder im Laufe der Zeit überzeugt wurden von der Windkraft. „Das ist doch vergleichbar mit der Diskussion um Mobilfunkmasten vor 25 Jahren“, sagt Florian Klebs. „Heute reden wir über Mobilfunk nur noch, wenn wir im Funkloch stehen.“

Die typischen Bedenken: Zu wenig Wind, zu viel Schallemissionen, Vögel und Fledermäuse werden durch die Propeller geschreddert, zu hässlich fürs Landschaftsbild. Der Wind ist freilich ein Faktor, aber kein Investor baut dort, wo es sich für ihn nicht lohnt. Ein ständiges Wummern war lediglich von zwei Anlagen in Baiereck (Schurwald, Kreis Göppingen) zu hören. Ein Produktionsfehler war die Ursache, die Getriebe wurden ausgetauscht, jetzt laufen sie nahezu geräuschlos.

Die Gefahr für Vögel und Fledermäuse hat sich drastisch verringert durch moderne Kamerasysteme, die die Anlage automatisch bei Gefahr abschalten. Nur selten müsse eine Windkraftanlage wegen Überlastung des Netzes abgeschaltet werden, sagt Angela Patka. Und dass Strom aus erneuerbaren Energien das Stromnetz überlastet, weil er von Wind und Sonne abhängt, mithin schwer kalkulierbar ist, und dadurch zu sogenannten Blackouts, also der Nichtverfügbarkeit von Elektrizität führt, darf als vernachlässigbar angesehen werden, sagt Florian Klebs und verweist auf eine Veröffentlichung der Bundesnetzagentur.

Demnach lag im Jahr 2024 in Deutschland die durchschnittliche Nichtverfügbarkeit von Elektrizität je Letztverbraucher bei 11,7 Minuten. In Frankreich, trotz (oder wegen) Atomkraft, betrug die Blackout-Zeit eine Stunde.

Markus Schenk, ganz Kommunalpolitiker, sieht weitere Windkraft-Vorteile: Kommunen generieren daraus Pachteinnahmen, Gewerbesteuer und eine Einspeisevergütung von 0,2 Cent pro Kilowattstunde. Für Verbraucher entsteht Strom für sieben bis acht Cent (reine Kosten ohne Steuern und Netzentgelte): „Das ist unglaublich günstig.“

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