Zeichen für Zusammenhalt

Eröffnung Wenn Kirche und Jahrmarkt kreativ verschmelzen: Der Gemeindestand auf der Muswiese ist heuer ein Nachbau der Michaelskirche.

So etwas gab’s noch nie in der jahrhundertealten Muswiesengeschichte: Vom Festgottesdienst in der Michaelskirche zogen die Gottesdienstbesucher samt Pfarrer Matthias Hammer und Dekan Andreas Arnold am Sonntagvormittag zur offiziellen Muswieseneröffnung in die Michaelskirche. Zumindest sah es auf den ersten Blick so aus. Denn der Stand der Gemeinde Rot am See im Gewerbezelt ist diesmal eine nahezu getreue Abbildung des Musdorfer Gotteshauses – samt Altarraum und Glockenseil.

Weltliche Motive

Bei der Betrachtung der Kirchenfenster wird jedoch schnell klar, dass es sich hier um eine Muswiesen-Variante handelt, überwiegen im Gewerbezelt doch eindeutig weltliche Motive wie Kittelschürze, Schlepper und Schlachtplatte. „Künstlerische Freiheit“, sagt der Künstler Darius Kowalik aus Rot am See dazu und freut sich über den großen Zuspruch der Betrachter für sein Werk.

Die Muswiesenkirche sei weit mehr als ein Gebäude aus Stein, erklärte Dr. Sebastian Kampe in der Eröffnungsrede, in der er zahlreiche Ehrengäste aus Politik und Gesellschaft begrüßte. Als ruhender Pol und spirituelles Zentrum gehöre sie untrennbar zum Festgeschehen. „Die Michaelskirche atmet Geschichte und sie lebt zugleich im Hier und Jetzt“, so der Bürgermeister. „Sie erinnert uns daran, dass auch unsere Gemeinschaft nur dann Bestand hat, wenn wir Bewährtes bewahren und zugleich offen sind für die Zukunft.“

Das Motto passe perfekt in unsere Zeit: „Die Michaelskirche ist – wie die Muswiese selbst – ein Symbol für Halt und Orientierung, für Werte, Zusammenhalt und Gemeinschaft.“ Dass sich Kowalik, der seit vielen Jahren den Gemeindestand für die Muswiese gestaltet, bei der Umsetzung des Mottos selbst übertroffen habe, darin waren sich Bürgermeister, Besucherinnen und Besucher einig: Es gab kräftigen Applaus für den Künstler und BDS-Vorsitzenden.

Mehr als ein Jahrmarkt

Der Begriff Jahrmarkt wird der Muswiese nicht gerecht. Kampe: „Dieses Fest ist ein Stück Heimat, ein Ort der Begegnung und der Gemeinschaft.“ Die „Königin der Feste“ präsentiere sich auch in diesem Jahr in voller Pracht: mit Ausstellern und Händlern, mit Schaustellern, Festhalle und Bauernwirtschaften – „ein bunter, lebendiger Treffpunkt für Jung und Alt“. Weitere Höhepunkte sind die Jungviehprämierung am Dienstagmorgen, der historische Metzgertanz am Mittwochabend sowie Mittelstandskundgebung, Familientag und Feuerwerk am Donnerstag. Heute ist Ruhetag.

All dies ist nur möglich, weil viel Engagement und viele fleißige Hände an der Vorbereitung, Organisation und Durchführung beteiligt sind. Dafür dankte Kampe dem BDS-Ortsverband Rot am See, den Mitarbeitenden in Rathaus und Bauhof, Feuerwehr, Rotem Kreuz, Polizei und Security sowie allen Musdorfern, die das Fundament für die Großveranstaltung bilden. Kampes besonderer Dank gilt der Hauptorganisatorin Beate Meinikheim und dem Marktmeister Florian Reiß. Für die beiden gab’s einen besonders kräftigen Applaus, der von den Kirchenwänden widerhallte.

Ehrlich und schonungslos

Kunst Was aus einer persönlichen, durch Drogenmissbrauch und Depression geprägten Geschichte entstehen kann, zeigt die Ausstellung mit Fotografien von Tino Zimmermann im Crailsheimer Stadtmuseum.

Sie sei über Manuel Lässle, mit dem sie beim Kulturwochenende zusammenarbeite, auf Tino Zimmermann gekommen, berichtete Friederike Lindner in ihrer Begrüßung zur Vernissage am Freitagabend. Lässle arbeitet bei der Jugend-Sucht-Beratungsstelle des Landkreises Schwäbisch Hall. Er hatte der Leiterin des Crailsheimer Stadtmuseums auf das Künstlerbuch „Developments“ des aus Templin stammenden Künstlers hingewiesen.

„Das Buch hat mich gefangen genommen und gefesselt“, gestand Lindner, die sich dann auch Zimmermanns Ausstellung in der Kunsthalle Mannheim angesehen hatte: „Das war ein sehr intensives Erlebnis.“ Die Ausstellung Zimmermanns im Stadtmuseum sei dagegen völlig neu gestaltet. Auch hier sind die Fotografien aus seinem 2024 im Eigenverlag veröffentlichten Buch die Grundlage gewesen.

Neben Hochglanzabzügen der noch analog entstandenen Fotografien finden sich auch Fahnen, etwa eine, auf der Zigarettenkippen sein Bett und den Bettvorleger einrahmen. Auf einer anderen Fahne hat der Künstler Computerschrift mit Fotos kombiniert. Des Weiteren sind große, fast raumhohe Collagen entstanden, die aus abgerissenen Fotografieausschnitten zusammengesetzt und zu einer Art Tapete gefügt wurden.

Wie abstrakte Malerei

Im Gespräch mit der Kunsthistorikerin Dorotea Lorenz, die seine Ausstellung in Mannheim schon betreut hatte, in der Spitalkapelle merkte Zimmermann an, dass die Collagen – obwohl mit Fotografien als Grundlage – wie abstrakte Malerei wirkten – und auch einen absichtlichen Kontrast zu den Hochglanzfotos bilden sollten: „Das Künstlerbuch bleibt aber das Herzstück. Das Ausstellungsformat dient mir dazu, vielleicht neue Dialekte zu finden, um dasselbe auszudrücken.“

Lorenz wies noch auf die Textfragmente auf einigen der Fotografien hin: Ob sie zum Nachdenken anregen sollten? „Ja, schon. Manchmal kann die offene Frage viel länger nachklingen wie eine definitive Aussage.“ Da gibt es etwa die Aufforderung der Mutter, er solle sich zusammenreißen. Manche Frage stamme auch aus einer Therapie.

Denn der 1990 in Templin in Brandenburg geborene Tino Zimmermann kam jung über die Familie zu Drogen. Die Suchtbelastung, psychische Belastungen und gesellschaftliche Isolation führten zu allerlei Problemen. Dann bekam er einen alten, analogen Fotoapparat geschenkt und begann zu fotografieren.

Er hatte sich das Fotografieren selbst beigebracht, sich darin hineingesteigert, seinem Alltag damit eine Struktur gegeben. Es hatte ihm auch geholfen, vom alten Umfeld wegzukommen. Das Fotografieren brachte ihm – ohne Abitur – zum Studium von „Visual Journalism and Documentary Photography“ an der Hochschule in Hannover. Dem schloss sich ein freies Kunststudium an der Kunstakademie Karlsruhe an. Von 2020 bis 2024 war Zimmermann Stipendiat der Studienstiftung des Deutschen Volkes.

Für sein Künstlerbuch „Developments“ hatte er rund 10.000 in seiner schwierigen Zeit entstandene Fotografien als Grundlage verwendet. „Das waren fünf oder sechs Kartons voll, durcheinander mit Fotografien.“ In das Wirrwarr hatte er eine Struktur gebracht: „Es gibt einen Handlungsstrang, wie sich jemand das Fotografieren beibringt. Es gibt einen Handlungsstrang, wie ich mich auch durch Krankheit verändere. Und es gibt auch andere Charaktere. So taucht zum Beispiel meine Mutter auf – im Grunde eine Art Roman.“ In der Ausstellung im Stadtmuseum ist es eine chronologische Abfolge.

Wie Tino Zimmermann auf den Titel gekommen sei, wollte Dorotea Lorenz noch von ihm wissen. „Ich habe sehr lang über den Titel nachgedacht. Am Ende hatte ich aber nichts Passenderes gefunden, auch weil es so eine schöne Doppeldeutigkeit hat: zum einen Fotos im Buch analog, also das sind entwickelte Bilder, Entwicklungen; zum anderen ist das als Fotobuch so ein bisschen einzigartig, weil man über einen langen Zeitraum Entwicklungen von verschiedenen Sachen sieht.“

Zur Nachfrage künftiger Projekte wies Zimmermann auf eine Ausstellung im nächsten Jahr in der städtischen Galerie in Karlsruhe hin: Dort werde er Malereien zeigen, auf denen er sich mit der gesamtpolitischen Weltlage auseinandersetzen wolle. Denn er habe das Gefühl, dass sich Kunstschaffende viel zu wenig einmischen. Das Ganze soll ins Karikaturhafte gehen. Letzteres griff abschließend der in Crailsheim lebende Jazzsaxofonist Johannes Ludwig auf, der die Vernissage musikalisch mit Improvisationen auf seinem Altsaxofon umrahmte.

Info Die Ausstellung „Developments“ ist noch bis zum 16. November zu den Öffnungszeiten des Stadtmuseums zu sehen: mittwochs von 9 bis 19 Uhr, samstags von 14 bis 18 Uhr sowie sonn- wie feiertags von 11 bis 18 Uhr.

Kommentar

Verständigung bei 1, 2 Bier

Katermorgen

Im Nebel ruh ich noch, draußen eine Keld,/ Noch hämmert Hirn, gestern spät gewesen:/

Bald seh ich, wenn der Blick in Spiegel fällt,/ des Bieres Folgen unverstellt,/

und denk, oh du gnädge Muswiesenwelt,/ man kann am freien Montag schön genesen.

Ah, die Muswiese, dieses bunte Durcheinander zwischen Kuttel und Schlachtplatte, Halbe und Schnaps, Magenbrot und Lebkuchenherz, Besen und Hosenträger – wird da dem westlichen Einfluss Einhalt geboten? Die westliche Zufahrt, die Gerabronner Straße, die Donald Trump nehmen müsste (von Westen her kommend) – ist gesperrt. Aber von Osten her, von Bayern, bis zur Taiga, die Wege offen? Soll die Muswiese, wie einst schon von Goethe empfohlen, zu einem West-Östlichen Diwan der gleichgewichteten Verständigung werden? Ein Brückenschlag zwischen zwei Welten? West und Ost, Landwehr und Beimbacher Stausee? So sagt weise, der alte Goethe, als wär er schon mal auf der Muswiese gewesen: „Wer sich selbst und andere kennt, / Wird auch hier erkennen: / Orient und Okzident / Sind nicht mehr zu trennen.“

Wisst Ihr noch, wie es letztes Jahr war? Du bist auf der Muswiese. Und willst Deine Frau anrufen. Oder Sie sucht Dich. Oder Du den Kumpel. Für ein Bier. Aber: Kein Netz.

I will amoal sou soocha: Dass jezz mehr Funggmaschda uff dr Muswisa sann und mr sich doomiid bessr Wootsäpp schreiwa kou, iss schoo a Vordaal. Schreibd aanr seim Freind: „Luuschd uff 1, 2 Bier?“ Schreibt der zrigg: „Zwölf schreibt mr oahne Komma.“

Wir blieben am Samstag bei 1, 2 Bier. Na ja, vielleicht auch 3, 4. Und hatten Filip dabei. Unseren Austauschschüler aus Polen. Schlachtplatte heißt auf polnisch: „wędlina“ (Wurstwaren) oder „mieszanka mięs“ (Fleischteller). Naja, Schlachtplatte gibt’s halt nicht in Polen. Wir haben sie dann gezeigt. Die Platte. Man kann ja voneinander lernen. Goethe sagt: „Denn es ist eine Lust zu lernen, / Wenn Unebenes sich glattet.“ Und sich in den Teller plattet. Übrigens: Döner gibt’s auch.

Seien Sie wacker in einer wackligen Welt. Gehen Sie auf die Muswiese. Egal ob Sie aus Ost oder West kommen.

Info Rainer Horn kommt aus Heroldhausen. Er ist Präsident der Schlepper- und Maibaumfreunde. Und er ist verliebt – in sei Fraa, klar, und in den Hohenloher Menschenschlag.

Kommentar

Kastanien machen Freude

Es gibt sie wieder in Mengen, und ich freue mich darüber. Erst heute Morgen wieder habe ich mich gebückt, um einige davon vom Boden aufzuheben und sie in meine Tasche zu stecken, wie ich das auch als Kind im Herbst schon gemacht habe: einige von diesen fast runden dunkelbraunen Früchten.

Aber auch wenn es sie dieses Jahr nicht in Mengen geben würde, hätte ich mich sicher wieder an diesen Duft erinnert. Jeden Herbst denke ich bei der passenden Wetterlage an diesen Duft: Es war vor Jahren in den Herbstferien, wir haben einige Tage Urlaub in Lissabon gemacht.

Jeden Abend duftete es in großen Teilen der Innenstadt nach gerösteten Maronen. Gefühlt an jeder Straßenecke befand sich ein Stand, an dem solche verkauft wurden. Immer wieder habe ich mir eine Tüte Maronen gekauft und mit Genuss verzehrt. Sie haben ein nussig-süßes Aroma und sind cremig-weich.

Esskastanien, wie sie auch genannt werden, gibt es hierzulande nicht. Aber als Kind hatte ich im Herbst oft Kastanien in der Hosentasche. Im Dorf gab es einige große Kastanienbäume, die das Ortsbild mitgeprägt haben.

Ich erinnere mich auch gerne daran, wie ich zuhause oder auch mal in der Schule Kastanienmännchen gebastelt habe: eine größere Kastanie für den Leib, eine kleinere für den Kopf. Auch in einer Jugendgruppe habe ich schon mit Kastanien basteln lassen. Sogar ohne dass sie für mich essbar waren, haben sie mir Freude bereitet. Einmal durfte ich mit in den Wald gehen, wo in einem kalten und schneereichen Winter Kastanien zur Fütterung von Rotwild verwendet wurden.

In manchem Haushalt, in den ich in den letzten Jahrzehnten gekommen bin, sah ich im Herbst Kastanien ausgelegt – zum Beispiel auf den Fensterbänken. Mit ganz einfachen Mitteln kann man etwas dekorativ gestalten, ohne sich in Unkosten zu stürzen. Ob mit ihnen auch Spinnen ferngehalten werden können? Mancher Zeitgenosse schwört darauf.

Auf jeden Fall erlebe ich, wie sich auch die nächste und übernächste Generation wieder an Kastanien freut. Und wenn der Enkel oder die Enkelin demnächst Kastanien aus der Hosentasche holt, weiß ich, dass sich auch heute noch Kinder an kleinen Dingen freuen können.

Schon vor fast 200 Jahren, im Jahr 1827, hat der Friedrich Spitta das Gedicht „Freuet euch der schönen Erde“ verfasst. Es gibt viele kleine Dinge, über die man staunen und sich freuen kann. Vielleicht muss man sogar bei den kleinen Dingen anfangen, sich zu freuen: So wird die Grund- stimmung fröhlich und zuversichtlich.

Welche kleinen Dinge werden uns in dieser Woche erfreuen?

Der Abend mit Michael Müller bleibt in Erinnerung

Rotary Club Ehemaliger Regierender Bürgermeister von Berlin berichtet in Crailsheim über seine Arbeit.

Crailsheim. Einen besonderen Gast durfte der Rotary Club Crailsheim im September, in seinem wöchentlichen Meeting im Hotel Post-Faber begrüßen: Michael Müller, von 2014 bis 2021 Regierender Bürgermeister von Berlin und langjähriger SPD-Politiker, sprach über seine Erfahrungen in der Hauptstadtpolitik und seine Sicht auf die aktuellen weltpolitischen Entwicklungen.

Organisiert hatte den Vortrag der diesjährige Vortrags-Beauftragte des Clubs, Uwe Kraft. Er lernte Müller bei einer Veranstaltung in China kennen – einem von Walter Döring initiierten Ableger des „Gipfeltreffens der Weltmarktführer“, das jedes Jahr in Schwäbisch Hall stattfindet.

In seinem Vortrag zeichnete Müller ein realistisches Bild der politischen Arbeit in Berlin. Die Hauptstadt wecke hohe Erwartungen, die sich jedoch angesichts großer struktureller Herausforderungen nicht immer erfüllen ließen. So sprach er über das Spannungsfeld zwischen den eigenständigen Bezirken und der Landesregierung, das starke Bevölkerungswachstum und die damit verbundenen Probleme in Wohnungsbau, Verkehr, Bildung und Migration.

„200.000 Studierende brauchen Wohnraum. Benötigt würden 40.000 neue Wohnungen pro Jahr, gebaut werden 20.000“, führte Müller als Beispiel an. Trotz aller Schwierigkeiten bleibe Berlin ein attraktiver Standort – mit einer offenen Kultur, der führenden Start-up-Szene in Deutschland und internationalen Organisationen wie der WHO oder der Gates-Stiftung, die sich in der Hauptstadt niedergelassen haben.

Neben der Innenpolitik ging Müller auch auf die außenpolitische „Zeitenwende“ ein. Das transatlantische Bündnis stünde auf dem Prüfstand, während China und Russland weltweit ihre Interessen verfolgten und sich Rohstoffe sicherten. Deutschland müsse seine Positionen neu bestimmen und Erwartungen an alte wie neue Partner formulieren.

Der Vortrag endete nicht mit dem letzten Satz des Referenten. Zahlreiche Fragen und eine angeregte Diskussion zeigten das große Interesse der Clubmitglieder an den Themen. Mit langem Applaus bedankten sich die Crailsheimer Rotarier bei Michael Müller für den offenen und tiefen Einblick in seine Arbeit – ein Abend, der sicher in Erinnerung bleiben wird.

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