Aufträge als Lohn für Tariftreue
Löhne Die Bundesregierung will bei öffentlichen Vergaben die Einhaltung von Standards verlangen. Doch hinter der Umsetzung steht ein Fragezeichen.
In den kommenden Jahren will die Bundesregierung Hunderte Milliarden Euro wortwörtlich auf die Straße bringen, indem sie in die Infrastruktur investiert. Als Auftraggeber will der Staat dabei künftig auch auf die Arbeitsbedingungen Einfluss nehmen. „Lohn-Dumping mit Steuergeld schieben wir einen Riegel vor“, erklärte Arbeitsministerin Bärbel Bas (SPD). Denn der Bund will vielen Bundesländern folgen und mit einem eigenen Bundestariftreuegesetz künftig tarifliche Standards für die Vergabe öffentlicher Aufträge vorschreiben.
Bisher erhielt das Unternehmen den Zuschlag, das das günstigste Angebot einreichte. Tarifgebundene Firmen, die in der Regel höhere Löhne zahlen, würden dadurch benachteiligt, hieß es oft. Gleichzeitig will die Regierung die sinkende Tarifbindung stärken.
Das Gesetz sei ein Weg – „der alleine aber nicht ausreichen wird. Wunder sollte man nicht erwarten“, erklärt Thorsten Schulten, Tarifexperte bei der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Es mache Sinn, einen Wettbewerb über Arbeitskosten zu unterbinden und so Anreize zu mindern, aus der Tarifbindung zu gehen, um öffentliche Aufträge zu ergattern, sagt der Politologe.
Dafür scheine der Staat auch willens zu sein, für die gleiche Leistung künftig mehr Geld zu zahlen – trotz angespannter Haushaltslage, wie der Nürnberger Wirtschaftsprofessor Claus Schnabel betont. Auch er warnt vor zu hohen Erwartungen: „Eigentlich ist es Aufgabe der Tarifpartner, ihre Verträge so zu gestalten, dass eine Bindung attraktiver wird.“ Für Hagen Lesch ist das Tariftreuegesetz ein „Feigenblatt“. Der Tarifexperte des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft stellt die Zielsetzung der Regierung deutlich infrage: „Dieses Gesetz ist völlig empiriefrei.“ Laut Lesch zeigen Auswertungen, dass in Berlin, Bremen und NRW die Verwaltungsbelastung zugenommen und sich weniger Unternehmen auf Ausschreibungen beworben haben. Thorsten Schulten entgegnet: „Das Bieterverhalten ist konjunkturell geprägt.“
Unklar sei auch, ob die sich bewerbenden Unternehmen tarifgebunden seien oder nach dem Auftrag auch noch Tariflöhne zahlten, sagt Lesch. Auch Ökonom Schnabel kritisiert fehlende belastbare Studien. Vinzenz Pyka, einer seiner Doktoranden am Lehrstuhl für Arbeitsmarkt- und Regionalpolitik, habe zwar in einem Diskussionspapier gezeigt, dass durch Tariftreuegesetze die Löhne im ostdeutschen Verkehrssektor gestiegen seien. Im Westen gab es diesen Effekt allerdings nicht. „Das ist nur ein Indiz, beweist aber noch nicht, dass durch Tariftreuegesetze wirklich auch die Tarifbindung an sich steigt“, betont Schnabel.
Gerade Arbeitgebervertreter hatten vor dem Tariftreuegesetz gewarnt, besonders kleine Unternehmen würden durch das Mehr an Bürokratie stärker belastet, für einen Auftrag zu bieten, werde unattraktiv. „Ja, das Verfahren im Gesetz ist nun doch zu aufwendig gestaltet“, sagt auch Schulten. „Das Vergabesystem ist kompliziert, dass Gewerkschaften einen Antrag stellen müssen und dann noch ein Gremium prüft, das ist alles andere als effizient.“ Aber die Tariftreue nachzuweisen, sei an sich nicht kompliziert: Tarifgebundene Betriebe können dies über ihre Mitgliedschaft. Nicht-tarifäre hätten es zwar etwas schwerer, doch könnten sie angemessene Bezahlung über Lohnabrechnungen nachweisen. Für Schulten sind allgemein die Auflagen für Ausschreibungen das Problem, sowie das Vergaberecht.
Doch auch andere Punkte stören ihn am Gesetz – etwa, dass Bundeswehr-Beschaffungen ausgenommen sind. Verstehen könnte er, wenn es um sensible Technik ginge, aber nicht bei zivilen Infrastrukturbereichen. Auch werde ein Drittel der Aufträge insgesamt nicht erfasst, weil sie unter dem Schwellenwert des Gesetzes von 50.000 Euro lägen. Er wolle auch nicht, dass für den Einkauf von Bleistiften für ein Amt die Tariftreue geprüft werde, „aber bei den Länder-Tariftreuegesetzen sind die Summen mit 10.000 bis 20.000 Euro doch andere“. Auch dass die Einhaltung der Tarifstandards nur noch anlassbezogen bei hartem Verdacht und nicht mit Stichproben ohne Anlass geprüft werden soll, stört Schulten.
Für Lesch ist es „völlig schleierhaft“, dass Haustarifverträge und tarifvertragliche Abweichungen von Branchentarifverträgen durch das neue Gesetz diskriminiert würden. Seit den 1990er Jahren erlaube dies Flexibilität, um auf regionale oder betriebsspezifische Begebenheiten einzugehen – nun werde das ausgeschlossen. Im Gesetzesentwurf ist vorgesehen, dass das Bundesarbeitsministerium in diesen Fällen per Rechtsverordnung Arbeitsbedingungen „eines repräsentativeren Tarifvertrags“ festsetzt.