Reden kann Leben retten
Schulprojekt Mit Workshops informiert ein Verein an Schulen über Suizidgedanken und Depressionen. Kinder und Jugendliche sollen ermutigt werden, sich rechtzeitig Hilfe zu suchen.
Als die „schlimmsten Jahre ihres Lebens“ beschreibt Maja S. die Zeit, in der sie zwölf und dreizehn Jahre alt war. Die heute 22-Jährige, die eigentlich anders heißt, litt damals unter Depressionen und hatte Suizidgedanken. Sätze wie „Bring dich doch um“, die sie von Mitschülerinnen und Mitschülern hörte, sind ihr bis heute im Gedächtnis geblieben.
Hilfe fand sie schließlich beim Arbeitskreis Leben (AKL) in Karlsruhe. Eine gute Freundin ermutigte sie, sich ihren Eltern zu öffnen. Diese nahmen ihre Tochter ernst und wandten sich an die Beratungsstelle. „Meine Ängste, über das Mobbing und meine Gedanken zu sprechen, waren unbegründet“, erinnert sich Maja S.
„Suizidgedanken im Jugendalter sind nichts Ungewöhnliches“, sagt Anja Hoffmann, Krisenberaterin beim AKL Karlsruhe. „Solche Gedanken bedeuten keinen Suizidversuch“, erklärt die systemische Beraterin. „Wichtig ist, sie als eine Art Bewältigungsstrategie zu verstehen, um den seelischen Schmerz zu lindern.“
Etwa der Hälfte aller Suizide geht eine Depression voraus, betont Hoffmann. Wie der Kinder- und Jugendreport 2023 der Krankenkasse DAK zeigt, haben Angststörungen, Depressionen und Essstörungen seit der COVID-19-Pandemie zu deutlich mehr Krankenhausaufenthalten geführt – vor allem bei jungen Mädchen. Auch nicht-suizidale Selbstverletzungen haben seitdem stark zugenommen.
Die Pandemie war Auslöser des Projekts „Suizidprävention an Schulen“, für das der AKL Karlsruhe 2024 mit einem Ehrenamtspreis ausgezeichnet wurde. „Wir erhielten nahezu wöchentlich Hilferufe aus Schulen“, berichtet Hoffmann. Viele Lehrkräfte seien mit der Zunahme psychischer Probleme der Schülerinnen und Schüler überfordert gewesen.
Das Schulprojekt bietet Workshops ab der achten Klasse für alle Schularten an. Ziel ist es, das Tabu um das Thema Suizid zu brechen, Jugendliche zu ermutigen, Hilfe anzunehmen und auf Unterstützungsangebote aufmerksam zu machen. „Um mit den Schülern ins Gespräch zu kommen, sprechen wir zunächst allgemein über ‚Krise‘“, sagt Hoffmann. Sie beobachtet eine große Offenheit unter den Jugendlichen für schwere Themen. Teilweise erzählten Schüler sogar von eigenen Krisen, berichtet Hoffmann.
Die Workshops finden meist im Religionsunterricht statt; wegen möglicher Belastungen sind dabei immer zwei Krisenberaterinnen anwesend. Reden helfe – doch keine andere Todesart sei so stark mit Schuldgefühlen behaftet wie ein Suizid, ist Hoffmann überzeugt.
Auch Eltern, die die psychischen Erkrankungen ihrer Kinder teilweise über Jahre miterleben, brauchen Unterstützung. Wie lebensrettend „reden“ sein kann, hat Sylvia B. erlebt. Der Mutter eines 24-Jährigen gelang es, ihren depressiven Sohn so lange im Gespräch zu halten, bis die alarmierte Polizei eintraf. „Die Zeitspanne, in der ein Mensch mit Suizidabsicht um Hilfe ruft und Hilfe annimmt, kann kurz sein“, weiß Sylvia B. Es gelte, wachsam zu sein.
Warten auf den Therapieplatz
Die Mutter kämpft bis heute mit den Traumafolgen nach dem Verlust eines Angehörigen durch Suizid. Die Gespräche beim AKL haben ihr geholfen, die Wartezeit auf einen Therapieplatz beim Psychotherapeuten zu überbrücken. Auch Maja S. ist dankbar für die Unterstützung, die sie erfahren hat. „Ich schaffe es immer wieder, aufzustehen – egal wie tief ich falle“, sagt sie heute. Ihr Wunsch: „Jeder sollte wissen, dass man sich Hilfe holen kann.“
Jeder sollte wissen, dass man sich Hilfe holen kann. Maja S. Hatte als Kind Suizidgedanken