Motorradsaison Ein Gespräch mit dem Vorsitzenden der Motorradfreunde Schönbuch über Biker-Bashing, Gruppenfahrten und die Gefahr, unterschätzt zu werden.
Es ist Anfang Mai, die Motorrad-Saison hat begonnen. Doch was für die einen das pure Vergnügen bedeutet, ist für andere ein Ärgernis. Die Anwohner beliebter Biker-Strecken beklagen sich über Lärm aus röhrenden Auspuffen und hochgedrehten Motoren. Andere Verkehrsteilnehmer stören sich an Motorrädern, die in der Gruppe gemütlich vor sich hin gondeln oder Bikern, die riskant überholen. Und immer wieder kommt es zu schweren Motorradunfällen. Muss das sein?
Klar muss Motorradfahren sein, findet Wolfgang Dürr, 63 Jahre alt und nicht nur Biker aus Leidenschaft, sondern auch langjähriger Vorsitzender der Motorradfreunde Schönbuch (MFS). Ein paar Monate noch, dann hat er die 40 Jahre voll: Als der Altinger im Dezember 1985 mit 24 Jahren „Präsi“ wurde, wie man in der Szene die gewählten Anführer eines Motorradclubs nennt, war er schon seit acht Jahren Mitglied. Motorradfahren durfte er damals noch nicht. Doch sein Herkules-Moped hat gereicht, um bei dem gerade erst formierten Verein mitzumachen. Noch heute, 48 Jahre nach der Gründung, steht in der Satzung der MFS als Voraussetzung für die aktive Mitgliedschaft das „Fahren mit motorisiertem Kraftrad“. Wie viel Hubraum der Motor hat, ist egal. Das mit 81 Jahren älteste Mitglied ist inzwischen von der schweren Maschine wieder auf einen Roller umgestiegen. Und zählt damit dennoch weiter zu den knapp 50 Aktiven (darunter acht Frauen) beim MFS, der insgesamt 66 Mitglieder hat.
Ärger übers Biker-Bashing
Bei Dürr ist die Herkules längst passé. Nach etlichen anderen Motorrädern kurvt er zurzeit auf einer BMW K 1200 R durch die Gegend, eine unverkleidete Straßenmaschine mit 161 PS und einer Spitzengeschwindigkeit von 261 Kilometern in der Stunde. Ein echtes Geschoss. Ist er also einer von denen, die für das schlechte Image von Motorradfahrern verantwortlich sind? Da muss Dürr auf der überdachten Terrasse des Clubheims, das sich die Motorradfreunde unter seiner Regie 1997 im Altinger Gewerbegebiet Hagen gebaut haben, erstmal tief Luft holen. Man sieht es ihm an, wie sehr ihn das Biker-Bashing nervt. „Immer sind wir es, die Motorradfahrer, wenn‘s um Lärm geht“, sagt er und verdreht die Augen. „Aber wenn die AMG-Mercedes-Fahrer ihren Auspuff aufmachen, sagt niemand was“, beschwert Dürr sich über die von der Formel 1 inspirierten Autos, die häufig mit einem System ausgestattet sind, bei dem der Fahrer per Knopfdruck Klappen am Auspuff öffnen kann, um Leistung und Lautstärke zu steigern. Nicht nur Mercedes-Modelle, viele Sportwagen werden so getunt – auch für Zweiräder gibt es Klappen-Auspuff-Systeme.
Dürr selbst lehnt sowas ab. Er findet, „es geht ja nicht um den Lärm, sondern um den Spaß“. Um den Spaß gehe es auch beim Fahren in der Gruppe. Begeistert berichtet der 63-Jährige vom „Gemeinschaftsgefühl“, der „Gruppendynamik am Abend nach der Tour“. Deshalb ist Dürr als 16-Jähriger auch mit zwei, drei Freunden Mitglied geworden. Noch heute ist er ungern alleine unterwegs, fährt höchstens mal zur Arbeit als Disponent bei einem Busunternehmen in Deckenpfronn ohne Begleitung.
Sonntagsfrüh auf die Alb
Bei den gemeinsamen Ausfahrten gebe es „klare Regeln“: So wie man aufbreche, „kommt man auch an“. Die Langsameren vorneweg und keine Überholmanöver in der Gruppe. „Wir wollen ja nicht hetzen“. Allenfalls „den Pass rauf ist Feuer frei“. Da müssten die Schnellen halt auf die Gemütlicheren warten.
Aber es muss nicht immer die große Ausfahrt sein. Dürr trifft sich häufig am Sonntagmorgen mit ein paar Motorradfreunden bei einem Clubmitglied in Nürtingen. Von dort aus fahren sie dann „sechs, sieben Steigen auf der Alb“. Das sei „fast so schön wie Alpenpässe fahren“. Und wenn man früh genug aufbreche, „bist Du daheim, bevor die anderen kommen“.
Und die Risiken? Klar gebe es Unfälle, räumt Dürr ein. Oft seien es „Fahrfehler“, die einen mit der Maschine auf den Asphalt oder in den Graben befördern. Wie schnell das gehen kann, hat er selbst erlebt: 1991 bei der Abfahrt vom Reschenpass war die Straße nass und rutschig. Dann kam Schotter. Dürr blieb mit dem Vorderrad in einer Querrille hängen und rutschte kopfüber gegen einen VW-Bus, brach sich mehrere Wirbel. Vier Monate dauerte es, bis er wieder laufen konnte – und wieder auf dem Motorrad saß.
Übersehen und unterschätzt
Doch insgesamt, sagt Dürr, habe es bei den Motorradfreunden „in den 47 Jahren sehr wenig Unfälle gegeben“. Vielleicht auch, weil sie regelmäßig Sicherheitsfahrtrainings veranstalten. „Wir müssten mal wieder eins machen“, fällt ihm da ein. Die Raserei auf öffentlichen Straßen sei jedenfalls beim MFS verpönt. „Die Jungen gehen auf die Rennstrecke, um sich auszutoben“, sagt Dürr. Doch das Wichtigste für Motorradfahrer sei: „Rechne immer mit den Fehlern der anderen.“ Auf dem Zweirad werde man von Autofahrern „oft übersehen“ und auch „unterschätzt“, wie Dürr erklärt: „Die sehen dich vielleicht, rechnen aber nicht damit, dass du mit 80 oder 100 unterwegs bist.“ Am Großteil der Unfälle mit Beteiligung anderer Fahrzeuge sei „nicht der Motorradfahrer schuld“.
Dürrs Rat an alle Motorradfahrer lautet: „Vorausschauend fahren“. Sicher mache es „mal Spaß, den Hahn zu spannen“, räumt der passionierte Biker ein. „Aber was soll‘s“, winkt er dann ab. Er will ja noch lange gemeinsam mit anderen das Leben als Motorradfreund genießen.