Wie Morde besser erforscht werden können

  • Nora Markwalder, Professorin für Strafrecht, Strafprozessrecht und Kriminologie an der Universität St. Gallen. Foto: Privatfoto

Kriminologie Tötungsdelikte sind die schwersten Straftaten, trotzdem werden sie kaum systematisch erforscht. Die Kriminologin Nora Markwalder wirbt für einen europäischen „Homicide-Monitor“  – um damit Morde zu verhindern.

Nora Markwalder forscht und lehrt an der Universität St. Gallen Strafrecht, Strafprozessrecht und Kriminologie. Ein Schwerpunkt ihrer Arbeit ist die systematische Untersuchung von Tötungsdelikten. Am kommenden Montag, 5. Mai, kommt sie nach Tübingen, auf Einladung des Kriminologisch-Kriminalpolitischen Arbeitskreises. Ihr öffentlicher Vortrag unter dem Titel „European Homicide Monitor - eine Option für Deutschland?“ beginnt um 19.15 Uhr im Hörsaal 9 in der Neuen Aula (Geschwister-Scholl-Platz).

Sie haben festgestellt, dass die schwersten Verbrechen, also die Tötung von Menschen, wissenschaftlich bislang kaum systematisch erforscht werden. Was fehlt Ihnen denn da in der aktuellen Forschung?

Nora Markwalder: Es fehlen strukturierte, detaillierte Daten, darum wissen wir vergleichsweise wenig. Wir haben Statistiken, das hat jedes Land, die die Zahlen aufführen. Da ist aufgeführt, wie viele Tötungsdelikte es gab, wie viele Verurteilungen. Sie führen vielleicht noch das Alter und Geschlecht von Täter und Opfer auf sowie den Modus Operandi. Aber es fehlt das Detailwissen.

Eigentlich müsste die Quellenlage doch gut sein. Bei Tötungsdelikten haben wir eine sehr hohe Aufklärungsrate. Und in den Prozessen werden die Fälle ja ausführlich erörtert. Es gibt Urteile und viele Akten.

Genau, das Material wäre da. Aber das müsste für die kriminologische Forschung aufbereitet werden. Das ist auch das, was wir in der Schweiz und einigen anderen europäischen Ländern machen. Wir nehmen die Akten jedes Falls und erfassen Informationen systematisch in einer eigenen Datenbank: zu den Tätern, den Opfern, dem Tathergang und der Vorgeschichte, zur Motivation des Täters oder der Täterin. Kam es zu einer Verurteilung – und zu welcher?

Wird denn da auch geschaut, wie es nach einer Entlassung mit den Tätern weitergeht?

Nein, nur bis zum rechtskräftigen Urteil. Es wäre aber ein spannender Aspekt, den man auch anschauen könnte: Begehen die dann wieder Delikte oder nicht? Das wäre dann ein zweiter Teil. Aber derzeit schauen wir bis zur Rechtskraft des Urteils.

Was erhoffen Sie sich denn von so einer systematischen Aufarbeitung? Welche Erkenntnisse wollen Sie daraus ziehen?

Es geht beispielsweise darum, Risikofaktoren zu identifizieren. Wenn wir 100, 200 oder 1000 Tötungsdelikte untersuchen, sehen wir Gemeinsamkeiten. Das sind alles Informationen, die uns dann helfen können, solche Taten zu verhindern.

Unsere Datenbank beinhaltet Tötungsdelikte ab 1990 und wir aktualisieren sie laufend. In der Schweiz gibt es vergleichsweise wenig Tötungsdelikte, etwa 40 pro Jahr. Das entspricht etwa 0,5 vollendeten Taten je 100.000 Einwohner. Von den rund 40 Taten sind etwa 40 Prozent Partnertötungen, oft mit Schusswaffen. Da fragen wir dann: Liegt das nur daran, dass viele Schusswaffen im Haus haben? Oder gibt es andere Risikofaktoren, die wir anschauen müssen?

Wir haben festgestellt, dass die Trennungsphasen für die Frauen sehr gefährlich sind und sie da Schutz brauchen, vor allem, wenn es vorher Drohungen oder häusliche Gewalt gab. Das kann in die Prävention einfließen: bei der Betreuung, bei der Aufklärung, bei der Arbeit der Polizei. Bestenfalls können so Tötungsdelikte verhindert werden.

Wie groß ist denn der Aufwand, diese Daten systematisch zu erfassen? Und was wäre der Vorteil, wenn auch Deutschland einen solchen „Homicide-Monitor“ einführen würde?

Wir führen in der Schweiz neu ein System ein, dass uns die Staatsanwaltschaften einmal pro Jahr auf Nachfrage die Fälle melden, sodass wir laufend aktualisieren können. Da muss man aber in alle Akten schauen und dann nach einem einheitlichen Kodierverfahren die Daten erfassen. Das dauert mehrere Stunden pro vollendetem Tötungsdelikt. Selbst wenn die Erfassung über Spracherkennungssoftware oder KI vereinfacht werden könnte, bleibt es aufwendig.

Aber hätten wir einheitliche Daten aus verschiedenen Ländern, könnten wir vergleichen. Und herausfinden, ob es unterschiedliche Risikofaktoren in den verschiedenen Ländern gibt.

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