Wer mitläuft, duldet auch
Es waren Friedenstauben und Kinder mit Luftballons angekündigt – und gekommen sind sie auch. Doch wer in Reutlingen letzte Woche genauer hinsah, bemerkte rasch: Der Protestmarsch auf den Bösmannsäckern unter der Bezeichnung „Gemeinsam für Deutschland“ hatte mitunter zwei Gesichter. Eines malte sich mit Deutschlandfahnen und Friedensparolen in bunten Farben. Das andere trug Bomberjacke, Springerstiefel und ein Weltbild aus der Mottenkiste des Nationalismus.
Dass rechte Symbolik offen gezeigt wurde – inklusive einer Fahne mit Reichsadler, verkauft womöglich im Online-Shop „Wehrmacht 1945“ – ist kein Nebendetail, sondern ein klares Alarmsignal. Wer solche Aufmärsche organisiert, muss sich fragen lassen, warum Neonazis offenbar keinen Widerspruch fürchten, sondern sich so selbstverständlich unter die Demonstranten mischen können.
Der Versuch, sich im Nachgang von rechtsextremen Teilnehmern zu distanzieren, wirkt hilflos. Dass die Fahne „leider erst später“ aufgefallen sei, mag stimmen – aber wie glaubwürdig ist ein Friedensprotest, bei dem man sich nachträglich über die eigenen Gäste wundert? Wer einen Raum bietet, muss auch Verantwortung übernehmen für das, was darin geschieht. Und wer auf Telegram problematische Gedankenspiele verbreitet – mit dem harmlos klingenden Zusatz, es sei ja „nur im Konjunktiv“ – kann sich nur schwerlich darauf berufen, falsch verstanden worden zu sein.
Das passt ins Muster einer Gruppe, die sich betont bürgerlich gibt, aber immer wieder mit radikalen Positionen kokettiert. Der Begriff „Friedensdemo“ wird hier zum Deckmantel. Wenn aus Kritik an Waffenlieferungen offene Systemverachtung wird, und aus Forderungen nach Deeskalation ein Schulterschluss mit Menschen entsteht, die Demokratie verachten, dann ist es kein Friedenszeichen, sondern ein gefährliches Signal.
Die AfD liebt den Auftritt als Anwalt des Volkes. Hansjörg Schrade, AfD-Rat und wegen Volksverhetzung verurteilt, versuchte, sich als Aufklärer zu gerieren. Im Gemeinderat stellte er Fragen zur Polizei – doch OB Keck konterte mit einem Bibelvers und ließ Schrade alt aussehen. Ein Satz aus Matthäus, und das Spektakel war beendet. So schnell kann sich politisches Pathos in pietätvolles Schweigen verwandeln. Man muss nicht mit der Regierung zufrieden sein. Man darf Waffenlieferungen kritisieren. Man darf protestieren. Aber man muss sich auch direkt vor Ort abgrenzen – klar, laut und glaubwürdig. Wer das nicht schafft oder nicht will, der demonstriert nicht für Frieden, sondern bewirkt mitunter das Gegenteil.