Unglück Über Jahre war Wellenreiten im Münchener Eisbach ein Touristen-Magnet. Nach dem Tod einer Frau läuft die Ursachensuche. Wird das Spektakel verboten?
Wo sonst die Wassermassen des Eisbachs donnern, 25.000 Liter in der Sekunde, fließt an diesem Mittag nur gemächlich ein dünnes Rinnsal am Beginn des Englischen Gartens in München. Am 16. April verunglückte hier eine 33-Jährige beim Surfen schwer, eine Woche darauf erlag sie im Krankenhaus ihren Verletzungen. Das sogenannte Sicherheitsseil der als erfahren geltenden Surferin, welches das Brett am Fußgelenk festhält, ist an irgendetwas im Bach hängengeblieben. Die Frau konnte sich davon nicht befreien.
Warum musste sie sterben? Polizei und Staatsanwaltschaft untersuchen das Unglück, denn der 35 Jahre alte Partner der Frau, der mit ihr am Eisbach war, hat Strafanzeige gegen Unbekannt gestellt – wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung. Nun ist der Bach nach einigen Stunden des Ablassens von Wasser nur noch um die 20 Zentimeter tief anstatt der üblichen 140. Man lässt ihn ab, indem man den Zufluss von der Isar sperrt. Das mit Algen bewachsene Bett ist gut zu sehen.
Größere Gegenstände, die das Seil hätten festhalten können, befinden sich nicht im Bach. Zuvor war spekuliert worden, dass möglicherweise ein hineingeworfener E-Roller, ein Verkehrsschild oder ein großer Ast verantwortlich sein könnten. Vier Polizeitaucher in roter Kleidung steigen in das Gewässer, stecken die Köpfe unter Wasser und schauen sich alles ganz genau an. Das Bett erscheint völlig frei, einzig hervorstechend sind die sogenannten Störsteine, über die immer wieder als Unfallursache spekuliert wird. Das sind eingelassene Steine, die für das Surfen notwendig sind. Denn ohne sie würde das herabstürzende Wasser gar keine Wellen bilden.
Der Schock sitzt tief
Die Bevölkerung und die Surferszene zeigen hohe Anteilnahme. An einer Trauerfeier vor Ort nahmen hunderte Menschen teil. Jetzt ist dort ein großes schwarz-weißes Surfbrett aufgestellt mit unzähligen Unterschriften. Auf dem Boden liegen viele Blumen, Kerzen sind angezündet. Wolfrik Fischer etwa ist ein Urgestein der Münchner Surfer und sagt: „Natürlich sind wir alle sehr bestürzt über den Tod der verunglückten Surferin. Und mit Sicherheit verbindet uns alle das Mitgefühl vor allem für die Angehörigen und den Freund von ihr.“
Ein Sprecher der Münchner Feuerwehr erzählt von der dramatischen Rettungsaktion: „Das war nachts gegen 23.30 Uhr.“ Insgesamt wurde eine halbe Stunde lang versucht, in den reißenden Wassermassen an die Frau heranzukommen. „Unsere Taucher haben sich in der Flut vorgekämpft und schließlich mit einem Tauchermesser die Sicherungsleine durchgeschnitten.“ Für die Feuerwehrleute sei das „eine große Belastung gewesen“.
Auch Franz Fasel findet sich ein beim Ablassen des Eisbachs. Der 37-Jährige steht der „Interessengemeinschaft Surfen in München“ mit 850 Mitgliedern vor. Er erzählt von der Besonderheit der Eisbachwelle: „Jeder kann hier immer surfen.“ Die Welle sei wie eine „Felswand“, meint er, andere reglementierte Wellen dagegen „nur wie Kletterhallen“.
Am Eisbach herrscht Wildnis in der Stadt, die sonst so vieles reglementiert. Der Surfer Fasel sagt: „Grundsätzlich gilt, dass jeder für sich selbst verantwortlich ist.“ Eigentlich wollen die Surfer das auch so – „dass die Welle für alle da ist“. Tag und nacht wird gesurft, im Sommer und im Winter. Doch in der Öffentlichkeit nimmt die Kritik an der Stadt zu, das Treiben dort ohne alle Regeln und Sicherheitsmaßnahmen zu locker laufen gelassen zu haben.
Es ist erstaunlich, welchen Kult und welches Expertentum es beim Surfen gibt. Franz Fasel kann fachkundig über die Sicherheitsleine, genannt Leash, und ihre Tücken berichten. Sie wird am Fuß angebracht, damit das Brett nicht dauernd wegschwimmt. „Die Leine legt einen aber flach, wenn die irgendwo verkantet“, erzählt er. „Da hat der Surfer keine Chance.“ Seit dem Unfall sind selbst auslösende Leashes das große Thema bei den Surfern. Diese gehen auf, wenn mit viel Gewicht an ihnen gezogen wird, wenn also etwa eine Person daran festhängt und nicht mehr wegkommt.
Auch an diesem Tag mit seiner warmen Sonne liegen die Menschen im Englischen Garten auf Badetüchern, radeln, gehen spazieren oder in die Biergärten. Lässiges Münchner Sommergefühl. Dazu gehörte immer auch die Welle. Jetzt ist der Zugang mit großen Metallgittern abgesperrt, Schilder warnen: „Betreten verboten! Achtung Lebensgefahr!“ Die Zukunft der Welle und des Surfens ist derzeit völlig offen.