Migration Bundesinnenminister Alexander Dobrindt will die Abschiebeverfahren beschleunigen. In einem Gesetzentwurf greift er dabei zu einem in der Fachwelt hochumstrittenen Mittel.
Im vergangenen Jahr wurden rund 20.100 Personen aus Deutschland abgeschoben. Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) hat sich fest vorgenommen, diese Zahl deutlich zu steigern. Dazu soll auch ein Gesetz dienen, das er Anfang Oktober in den Bundestag eingebracht hat und das eine seither anhaltende Debatte ausgelöst hat.
Es besteht aus zwei Teilen: Einerseits soll künftig allein die Bundesregierung und nicht mehr Bundestag und Bundesrat per Rechtsverordnung bestimmen können, welche Länder als sichere Herkunftsstaaten gelten, in die grundsätzlich abgeschoben werden kann. Und wer in Abschiebehaft genommen wird, soll künftig keinen anwaltlichen Vertreter (Pflichtverteidiger) mehr gestellt bekommen. Der zweite Punkt ist hochumstritten. Es ist das erste Mal seit 1949, dass in der Bundesrepublik eine anwaltliche Pflichtbeiordnung in Haftsachen abgeschafft wird. Das hat die Bundesregierung bestätigt. Handelt es sich hier also um einen rechtlichen Kulturbruch oder nur um ein Detail im Abschiebeprozess?
Der grüne Rechtspolitiker Helge Limburg nennt die Maßnahme „eines Rechtsstaates unwürdig“ und spricht von der Aufgabe, „die Bundesregierung auf den Pfad der rechtsstaatlichen Tugend zurückzuführen“. Es gibt keine einheitliche Statistik über die Zahl der in Abschiebehaft genommenen Personen. 2022 waren es nach Schätzungen rund 5000. In Deutschland gibt es rund 800 Plätze für Abschiebehaft in 13 spezialisierten Einrichtungen.
Bundesinnenminister Alexander Dobrindt hält den Widerstand gegen das Gesetz für eine Blockade aus ideologischen Gründen. In der Bundestagsrede zur Einbringung des Gesetzentwurfs verwies er auf den langen Instanzenweg: Das zuständige Bundesamt prüfe den Asylantrag, der Asylbewerber werde angehört, gegen die Entscheidung könne er bei Verwaltungsgerichten klagen und Berufung einlegen. Dobrindt weiter: „Aber wenn am Ende dieses ganzen rechtsstaatlichen Prozesses der Betroffene keinen Schutzstatus bekommt und abgeschoben werden muss, weil er der Ausreisepflicht nicht nachkommt, dann braucht es schlichtweg keinen juristischen Pflichtverteidiger mehr. Der soll am Schluss nur noch die Abschiebung verhindern.“
Ganz so einfach ist die Sache aber eben nicht. Darauf macht der Deutsche Anwaltverein aufmerksam. In der Anhörung zum Gesetz weist die Vertretung der deutschen Anwälte darauf hin, dass „noch immer über die Hälfte aller Inhaftierungen rechtswidrig“ seien. „Selbst fachkundige Juristen scheitern häufig an der Komplexität der Materie“, heißt es in der Stellungnahme.
Aber was macht die Abschiebehaft zu einer rechtlich so schwierigen Sache? Sie hat juristisch nichts mit Strafhaft zu tun und ist auch keine Beugehaft. Sie soll lediglich sicherstellen, dass die Abschiebung des vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländers auch erfolgen kann. Es muss ein Haftgrund vorliegen. Das verfassungsrechtliche Verhältnismäßigkeitsgebot schreibt auch vor, dass Haft stets erforderlich sein muss und zeitlich begrenzt ist. Es gibt also auch dann noch vieles zu prüfen, wenn der Instanzenweg durchlaufen ist: Ist die Haft wirklich erforderlich? Besteht sonst tatsächlich Fluchtgefahr? Wird die Abschiebung mit der gebotenen Beschleunigung bearbeitet und kann sie tatsächlich alsbald erfolgen? Wird bei der Unterbringung das strikte Trennungsverbot zu Straftätern beachtet? Ist der Anspruch auf rechtliches Gehör beachtet worden? Angesichts der aufgrund der Komplexität hohen Fehlerquote „drohen rechtsstaatliche Grundsätze ihre generelle Gültigkeit zu verlieren“, sagt Stefan Keßler vom Jesuiten-Flüchtlingsdienst. „Eine Ursache für die Fehlerquote ist, dass Betroffene, die oftmals mittellos sind und denen es an System- und Sprachkenntnissen fehlt, ohne professionellen Beistand vor Gericht keine Chance haben, ihre Grundrechte zu verteidigen.“
Rücknahme einer Reform
Die Befürworter der Neuregelung weisen – zu Recht – darauf hin, dass das Gesetz nur eine Reform der Ampelregierung aus dem Jahre 2024 zurücknimmt. Der SPD-Rechtspolitiker Sebastian Fiedler wies in der Bundestagsdebatte darauf hin, dass der Gesetzentwurf der Empfehlung der Justizministerkonferenz der Länder folge. Die argumentierten mit der notwendigen Beschleunigung der Abschiebungen.
Aber gibt es Zahlen, die belegen, dass eine angeordnete und vollziehbare Abschiebung durch die anwaltliche Vertretung des Ausreisepflichtigen verzögert wurde? Der grüne Helge Limburg hat bei der Bundesregierung nachgefragt. Ihre Antwort: „Die Bundesregierung hat keine Kenntnisse darüber, ob und gegebenenfalls wie häufig sich eine anwaltliche Vertretung auf die Durchführung einer Abschiebung zeitlich auswirkt.“