Kino Der preisgekrönte Schauspieler Albrecht Schuch spricht über seine Rolle im Filmdrama „Stiller“, das ab Donnerstag zu sehen sein wird.
Albrecht Schuch zählt zu den markantesten Schauspielern des deutschen Films. In Rollen als Sozialpädagoge in „Systemsprenger“, Bösewicht in „Berlin Alexanderplatz“ und Soldat in „Im Westen nichts Neues“ feiert er auch im Kino große Erfolge. Für seine intensiven und präzisen Darstellungen wurde er vielfach ausgezeichnet. Am Donnerstag kommt er in Stefan Haupts Literaturverfilmung von Max Frischs Roman „Stiller“ in die deutschen Kinos. Die Premiere fand beim Zürich Filmfestival statt. Dort unterhielt sich unser Mitarbeiter Dieter Oßwald mit dem Schauspieler.
Herr Schuch, nach der Literaturverfilmung von Alfred Dönlins „Berlin Alexanderplatz“ und Stefan Zweigs „Schachnovelle“ folgt nun „Stiller“. War es schon zu Schulzeiten Ihr Faible, Reclamheftchen zu lesen, oder kam das erst später?
Albrecht Schuch: Wahrscheinlich so mit der zehnten Klasse, als ich durch meine neue Deutschlehrerin erstmals intensiv mit Schauspiel in Berührung kam. Sie hat eine Theaterklasse eingeführt, und „Frühlingserwachen“ von Frank Wedekind war das erste Stück, das als Reclamheft in mein Regal wanderte. „Stiller“ kannte ich damals noch nicht. Bei einem Schauspielschultreffen in Zürich dachte ich, ich hätte „Stiller“ gelesen, in Wirklichkeit war es aber „Mein Name sei Gantenbein“.
Wie sehr liegt „Stiller“ Ihnen am Herzen?
Als ich für den Film noch einmal in den Roman hineinschauen wollte, merkte ich, dass ich ihn nicht mochte. Es gibt Romane, die haben ihre Zeit im Leben. Für mich war es nicht die richtige. Ich hatte mich schon viel mit Max Frisch beschäftigt, fand vieles eitel und egoistisch, auch in seiner Selbstdarstellung. Es fehlte mir die Direktheit.
Warum haben Sie den Film trotzdem gemacht?
Weil er nicht der Roman ist. Die Hauptfigur ist unglaublich spannend. Wie radikal ist die Entscheidung zu sagen, ich will jemand anderes sein?! Ich haue von einem Tag auf den anderen ab, hinterlasse gebrochene Herzen und komme sieben Jahre später zurück, als wäre ich ein neuer Mensch. Dieses Egoistische, aber auch Mutige hat mich fasziniert. Ich kenne viele, gerade Kunstschaffende, die stark um sich selbst kreisen. Ihnen fehlt es oft an Leichtigkeit und Abstand zu sich selbst. Das wollte ich untersuchen.
Zuletzt sah man Sie in einem Musikvideo zu einem bislang unbekannten Lied von Udo Jürgens. Sie sitzen im Auto und machen eigentlich nichts. Und doch fesseln Sie die Zuschauerinnen und Zuschauer. Wie geht das?
Ich war krank, hatte 40 Grad Fieber, und in Wien war es gefühlt genauso heiß. Aber vielleicht hilft es sogar, wenn man einfach nur denkt. Im Gegensatz zu Stiller, der exzentrisch und theatral ist, war das eine stark reduzierte Spielform.
Können Sie alles spielen?
Ich versuche es zumindest so vielfältig wie möglich. Das macht mir am meisten Spaß. Meine Eltern sind Psychologen, dadurch habe ich zusätzlich zu meinem Studium eine andere Sicht auf Menschen gewonnen. Wir sind alle so unterschiedlich, und das möchte ich darstellen.
Sie gehören zur Riege der Top-Schauspieler in Deutschland. Wo bleibt der Ruf aus Hollywood?
Da war bisher einfach nicht das richtige Projekt dabei.
Was macht ein Projekt für Sie richtig?
Es darf nicht das Gleiche sein wie das, was ich zuletzt gemacht habe. Ich suche Abwechslung, keine Wiederholung. Entscheidend sind auch die Filmschaffenden, ob man eine gemeinsame Sprache findet, ob es ein gemeinsamer Entdeckungsprozess wird. Es gibt viele Parameter, etwa wie es mir gerade geht, wie es ins Leben passt.
Brauchen Sie Schnittmengen mit Ihren Figuren?
Eine gewisse Schnittmenge bleibt immer: mein Körper, meine Stimme. Aber ich lasse mich sehr gerne inspirieren – von der Art, wie Menschen gehen, lachen, Pausen machen, selbst von kleinen Gesten wie dem Aufwickeln einer Nudel. Gleichzeitig setze ich immer einen bewussten Ankerpunkt von mir in die Figur.
Was ist die wichtigste Qualität in Ihrem Beruf als Schauspieler?
Zuhören, aufmerksam sein, Urteile zurückhalten, wenn man jemand Neuem begegnet. Erst einmal das Individuum wirklich kennenlernen. Das habe ich von meinen Eltern mitbekommen. Es braucht Zeit, Dinge sacken zu lassen und nicht sofort aus der ersten Emotion heraus zu reagieren.
Viele Kinofreunde denken vielleicht: Max Frisch, verschnarchtes, altes Zeug, brauche ich nicht. Warum muss man den Film dennoch sehen?
Man muss gar nichts. Aber „Stiller“ ist nicht verschnarcht. Da stecken zentrale Fragen drin: Wer will ich sein? Was bedeutet es, ein guter Mensch zu sein? Ich glaube, das ist Arbeit, das kommt nicht von allein. Es tut gut, sich zu fragen, wie man auf andere wirkt, ob man Verhalten ändern sollte, um freundlicher zu werden. Es hilft, sich nicht zu sehr um sich selbst zu drehen. Das macht nicht nur weniger einsam, sondern verhindert auch, dass man zum Unsympathen wird.