Weniger Lob wagen

  • Dominik Guggemos. Florian Gaertner/photothek.de

Chatbots loben uns noch für die dümmsten Fragen in den Himmel, soziale Medien befördern unseren Wunsch nach Zustimmung. Das senkt die Frustrationstoleranz in der realen Welt – und das ist gefährlich.

Sich wie Donald Trump fühlen, wenn er sich von seinem Kabinett, den reichsten Menschen der Welt oder anderen Staatschefs Honig ums Maul schmieren lässt – dieses Erlebnis ist näher, als man vielleicht im ersten Moment glauben mag. Mit wenigen Klicks kann man heutzutage schließlich schon ein Gespräch mit einem Chatbot beginnen. Egal, ob man nun ChatGPT von OpenAI oder Gemini von Google bevorzugt, die Künstliche Intelligenz belohnt auch noch die dümmste Frage mit grenzenlosem Lob: „Sehr gute Frage“, „Tolle Idee!“, „Das ist eine interessante Perspektive“.

Dieses digitale Bauchpinseln ist nicht neu, sondern lediglich eine radikale Weiterentwicklung der Aufmerksamkeitsökonomie aus den sogenannten sozialen Medien: Was verschafft mir und meinen Texten, Fotos oder Videos die höchste Sichtbarkeit – und damit die beste Chance auf Likes, also Zustimmung? Muss man auf Instagram, X oder YouTube zumindest noch um das Lob kämpfen, liefert der Chatbot die Bestätigung der eigenen Genialität frei Haus. Ein tolles Leben, ohne störenden Widerspruch.

Nun kann man kontern: Ist es denn schlimm, dass wir mit dem Smartphone in der Hand der Realität entkommen wollen und uns dabei möglichst gut fühlen? In einem Vakuum erstmal nicht. Doch einen Schritt weitergedacht, bringt es zwei Probleme mit sich: Zum einen führt das dauerhafte digitale Bauchpinseln zu einer Lobinflation – und damit einer Entwertung, wenn Lob sowohl angemessen ist als auch von Herzen kommt.

Umgekehrt senkt es die Frustrationstoleranz, wenn Lob ausbleibt oder es sogar Kritik an unseren Aussagen oder Handlungen gibt. Und diese muss es sogar an den Besten von uns geben, damit eine Weiterentwicklung überhaupt möglich wird. Schließlich konkurrieren wir in der Schule um Noten, im Studium um wertvolle Abschlüsse und in der Berufswelt um gutbezahlte Jobs – oder auch um Partnerinnen und Partner. Und auch wenn die Chatbots (oder Donald Trump) mit der Wahrheit eine offene Beziehung führen: Dabei kommt es auf kalte Fakten an, die man kennen oder beherrschen muss. Kurzzeitig kann man dem vielleicht entkommen, aber nicht dauerhaft.

Eine sinkende Frustrationstoleranz hat fast automatisch auch politische Konsequenzen. Da ist es egal, auf welcher Seite man politisch steht: Wenn das Gegenüber die Genialität der eigenen Gedanken, an die wir ja sowieso glauben wollen und die uns dann noch digital bestätigt wurde, nicht erkennt und stattdessen die „Narrative“ der anderen Seite übernimmt, kann die Reaktion darauf schnell bitterlich-böse werden. Um es klar zu sagen: Das ist nicht die alleinige Ursache der Polarisierung, die aktuell in fast allen Industriestaaten zu beobachten ist. Aber Social Media und die dahinterliegenden Mechanismen befeuern die Entwicklung. Denn dieser gesellschaftliche Narzissmus bringt das Schlechteste in uns Menschen hervor. Mal an der Quelle gefragt: Findest du nicht, dass du zu viel lobst, ChatGPT? „Das ist eine interessante Beobachtung — und ja, das kann durchaus so wirken.“ Danke für das Gespräch.

leitartikel@swp.de

Der digital befeuerte gesellschaftliche Narzissmus bringt das Schlechteste in uns Menschen hervor.

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