Wohnen Viele Gemeinden in Baden-Württemberg dürften bald die Grundsteuer erhöhen. Eine Datenanalyse zeigt erstmals, welche Kommunen ihren Bürgern schon jetzt viel zumuten.
Wegen des im Sommer nachträglich erhöhten Hebesatzes zahlt man in Tübingen im Schnitt die höchste Grundsteuer B pro Quadratmeter. Die Stadt ist nicht die einzige Kommune, die ihren Bürgerinnen und Bürgern viel zumutet, aber: Die Unterschiede sind enorm. Das zeigt eine Auswertung dieser Zeitung für alle 1101 Gemeinden in Baden-Württemberg. Erstmals wird so die Grundsteuerbelastung zwischen Gemeinden vergleichbar.
In Tübingen werden im Schnitt 2,69 Euro pro Quadratmeter Grund fällig. In Ludwigsburg (landesweit Platz zehn) sind es 1,93 Euro. Knapp 90 Prozent der Gemeinden kassieren einen Euro oder weniger pro Quadratmeter, die Mehrzahl der Gemeinden zwischen 36 und 76 Cent. Am höchsten sind die Werte rund um die Großstädte.
Wie viel Grundsteuer man zahlt, ergibt sich aus dem Hebesatz, den die Gemeinderäte festlegen, sowie aus den Bodenrichtwerten – also den Grundstückspreisen vor Ort. Die Region Stuttgart ist ein teures Pflaster, die Landeshauptstadt erst recht. Deshalb kommt der landesweit zweithöchste Durchschnittswert von 2,62 Euro pro Quadratmeter bereits mit einem vergleichsweise niedrigen Hebesatz von 160 Prozent zustande. In Mannheim (2,50 Euro pro Quadratmeter, Platz drei) hingegen ist der Boden günstiger, dafür der Hebesatz mit 365 Prozent mehr als doppelt so hoch. Das Endergebnis ist jeweils das gleiche.
Die Zahlen basieren auf einer exklusiven Analyse unserer Redaktion. Dafür haben wir auf Basis der örtlichen Hebesätze und Bodenrichtwerte die theoretische Grundsteuer für rund 2,3 Millionen Flurstücke in Baden-Württemberg berechnet, die laut dem amtlichen Liegenschaftskataster in Wohn- oder Mischgebieten liegen und auf denen Gebäude stehen, die ganz oder teilweise zum Wohnen genutzt werden. Für jede Gemeinde ergibt sich daraus eine durchschnittliche Grundsteuerbelastung pro Quadratmeter.
Die Datenanalyse bezieht sich nur auf Grundstücke, die ganz oder teilweise zum Wohnen genutzt werden, und sie arbeitet mit verschiedenen Vereinfachungen. Gelten für ein Grundstück beispielsweise unterschiedliche Bodenrichtwerte für Ein- und Mehrfamilienhäuser, wird der Durchschnitt genutzt.
Der Vergleich liefert nach den Debatten über die Grundsteuerreform neue Fakten für die anschwellende Diskussion über eine Erhöhung der Hebesätze. Diese werde „in den kommenden Jahren in nahezu allen Gemeinden des Landes notwendig“, prognostiziert Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer. Ob eine Gemeinde Eigentümern bereits viel oder noch wenig abverlangt, dürfte in den Gemeinderatsdebatten zum Argument werden.
Statistisch gesehen ist die Grundsteuerbelastung umso höher, je größer und großstadtnäher eine Gemeinde ist. Aus diesem Muster fällt eine Gruppe von mehr als 30 Städten heraus, die zwar nicht in Ballungsräumen wie der Region Stuttgart liegen, aber als regionale Zentren fungieren. Dazu zählen unter anderem Konstanz und Baden-Baden. Hier sind die Bodenrichtwerte höher als in Dörfern und Kleinstädten – und ebenso die Hebesätze.
Eine höhere Grundsteuer diene auch dazu, besondere Aufgaben zu finanzieren, die die kleineren Gemeinden ohne Zentralitätsfunktion so gar nicht haben, sagt die stellvertretende Hauptgeschäftsführerin des Städtetags Baden-Württemberg, Susanne Nusser. Das gelte für Großstädte ebenso wie für Städte wie Konstanz. Die Unistadt am Bodensee sei etwa auch Jugendhilfeträger. „Gerade im Gesundheits- und Sozialbereich steigen die Kosten besonders stark, weitaus stärker als die Zuweisungen vom Land oder vom Kreis.“
Hinzu kämen Kosten für den Nahverkehr: Konstanz bestellt und bezahlt eigene Busverkehre und muss diese Zuschussbetriebe unter anderem über die Grundsteuer refinanzieren. „Diese Städte müssen sich auch bei den Einnahmen nach der Decke strecken“, schildert Susanne Nusser – also womöglich die Grundsteuer erhöhen, obwohl die Belastung schon vergleichsweise hoch ist.
Besonders gering fällt die Grundsteuerbelastung typischerweise in Kleinstädten und Dörfern im ländlichen Raum aus. Sie erbringen meist auch weniger öffentliche Leistungen. Trotzdem gibt es auch hier Unterschiede: In Emeringen (Alb-Donau-Kreis) ist ein Quadratmeter Grund mit durchschnittlich 11 Cent landesweit am geringsten besteuert und entsprechend Luft nach oben; Bad Säckingen dagegen sollte im Falle einer Erhöhung bedenken, dass der Grund dort mit 1,19 Euro je Quadratmeter nicht allzu viel günstiger ist als im siebenmal größeren Pforzheim (1,40 Euro).
Dass die Grundsteuer im ländlichen Raum geringer ist als in Ballungszentren, „diese Tendenz gab es schon vor der Grundsteuerreform“, sagt Christopher Heck vom Gemeindetag Baden-Württemberg. Ob Eigentümer nach der Reform mehr zahlen müssen, hänge auch mit der städtebaulichen Struktur zusammen, etwa dem Anteil von Gewerbeflächen im Stadtgebiet oder der Art der Wohngebäude.
Mehr Einnahmen nötig
Sollte Boris Palmer recht behalten, werden diese Werte steigen. Gemeinden müssten sowohl Kosten senken als auch Einnahmen erhöhen, sagt Susanne Nusser vom Städtetag. Zwar unterstützt das Land die Kommunen dieses und nächstes Jahr mit Sonderzuweisungen von 275 Millionen Euro pro Jahr. „So wie wir es einschätzen, werden sich Ausgaben und Einnahmen bis Januar 2027 allerdings nicht ausgeglichen haben“, sagt Nusser.
Was ist die Alternative? Könnten die Kommunen Leistungen abgeben – nachdem sie in den vergangenen Jahren geklagt haben, immer neue Aufgaben vom Bund aufgedrückt bekommen zu haben? „Eine zentrale Behörde in Stuttgart würde den Nahverkehr in Konstanz nicht besser organisieren als die Stadt Konstanz selbst“, glaubt Susanne Nusser. Eine Aufgabenverlagerung sei zudem keine kurzfristig wirkende Maßnahme.
Es gebe in Sachen kommunaler Finanzen kein Erkenntnisdefizit. „Jetzt ist es auch an Land und Bund, die Kommunen finanziell angemessen auszustatten und insbesondere bei neuen Aufgaben und Standards zu gewährleisten, dass nach dem Prinzip ‚Wer bestellt, bezahlt’ die Finanzierung gleich mitgeregelt wird“, ist Susanne Nusser überzeugt. Weil sonst schon wieder Ärger mit der Grundsteuer droht.