Tiefflieger und Krawallbrüder
An alles Neue kann man sich gewöhnen. Daran, dass plötzlich alle von sich behaupten, die Töchter zu sein, von denen Bundeskanzler Merz gesprochen hat. Weil diese, die Töchter, es seien, die eine Antwort darauf hätten, was er, Merz, unter Stadtbild verstehe. Freilich sind jetzt nicht alle zur Tochter geworden, die in einem Demonstrationszug sich und ihre vermeintlich hehre Gesinnung feiern, weil sie für ein buntes Miteinander eintreten und Merz für mindestens einen Rassisten halten. Vielleicht ist er in ihren Augen sogar ein noch schlimmerer Übeltäter. Manche Töchter gehen indessen nicht auf die Straße, um zu sagen, „wir sind die Töchter“. Diese leben ihren Alltag wie eh und je, vielleicht finden sich darunter sogar welche, die in Sachen Stadtbild Merz klammheimlich und im Geiste auf die Schulter klopfen und sich nicht einem reflexhaften Missverstehenwollen unterwerfen. Wir können uns auch daran gewöhnen, dass man in Deutschland entweder ein Nazi ist oder zu den Guten gehört. Die Frage, was gut ist, war noch vor einem Jahr viel leichter zu beantworten. Damals genügte es, die Regierung nicht zu kritisieren. Das ist jetzt, da die Union die Koalition anführt, etwas diffiziler. Denn der Umkehrschluss, man gehöre den Richtigen an, wenn man jetzt die Regierung kritisiert, trifft nicht zu. Weil zu den Kritikern ja insbesondere die Anhänger der größten Oppositionspartei, der AfD, gehören. Insofern ist es derzeit auch nicht en vogue, sich als Oppositioneller zu bezeichnen. Das kann böse ins Auge gehen, da muss man bei den Töchtern erst gar nicht nachfragen. Vielleicht hat Merz ja die Töchter aus höheren Mädchenschulen gemeint. Aber ob die sich mit dem Stadtbild auskennen? Das sieht nämlich nachts anders aus als tagsüber und auf einem zweckentfremdeten Spielplatz nach Einbruch der Dunkelheit anders als in der Fußgängerzone zur Mittagszeit. Immerhin müssen sich die Töchter nicht mit den Aussagen eines Franz-Josef Strauß herumärgern. Der hat nie vom Stadtbild fabuliert. Aber von geistiger Zwergwüchsigkeit, die er Journalisten unterstellte und diese Ratten und Schmeißfliegen nannte. Er sprach vom Schweinejournalismus, nannte Demonstranten Gammler, Krawallbrüder, Berufsempörer, Nichtsnutze, geistige Tiefflieger, Nestbeschmutzer. An Strauß konnte man sich herrlich reiben und sich an ihm abarbeiten. Dagegen ist Merz ein gutgelaunter Märchenonkel. Man müsste ihm beibringen, wie man verbal so richtig draufhaut. Dann würde er vielleicht auch nicht missverstanden. Und er sollte nicht die Töchter fragen, sondern die, die im richtigen Leben stehen. Mittendrin.