Kein guter Standort für Logistik
Kürzlich hatte ich in der Herberge in Seeburg Geschäftsleute aus München zu Gast. Die haben erzählt, wie entspannt man bei ihnen Auto fährt, auf fünfspurig ausgebauten Straßen. Im Vergleich zum oberen Ermstal, wo steile Kalkriffe und die malerischen Hangschluchten den Verkehr ins enge Tal zwängen. Hier geht‘s einfach immer rauf und runter und ums Eck. Die Motorradfahrer lieben es! Für einen Logistiker müsste das eigentlich ein Alptraum sein.
Ja, ich war von Anfang an skeptisch, was durch die Ansiedlung eines so großen Verteilzentrums wie Amazon Hengen auf die „Nebenstrecke“ durchs Fischburgtal zukommt. Seit der Bürgerversammlung ist mir klar, wie zentral Seeburg dabei gehandelt wird: 10 Prozent des Lieferverkehrs sollen ins Fischburgtal strömen, der Rest Richtung Grabenstetten und über die B28 Richtung Urach und Böhringen. Immer rauf und runter.
Wenn am alten Rathaus mal wieder die Sirene heult, gibt es nicht viele Möglichkeiten: Entweder es hat bei Hengen an der Zufahrt zur B28 gekracht, im Ermstal abwärts oder die Steige Richtung Münsingen hoch. Wie Anfang des Sommers: Der Hubschrauber stand gefühlt eine Stunde beim Pumpenhaus auf der Straße. Im Ort war es auf einmal gespenstisch still. Dann hob der Heli ab. Kurz nach Wiedereröffnung der Strecke krachte es Richtung Münsingen. Der Hubschrauber flog wieder und wieder war es gespenstisch still.
Ist die Ulmer Steige zu, etwa langfristig wegen Bauarbeiten, fließt der komplette Uracher Verkehr durchs Fischburgtal. Künftig plus aller Amazon-Anteile Richtung Urach und Münsingen? Bei Unfällen und Rodungsarbeiten im Ermstal sowieso. Spätestens an der verflixten Einmündung der Gruorner Straße Richtung Hauptschlagader Münsingen/Urach am Backhaus bildet sich ein Pfropf: Der Schwerlast- und Lieferverkehr aus Hengen, mit Autokorso im Schlepptau, trifft auf den von Münsingen nach Urach und umgekehrt. Immerhin gibt es an der Stelle eine Fußgängerampel! Die Gruorner Straße müssen die Schulkinder oft zweimal queren – ganz ohne Zebrastreifen.
Bislang geht es hier eher ruhig zu – im Vergleich zur Seetalstraße vorne. Sobald die Nebenstrecke zur wichtigen Verkehrsader wird, spaltet sie auch den Ort in drei Teile. Eigentlich sogar in vier: Die hängengebliebenen LKWs in der Wittlinger Steige werden ja nicht weniger.
Blitzeis am Fischteich, querstehende Lastwagen auf eisglatter Fahrbahn in der Münsinger Steige. Stau am Wasserfall. Die Umgehung um die Outletcity als Unfallschwerpunkt. Weiter Richtung Tübingen (ein wichtiger Zielort von Amazon Hengen) sitzt das neue Landratsamt. Soll da nicht auch das neue Krankenhaus hin? Die Reutlinger Umgehung führt dicht befahren mitten durchs Industriegebiet.
Warum um alles in der Welt sucht sich ein Logistiker dieser Größenordnung seinen zentralen Standort an einer Stelle, die immer schon als schwierig zu erreichen galt? Die Alb hat so lange von einer aufnahmefähigen Verkehrsinfrastruktur geträumt. In Bad Urach wird sie über die Gartenschau gerade zukunftsfähig gemacht. Wozu dieses wichtige Gut an den Durchgangsverkehr verschwenden? Die meisten ausgelieferten Pakete landen sowieso woanders. Der Markt für die Amazon-Dienstleistungen ist riesig und wird in naher Zukunft immens wachsen. Erfolgreiche Unternehmen siedeln auch gerne dort, wo es günstige Erweiterungsflächen gibt.
Die Anregung in der Bürgerversammlung, dass es am Verkehrsknoten Merklingen genug Flächen gibt (mit ICE-Halt und kurzem Bustakt nach Bad Urach), hat mir gut gefallen. Ich komme aus Laichingen und erinnere mich dran, wie vielversprechend das Husqvarna-Depot seinerzeit begrüßt wurde. Es gab eine Handvoll Arbeitsplätze, die nicht von Laichingern besetzt wurden. Gott sei Dank ist das Gebäude inzwischen fast eingewachsen.
Seit gestern bin ich Biosphärenpartnerin im idyllischen Seeburger Tal – zentral im Wandermekka der mittleren Schwäbischen Alb. Und stolz darauf! Übermorgen direkt an der Verkehrsschlagader. Rauf und runter und ums Eck.