Abflug mit dem Donauwalzer
Musik Vor 200 Jahren wurde Walzerkönig Johann Strauß in Wien geboren. Ein One-Hit-Wonder war er aber wirklich nicht.
Schon im Jahre 1935 beobachteten frühe Ökologen die Donau bei Wien ganz genau: Der Fluss war 6 Tage im Jahr braun, 55 lehmgelb, 38 schmutzig grün, 49 Tage hellgrün, 47 grasgrün, 24 stahlgrün, 109 smaragdgrün und 37 Tage dunkelgrün – aber niemals blau. Und im 19. Jahrhundert, als Johann Strauß seinen Walzer „An der schönen blauen Donau“ komponierte, lag Wien auch gar nicht „an“ der Donau, wie das Kuriositätenlexikon „Tasten, Töne und Tumulte“ weiters vermerkt. Der Fluss zog sich vielmehr in mehreren Armen durch sumpfiges Gebiet an der habsburgischen Metropole vorbei.
Solche Realitätstrübungen haben freilich den Welterfolg des Donauwalzers nicht beeinflusst. Und auch an diesem 25. Oktober 2025, am 200. Geburtstag des Komponisten, erklingt der Hit weltweit. Der Melodie mit dem D-Dur-Dreiklang ist nicht zu entkommen. Das wissen nicht zuletzt die Passagiere von Austrian Airlines (AUA). Denn der Donauwalzer ist das akustische Erkennungszeichen der österreichischen Fluggesellschaft. In den Maschinen erklingt die Melodie vor dem Abflug und nach der Landung. Allerdings nicht nur in Wien, sondern etwa auch in Athen. Nicht auszudenken, wenn etwa die Lufthansa ähnlich verführe mit dem „Walkürenritt“ des urdeutschen Richard Wagner.
Der Donauwalzer soll zudem als Kennmelodie für den Verkehrsfunk in Neuseeland und für den Küstenfunk in Uruguay verwendet werden, heißt es. Fakt ist, dass die Wiener Symphoniker in diesem Strauß-Jubiläumsjahr in einem „interstellaren Konzert“ den Donauwalzer für den Weltraum spielten. Das Werk wurde in Echtzeit an die European Space Agency in Cebreros (Spanien) übertragen und von dort als elektromagnetische Welle mit Lichtgeschwindigkeit ins Universum, in Richtung Voyager 1, um außerirdische Wesen zu erreichen.
Im Weltraum
Damit wollten die Wiener ein „intergalaktisches Defizit“ korrigieren: Denn der Raumsonde, die rund 25 Milliarden Kilometer von der Erde entfernt ihre Bahn zieht, wurde beim Start 1977 zwar eine Kupfer-Schallplatte mit 27 Musikstücken mitgegeben, doch der Donauwalzer fehlte. Und das, obwohl Stanley Kubrik die Strauß-Klänge in seinem Kultfilm „2001: Odyssee im Weltraum“ verwendet hatte.
Eine solche technikaffine Wirkungsgeschichte passt zum Donauwalzer. Strauß hatte das Werk zunächst auf Bitten des Wiener Männergesang-Vereins mit Chorstrophen komponiert, er schuf nach der Uraufführung im Februar 1867 aber noch eine erweiterte instrumentale Fassung, die im gleichen Jahr auf der Pariser Weltausstellung die Massen begeisterte. Innovative Fröhlichkeit im Dreivierteltakt. Der Walzerkönig selber war eher ein von Urängsten geplagter Misanthrop, der schon das Fahren mit der Eisenbahn mit dem „Aufgehängtwerden“ verglich.
Geltungssüchtig und aufs Geld versessen war der Sohn des Radetzkymarsch-Komponisten gleichen Vornamens auch. Seinen Erfolg hatte er sich aber mit seiner Kunst wahrlich verdient. Wohlgemerkt: in Zeiten noch ohne Radio, Tonträger, Spotify. Was bedeutete: Man musste den Donauwalzer live hören. Oder selbst spielen. Hunderttausendfach wurden die Noten in den Jahren nach dem Pariser Triumph in einer Klavierfassung verkauft.
Der erste „Schlager“
Der Donauwalzer erhielt im Übrigen als erstes Musikstück der Welt nachweislich die Bezeichnung „Schlager“. So hatte das Wiener „Fremdenblatt“ schon nach der Uraufführung im Februar 1867 geschrieben, dass die Eröffnungsnummer ein „entschiedener Schlager“ gewesen sei. Ein One-Hit-Wonder war Johann Strauß aber nicht. Da gibt‘s ja noch den „Kaiserwalzer“, die „Pizzicato-Polka“, „Wiener Blut“, „Rosen aus dem Süden“, „Geschichten aus dem Wiener Wald“, die Operette „Die Fledermaus“ und zahllose weitere Werke.
Wien also hat das ganze Jahr schon den Geburtstag des Walzerkönigs gefeiert. Etwa in einem Johann Strauss Museum gegenüber der Secession: Man setzt sich einen Kopfhörer auf und wandert, begleitet vom Audioguide mit GPS-Tracking, durch die Ausstellung. An einer „Komponiermaschine“ kann man seinen eigenen Walzer puzzeln. Na ja, wirklich toll ist der immersive große letzte Raum, wo Bilder und Töne spannend herumwirbeln.
„Liverpool hat die Beatles. Memphis hat Elvis Presley. Wien hat Johann Strauss.“ So wird seltsam klassikfern geworben. Wobei der Walzerkönig tatsächlich schon zu Lebzeiten ein Popstar war. Unkompliziert war seine Beziehung zu Wien, wo er 1825 in der Lerchenfelder Straße 15, im Gasthaus „Zur goldenen Ente“, auf die Welt kam, jedoch nicht. Um seine dritte Frau Adele ehelichen zu können, nahm er 1886 die Staatsbürgerschaft des Herzogtums Sachsen-Coburg und Gotha an. Nicht schön, aber spätestens seit 1945 gilt der „Donauwalzer“ als inoffizielle Hymne Wiens.
Und diese Musik muss nicht kitschig oder abgedroschen klingen, wenn sie so feinsinnig wie empathisch kontrolliert interpretiert wird (und nicht aus dem Bordlautsprecher dröhnt). Wie die Wiener Philharmoniker das in ihren Neujahrskonzerten beweisen. Viele halten den Jahrgang 1992 mit Carlos Kleiber am Pult für unerreicht.
Aber die mehr oder weniger schöne blaue Donau fließt immer weiter: 2026 dirigiert der Kanadier Yannick Nézet-Séguin im Goldenen Saal des Wiener Musikvereins.