„Das Heizen treibt die Leute um“

  • Die Industrie heizt mit: Dettingen will die Abwärme nützen, die in der Papierfabrik Munksjö produziert wird. Foto
  • Mit einer Hackschnitzelanlage wird rund um die Neuwiesenhalle geheizt. Eines von zwei Wärmenetzen im Ort. Kiehl Thomas;Nicht angelegt

Dettingen Der Ort rüstet sich für die Zeit nach Öl und Gas. Eine kommunale Wärmeplanung könnte einen Teil der Haushalte an ein Nahwärmenetz anschließen. Auch die Industrie soll mit ins Boot.

Klimaschutzminister Robert Habeck und die Ampelregierung sind Geschichte – und dennoch sorgen die Wärmewende und das (mittelfristig) bevorstehende Ende der Gasheizung für schlaflose Nächte bei manchem Hausbesitzer. Wer denkt schon gerne darüber nach, womöglich viel Geld in einen teuren Heizungsaustausch investieren zu müssen.

Als Alternative zur teuren Wärmepumpe oder zur Pelletheizung kommt, zumindest theoretisch, ein Anschluss an ein Nahwärmenetz infrage. Wo dies technisch möglich und wirtschaftlich sinnvoll ist, will die Gemeinde Dettingen jetzt im Rahmen einer kommunalen Wärmeplanung prüfen lassen. Der Gemeinderat hat in seiner jüngsten Sitzung beschlossen, ein solches Konzept in Auftrag zu geben.

Erstellen wird es die Klimaschutzagentur im Landkreis Reutlingen. Fest mit im Boot sitzt auch der örtliche Energieversorger Ermstal-Energie (EED). Die enge Zusammenarbeit will den lokalen Gegebenheiten und den Bedürfnissen und Bürger Rechnung tragen, betont Felix Schiffner, Ortsbaumeister und technischer Geschäftsführer der EED.

Wärmeplanung ist Pflicht

Das Ja des Gremiums zum Konzept kommt nicht ganz von ungefähr. Dettingen folgt einer bundesweiten Vorgabe und dem Klimaschutzgesetz Baden-Württemberg. Demnach müssen Gemeinden in der Größenordnung mit 100 000 Einwohnern bis spätestens 30. Juni 2028 einen Plan vorlegen, wie die Wärmeversorgung im Ort künftig klimafreundlich gestaltet werden kann.

Im Fokus dieser Heizmöglichkeiten stehen dabei erneuerbare Energien und unvermeidbare Abwärme, die im Ort produziert wird. Der „Fahrplan“ will nicht nur die Kommune selbst bei wichtigen Investitionen unterstützen, sondern auch Bürger, Unternehmen und andere lokale Akteure motivieren, bei Heizung und Energieversorgung auf zukunftsfähige Technologien zu setzen, sagte Projektleiter Konrad Saalmüller von der Klimaschutzagentur Reutlingen.

Vor allem die Industrie könnte eine Rolle spielen. Interessant für Dettingen: Mit der Papierfabrik Munksjö sitzt im Ort noch ein produzierendes Unternehmen, das „riesige Mengen“ an Abwärme produziert, wie die Experten wissen. Allein damit könnte man viele Gebäude heizen – wobei die Ermstal-Energie schon jetzt eine Wärmebrücke zwischen Elring-Klinger und Munksjö plant. Die warme Luft wird aus der Papierfabrik zum Autozulieferer transportiert. „Wir stehen kurz davor, diesen Abwärmekreis zu finalisieren“, sagt Felix Schiffner.

Die Klimaschutzagentur regt derweil auch Gespräche mit anderen Dettinger Unternehmen an, etwa mit der Firma Kartonagen Knauer und der Uniplast Knauer GmbH. Denn eines stellten Felix Schiffner und der kaufmännische EED-Geschäftsführer Knut Bacher im Jahresbericht der EED klar: „Gas ist nicht mehr der Wärmelieferant der Zukunft.“ Im neuen Dettinger Baugebiet vor Buchhalden etwa spielt der Brennstoff gar keine Rolle mehr, die Häuser werden allesamt nach neuen Energiekriterien beheizt. Wer im Altbestand wohnt, muss sich dem Thema Wärmewende wohl oder übel stellen. Schiffner: „Die Leute treibt schon um, was sie mit ihrer Heizung machen.“

So hat auch der Versorger EED hat zuletzt 50 Gas-Kunden verloren und befindet sich laut Knut Bacher mitten im Transformationsprozess: „Wir müssen uns nach neuen Geschäftsfeldern umsehen.“  Die Verantwortlichen denken dabei an Photovoltaik, Stromvertrieb oder eben an Wärmennetze.

Dennoch: Mit der kommunalen Wärmeplanung entwickelt die Gemeinde zunächst nur eine Strategie, um bis zum Jahr 2040 einen nahezu klimaneutralen Gebäudebestand zu erreichen, erklärt Dr. Uli Hasert, Geschäftsführer der Klimaschutzagentur. Der Wärmeplan habe beratenden Charakter. „Es besteht keine Verpflichtung für Eigentümer oder Versorger, die Maßnahmen tatsächlich umzusetzen.“

Die EED ist mitten im Umbruch

Kurz, zunächst geht es um eine Orientierung. Vieles ist erst auszuloten, manches sei in anderen Kommunen nicht umsetzbar gewesen. Auch die Zahl der Dettinger Haushalte, die an das Nahwärmenetz angeschlossen werden könnten, kann noch nicht beziffert werden.

„Möglicherweise muss man 80 Prozent der Bürger hier eine Absage erteilen“, erläutert Projektleiter Konrad Saalmüller auf Nachhaken von FWV-Chef Dr. Rolf Hägele. Dem verursacht das ganze Projekt nämlich „gemischte Gefühle“, wie er sagt. „Wir sollten konkret zum Ziel kommen, und da habe ich so meine Zweifel.“

Der Fraktionsvorsitzende der Freien fürchtet auch um die Wirtschaftlichkeit des Projekts. Denn nicht ganz klar sind trotz Fördermittel die endgültigen Kosten – der Wärmeplan muss jährlich fortgeschrieben werden. Zudem habe es bereits entsprechende Pläne in Dettingen gegeben, die dann in der Schublade verschwanden.

Darauf verweist auch Bürgermeister Michael Hillert, der nochmals die Abwärme aus der Industrie ins Spiel bringt. „Wir wissen, dass wir in Dettingen Energiemengen haben, die weit über dem Durchschnitt liegen. Leider hat sich eine sinnvolle Nutzung bis jetzt nicht ergeben.“ Problematisch ist für den Rathauschef auch die möglicherweise geringe Quote von 20 Prozent der Haushalte am Nahwärmenetz. „Das halte ich für schwierig – da wird schnell jedem klar, dass wir das wirtschaftlich nicht umsetzen können.“

Wann gibt’s Ergebnisse, will Peter Brugger (CDU) wissen, dem Konrad Saalmüller versichert: Die Planung dauert ein Jahr – bis das Netz steht, braucht es vier bis fünf Jahre, sofern dies überhaupt möglich sei. Bastian Schmauder (Unabhängige Liste) wünscht sich als „Jüngster im Gremium“, Dettingen möge nicht nur das Geld für den Plan bereits stellen, sondern der Energiewende auch tatsächlich entgegenarbeiten.

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