Reutlingen Die IHK befürchtet Konsequenzen der Konjunkturschwäche am Arbeitsmarkt. Vor allem die Industrie geht von weniger Beschäftigten aus.
Zur Präsentation der Konjunktur-Umfrage hat Hauptgeschäftsführer Dr. Wolfgang Epp einen grauen Anzug gewählt. Grün war ihm zu optimistisch, aber grau passe, meinte er. Schließlich komme die regionale Wirtschaft langsam aus dem dunklen Tal. Aber noch schätzen 25 Prozent der 357 Unternehmen, die bei der Umfrage geantwortet haben, ihre Lage als schlecht ein. Damit sind sie gegenüber den 23 Prozent Optimisten leicht in der Überzahl. Immerhin die Hälfte ist zufrieden. „Die Unternehmen warten aber weiter auf Impulse für Wachstum“, sagt Epp.
IHK: keine Fundamentalkrise
Die würden von der Bundespolitik jedoch nicht geliefert, vom angekündigten „Herbst der Reformen“ sei noch wenig zu spüren, kritisiert der Hauptgeschäftsführer: „Die Unternehmen sind enttäuscht von der zerstrittenen Regierungskoalition.“ So erwarte laut Umfrage gut ein Viertel der Firmen in den kommenden zwölf Monaten eine Verschlechterung ihrer Situation. Auch hier geht freilich über die Hälfte von keiner Veränderung aus.
Dennoch belaste die Konjunkturschwäche mittlerweile auch den regionalen Arbeitsmarkt in den Landkreisen Reutlingen, Tübingen und Zollernalb. Die Arbeitslosenquote liege im Schnitt bei 4,5 Prozent und damit um ein halbes Prozent höher als im Vorjahr. „32 Prozent der Firmen gehen von weniger Beschäftigten aus“, sagt Epp. Besonders ausgeprägt ist der Trend zum Personalabbau in der Industrie, wo 40 Prozent der Betriebe von weniger Beschäftigten ausgehen.
Trotzdem gebe es weiterhin Firmen, die ihre Zahl an Beschäftigten künftig ausbauen wollen. Außerdem schätzen rund die Hälfte der Unternehmen ihre aktuelle Finanzlage als unproblematisch ein. „Wir sehen derzeit keine Fundamentalkrise der regionalen Wirtschaft“, sagt deshalb der IHK-Hauptgeschäftsführer. Einige Unternehmen müssten sich neu aufstellen und würden dies auch tun. „Der Kern der Wirtschaft ist in Ordnung“, sagt Epp. Dafür spreche auch die Zahl von nur 87 Anträgen auf Insolvenz im laufenden Jahr, „da erwarten wir keine Welle.“
Der Außenhandel sei leicht im Aufwärtstrend, „Export ist und bleibt die verlässliche Stütze der regionalen Konjunktur.“ 22 Prozent der exportorientierten Firmen würden von steigenden Auslandsgeschäften ausgehen. Kasachstan, Usbekistan und Indien würden an Bedeutung gewinnen, auch Indonesien sei ein Riesenmarkt. Stand Juli hätte die Region dieses Jahr bereits Waren im Wert von 7,81 Milliarden Euro exportiert. Bis Ende 2025 dürften es wie im Vorjahr rund 13 Milliarden Euro werden, erklärt die IHK-Konjunkturexpertin Antonia Hettinger.
600 neue Jobs in Tübingen
Die Region bleibe ein Industriestandort, betont Epp. Im verarbeitenden Gewerbe sind 84.789 Menschen beschäftigt, acht Prozent mehr als noch 2008. Zweitwichtigster Wirtschaftsbereich ist der Gesundheitscluster mit 43.000 Beschäftigten – das bedeutet eine Zunahme von 47 Prozent in den vergangenen 17 Jahren. In der IT-Branche arbeiten mittlerweile 5800 Menschen. Für Epp ist das ein Zeichen, dass der Strukturwandel mit hoher Geschwindigkeit voranschreite. Sicherheit und Verteidigung würden einen neuen Schwerpunkt bilden, der die Industrie stärke.
Für die Stadt Tübingen werden dank der Exzellenz-Initiative im nächsten Jahr 600 neue Jobs erwartet. „Das gibt einen Wachstumsschub für die gesamte Region. Die IHK ist dabei in engem Austausch mit der Uni Tübingen“, sagt der Hauptgeschäftsführer der Kammer.
Das bringt aber Probleme mit sich: „Für diese neuen Beschäftigten werden Wohnungen benötigt. Auch für Fachkräfte, die aus Kenia oder Usbekistan angeworben werden, stellt sich die Frage nach dem Wohnraum“, sagt Epp. Er fordert deshalb einen entsprechenden Wohnungsbau für Fachkräfte.
Sorgen macht der IHK aber vor allem der hohe Strompreis. „Die Region ist ein Industriestandort und soll es auch bleiben. Aber dazu muss die Energie bezahlbar sein“, fordert Epp und kritisiert eine krasse Fehlentwicklung in Deutschland. Die wirke sich noch lange aus.
Suche nach seltenen Erden
Ein großes Problem sei auch, dass China den Export von seltenen Erden verknappt. Die würden sowohl in der Medizintechnik als auch im Verteidigungsbereich benötigt. Zwar stelle die KfW-Bank Mittel zur Verfügung, um seltene Erden in Deutschland zu fördern. „Aber die werden kaum abgerufen aus Angst vor Bürgerinitiativen, die sich gegen jede Eingriffe in die Erdoberfläche wehren.“
Bei all‘ den Forderungen der Wirtschaft an die Politik – was verlangt die IHK von den Unternehmen? „Sie sollen optimistisch sei, Chancen und Märkte sehen, Risiken eingehen und investieren. Und Verantwortung übernehmen. Das ist wichtiger, als eine Jacht am Gardasee kaufen“, rät Epp. Vor allem sollten sie den Standort Deutschland nicht schlecht reden, denn die Stimmung mache viel aus.