Zwei Welten beim Parken

  • Mathias Huckert Mathias Huckert

Ein Auto auf dem Schulparkplatz, ein verkaufsoffener Sonntag, ein Abschleppdienst mit Direktinkasso – und am Ende etwa 500 Euro Kosten. Der Fall einer Reutlingerin, deren Wagen in Tübingen abgeschleppt wurde, wirkt auf den ersten Blick banal (wir berichteten). Doch er legt einen bemerkenswerten Unterschied offen: Während Reutlingen teils auf Augenmaß und Verhältnismäßigkeit setzt, lässt Tübingen beim Parken keinen Spielraum. Die Stadt hat das Abschleppen auf städtischen Privatparkplätzen – etwa an Schulen – an ein Unternehmen ausgelagert, das selbständig „Streife fährt“. Diese Privatisierung von Kontrolle, dazu noch mit Direktzahlung vor Ort, mag effizient erscheinen. Doch sie birgt ein Problem: Sie verschiebt das Gleichgewicht zwischen öffentlichem Interesse und privater Gewinnlogik. Wer sollte im Zweifel entscheiden, wann ein Abschleppen wirklich nötig ist – die Kommune oder der Dienstleister, der daran verdient?

Die Argumentation der Stadt, man wolle den Verwaltungsaufwand gering halten, klingt pragmatisch. Aber Verwaltung bedeutet auch Verantwortung. Der Unterschied zu Reutlingen zeigt, dass man Falschparken sanktionieren kann, ohne Bürgerinnen und Bürger mit teuren Überraschungen zu überfahren. Dass der konkrete Fall „nicht über, sondern unter 500 Euro“ lag, dürfte die Betroffene wenig trösten – die Grenze des Zumutbaren war längst überschritten.

Tübingen präsentiert sich gern als Stadt der kurzen Wege, der Bildung und der sozialen Vernunft. Doch eine Politik, die Kontrolle an private Abschleppfirmen delegiert und ihnen eigenständige Streifen erlaubt, steht nicht im Einklang mit diesen Ideen. Abschleppen ist kein Selbstzweck, sondern ein mitunter notwendiger Eingriff in Eigentumsrechte – und sollte deshalb mit Augenmaß erfolgen, nicht nach Wochenendtarif.

Das Beispiel zeigt, wie unterschiedlich Kommunen mit der gleichen Situation umgehen: Die einen setzen auf Dialog und Ermessensspielraum, die anderen auf Strenge und Effizienz. In der Praxis bedeutet das für Bürgerinnen und Bürger vor allem eines – Unsicherheit. Zwischen Reutlingen und Tübingen liegen nur wenige Kilometer, doch beim Thema Parken offenbar Welten. Dass es dafür keinen einheitlichen Rahmen gibt, sondern jede Kommune eigene Regeln setzt, zeigt, wie sehr alltägliche Fragen zum Gradmesser für kommunale Fairness werden. Vielleicht liegt darin die eigentliche Lehre für alle: Nicht nur Städte sollten genauer hinsehen, wem sie Verantwortung übertragen. Auch Bürgerinnen und Bürger tun gut daran, kleine Schilder und Zusatztafeln zu lesen, bevor sie aussteigen.

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