Unermessliche Erleichterung

Nahost Nach zwei Jahren der Ungewissheit sind die verbliebenen 20 israelischen Geiseln der Hamas frei. Das ganze Land verfolgte vor den TV-Geräten ihre Rückkehr.

Historisch. Das ist das Wort, das immer wieder fällt im israelischen Fernsehen am Montagmorgen, während der Live-Berichterstattung zur Rückkehr der letzten Geiseln. Das ist kein falsches Pathos, keine Zuspitzung zur Stärkung der Headlines. Es entspricht dem, was zahllose Israelis an diesem Morgen empfinden dürften, während sie voller Anspannung vorm Fernseher verfolgen, wie die Geiseln, deren Gesichter ihnen so vertraut geworden sind, zum ersten Mal seit zwei Jahren auf israelische Soldaten treffen.

Alon Ohel, 24, der begabte Klavierspieler, der vorhatte, Musik zu studieren. Omri Miran, 48, Vater zweier Töchter, die Jüngere bei seiner Entführung noch ein Baby, nun ein Kleinkind mit geflochtenen Zöpfen, das sich an seinen Vater nicht erinnern kann. Es gibt wohl kaum einen Menschen in Israel, der sie nicht kennt, die Geschichten der letzten Geiseln. Und der den Tag ihrer Rückkehr nicht herbeigesehnt hat, als kenne er sie persönlich, Alon und Omri, die Zwillinge Ziv und Gali Berman und all die anderen, deren Gesichter im ganzen Land von Hauswänden und Bushaltestellen, von Autofenstern und T-Shirts lächeln.

Die Hamas übergab die letzten überlebenden Geiseln am Montagvormittag in zwei Gruppen ans Rote Kreuz, zuerst sieben, dann die übrigen 13. Bei vergangenen Freilassungen hatte die Hamas die Geiseln vor jubelnden Anhängern auf Bühnen präsentiert, einige von ihnen gezwungen, Lobesworte für ihre Peiniger zu sprechen. Dieses Mal verzichtete die Hamas auf derartige Propagandashows – so sieht es der Plan des US-Präsidenten Donald Trump vor, auf den Israel und die Hamas sich vergangene Woche geeinigt hatten. Trump selbst sprach am Montag vor dem israelischen Parlament in Jerusalem, der „Knesset“, wo er die Freilassung der in Gaza verbliebenen Geiseln als „unglaublichen Triumph für Israel und die Welt“ bezeichnete. Nun ende ein „langer und schmerzhafter Albtraum“ für Israelis und Palästinenser. Zudem traf Trump im Parlament Geiseln und ihre Familien.

Die ersten Bilder der befreiten Geiseln, die in Gaza in einen Wagen des Roten Kreuzes stiegen, lösten in Israel Erleichterung aus: Die früheren Geiseln konnten auf eigenen Beinen stehen. Nach allem, was über ihre Gefangenschaft bekannt ist – Verletzungen, die unbehandelt blieben, systematisches Aushungern, wochenlange Fixierung durch schwere Eisenketten und monatelange Gefangenschaft in dunklen Tunneln –, gilt allein das schon als gute Nachricht.

Zurück in Israel, brachten Soldaten der israelischen Armee die Befreiten zunächst in eine Aufnahmestation unweit der Grenze, wo sie nahe Angehörige treffen konnten und eine erste Untersuchung durchliefen. Omris Frau, Lishay Miran-Lavi, die zwei Jahre lang unermüdlich für die Rückkehr ihres Partners gekämpft hatte, postete am Montagmittag ein Foto von sich und Omri. „Papa Omri ist daheim“, schrieb sie dazu. Ein Clip in israelischen Medien zeigt, wie sie per Videocall mit ihren Töchtern spricht. „In nur ein paar Stunden“, sagt sie darin, „wird Papa euch umarmen, wenn ihr wollt, und einen Kuss geben, wenn ihr wollt, und ihr könnt ihm all eure Zeichnungen zeigen.“

Von der Aufnahmestation aus wurden die Befreiten per Helikopter zu verschiedenen Krankenhäusern im Zentrum des Landes geflogen, wo sie voraussichtlich die kommenden Tage, vielleicht auch Wochen bleiben werden, abhängig von ihrer physischen Verfassung. Länger als die körperliche Erholung dürfte jedoch das Heilen der inneren Wunden dauern – sofern das überhaupt möglich ist. Von früheren Rückkehrern ist bekannt, dass viele unter posttraumatischen Belastungsstörungen leiden, unter Flashbacks, Panikattacken und Schlafstörungen. Experten gehen davon aus, dass, trotz der jahrelangen psychologischen Betreuung, die der Staat Rückkehrern anbietet, einige Narben wohl für immer bleiben werden.

Vermutlich gilt das auch für die Gesellschaft als Ganzes. Israel ist ein kleines Land mit großen Familien und Freundeskreisen, fast jeder ist, auf die eine oder andere Weise, mit einer der Geiselfamilien verbunden. Manche Angehörige der Entführten, etwa Lishay Miran-Lavi, traten in den letzten zwei Jahren fast wöchentlich im Fernsehen oder Radio auf. Das Leiden der Geiseln war allgegenwärtig – und damit auch der Horror vom 7. Oktober, dem blutigsten Tag in der Geschichte des jüdischen Staates.

Sei es in Gesprächen mit Überlebenden des Terror-Angriffs, mit früheren Geiseln, ihren Angehörigen oder selbst Unbeteiligten – immer wieder fiel in Israel in den letzten zwei Jahren der gleiche Satz: Erst, wenn die letzten Geiseln zurück sind, können wir überhaupt damit beginnen, das Trauma zu heilen.

Die frühere Geisel Emily Damari fasste am Montag in Worte, was wohl viele Menschen in Israel empfinden. Im Januar, nach 15 Monaten Gefangenschaft in Gaza, hatte die Hamas sie freigelassen. Am Montagmittag, kurz nach der Freilassung der letzten Geiseln, sprach ein israelischer Fernsehsender am Telefon mit ihr. „Bis vor ein paar Stunden konnte ich mein Leben nicht richtig leben“, sagte Damari, die Stimme heiser vom Jubeln. „Erst jetzt kann ich damit anfangen, mein Leben von Neuem zu beginnen.“

Was kommt nach der Hölle?

Nahost Die Freude über die Freilassung der letzten 20 Geiseln in Israel ist riesig. Doch für die Betroffenen ist das Leiden noch lange nicht vorbei. Der Heilungsprozess werde Jahre dauern, sagt die Psychologin Vered Atzmon Meshulam.

Am 27. Februar, zweieinhalb Wochen nach seiner Rückkehr aus den Tunneln unter Gaza, gab die frühere Geisel Eli Sharabi dem israelischen Fernsehsender Kanal Zwölf ein Interview. „Ilana“, fragt Sharabi die Interviewerin, „weißt du, was es bedeutet, einen Kühlschrank zu öffnen?“ Sein Gesicht ist schmal, die Wangen hohl. „Die Menschen sollten darüber nachdenken, wenn sie zu Hause einen Kühlschrank öffnen“, fährt er fort. „Das bedeutet die ganze Welt.“ Am Ende des Satzes bricht seine Stimme. Ob er das Gefühl des Hungers beschreiben könne, fragt die Journalistin, Ilana Dayan. Seine Antwort kommt schnell. „Unmöglich.“

Wohl kein Außenstehender kann vollständig erfassen, was es bedeutet, eine Geisel der Hamas zu sein. Monatelang in engen Tunneln auszuharren, die Beine in Ketten, umgeben von Schmutz und Würmern, wie Sharabi und andere Rückkehrer es beschrieben haben. Von Hamas-Männern geschlagen zu werden, bespuckt und verspottet – und es hinzunehmen aus Angst, sie zu verärgern. Um jedes Pitabrot, jeden Schluck Wasser, jeden Toilettengang betteln zu müssen.

Am Montag hat die Hamas die letzten 20 noch lebenden Geiseln aus ihrer Gewalt entlassen. So wie es der Plan des US-Präsidenten Donald Trump vorsah, auf dessen erste Phase die Kriegsparteien, Israel und Hamas, sich vergangene Woche geeinigt hatten. Die Angehörigen der Entführten konnten den Tag ihrer Rückkehr kaum erwarten. Nicht nur sie, das ganze Land fieberte auf ihre Freilassung hin. Die ersten Bilder der Befreiten werden im israelischen Fernsehen in Dauerschleife gezeigt.

Nur der erste Schritt

Doch die Ankunft der Rückkehrer in Israel, das Wiedersehen mit ihren Familien ist nur der allererste Schritt auf einem langen, steinigen Weg. „Die Leute denken: In dem Moment, da der Entführte zurückkommt – da ist alles vorbei“, sagt Michael Levy im Gespräch mit dieser Zeitung. „Aber für ihn und die Familien fängt der Prozess damit erst an.“ Michael Levy ist der Bruder der früheren Geisel Or Levy, der 491 Tage in der Gewalt der Hamas ausharren musste. Anfang Februar kam er frei, zusammen mit Eli Sharabi und einem weiteren Mann, Ohad Ben Ami. Wie Eli Sharabi hatten die Terroristen auch Or Levy in Gaza hungern lassen. Sein bleiches, eingefallenes Gesicht erinnerte viele Menschen in Israel an Bilder von Holocaust-Überlebenden. In einem Interview mit dem israelischen Fernsehsender Kanal 13 erzählte Or Levy später, Hamas-Terroristen hätten ihn und seine Mitgefangenen mit Eisenketten gefesselt. „Es war eine schwere Kette mit einem Schloss. Ich konnte mein Bein nicht heben“, erzählte er. „Und so habe ich viele Wochen verbracht.“

Inzwischen sieht Or Levy besser aus, er hat an Gewicht zugelegt und Farbe gewonnen. Auch Eli Sharabi und andere Rückkehrer haben sich deutlich erholt. Doch schwerer als die körperlichen Folgen der Geiselhaft sind die seelischen Wunden. „Würdest du Or heute auf der Straße sehen, würde er dir völlig normal vorkommen“, sagt sein Bruder Michael Levy. „Aber die schlimmsten Momente sind die, in denen man allein ist.“

Experten bestätigen, dass der seelische Heilungsprozess der früheren Geiseln viele Jahre dauern dürfte. „Zwei Jahre in extremer Gefangenschaft hinterlassen tiefe Spuren in der menschlichen Psyche“, erklärt die Psychologin Vered Atzmon Meshulam, Leiterin der Resilienz-Abteilung bei der Hilfs- und Rettungsorganisation Zaka. „Das ist eine anhaltende Erfahrung völliger Kontrolllosigkeit, Isolation, täglicher Angst und oft auch Erniedrigung, in der die psychischen Überlebensmechanismen immer wieder aktiviert werden. Das ist der Nährboden für die Entstehung einer komplexen Traumafolgestörung, die sich nicht nur in belastenden Erinnerungen oder Angstzuständen äußert, sondern auch in Veränderungen des Identitätsgefühls, des Vertrauens in andere Menschen sowie der Fähigkeit, Emotionen zu regulieren und sichere Nähe zu erleben.“

Der israelische Staat bietet jedem der Rückkehrer umfangreiche Hilfen an: langfristige psychologische Betreuung, Sozialarbeiter als feste Ansprechpartner, finanzielle Hilfen, Unterstützung beim Wiedereinstieg in die Arbeitswelt. Doch auch die beste Unterstützung kann die Traumata einer solchen Extremerfahrung nicht ungeschehen machen. Vered Atzmon Meshulam geht davon aus, dass manche mentalen Leiden die Rückkehrer noch viele Jahre begleiten könnten – womöglich für den Rest ihres Lebens. „Die Folgen zeigen sich etwa in Schwierigkeiten, intime Beziehungen einzugehen – darüber berichten einige der bereits zurückgekehrten Geiseln –, in einem ständigen Gefühl von Bedrohung und Angst, in Schlafstörungen, Depressionen und einem beeinträchtigten Identitätsgefühl oder einer anhaltenden Entfremdung gegenüber der Realität.“ Die Rückkehrer sind zudem nicht die Einzigen, die Hilfe benötigen. Auch ihre Angehörigen hat die extreme Erfahrung unwiderruflich verändert.

Schmerzhafte Erinnerung

Michael Levy, früher hochrangiger Manager in einer internationalen Firma, hat während der Geiselhaft seines Bruders nicht arbeiten können. Seine gesamte Energie, seine Zeit, seine Konzentration widmete er dem Kampf für die Befreiung seines Bruders. „Ich bin von Interview zu Interview gerannt und durch die Welt geflogen und habe nie innegehalten und mich gefragt, wie ich mich fühle“, erzählt er. „Ich habe in dem Gefühl gelebt: Ich bin nicht Michael, ich bin der Bruder von Or, und ich habe nur eine einzige Aufgabe: ihn zurückzubringen. Und als er zurück war, wusste ich plötzlich nicht mehr, wer ich bin.“

Er selbst erhalte Unterstützung vom Staat, berichtet er, seine drei Töchter, die unter posttraumatischen Belastungsstörungen litten, allerdings nicht. Und die aktuellen Nachrichten rund um den Jahrestag des 7. Oktobers und den Deal zur Befreiung der letzten Geiseln wecke bei aller Erleichterung auch schmerzhafte Erinnerungen. „Jedes Ereignis kann einen zurückwerfen, alles kann jederzeit das Trauma wecken.“

Auch vor den 20 letzten Geiseln und ihren Familien liegt ein langer Weg der Erholung. Befreite durchliefen typischerweise drei Phasen, erklärt die Psychologin Atzmon Meshulam: „Unmittelbar nach der Rückkehr nach Hause erleben viele eine fast surreal wirkende Fremdheit: einerseits enorme Erleichterung und eine Welle kollektiver Umarmung durch die Gesellschaft, andererseits befinden sich Körper und Psyche immer noch im Überlebensmodus. Wenn die erste Zeit vorüber ist, tauchen tiefere, komplexere Schichten auf – Schuldgefühle, ein Gefühl der Entfremdung gegenüber einer Umwelt, die sich während ihrer Abwesenheit weiterentwickelt hat, und manchmal auch unerwartete emotionale Ausbrüche.“

Doch die Expertin macht auch Hoffnung: „Wir wissen, dass sich Menschen auch nach schweren Traumata erholen und weiterentwickeln können. Der Holocaust-Überlebende Viktor Frankl hat viel darüber geschrieben, dass das Finden von Sinn im Leiden ein Schlüssel zur seelischen Lebendigkeit und zur Fähigkeit sei, neu zu wachsen.“

Und vielleicht geben auch die Beispiele der bereits zurückgekehrten Geiseln ein wenig Hoffnung. Bei dem Angriff der Hamas vom 7. Oktober ermordeten die Terroristen Or Levys Frau Eynav, die Mutter seines heute vierjährigen Sohnes. Doch der Gedanke an seinen Sohn habe ihn in den Tunneln unter Gaza am Leben gehalten, erzählte Levy in einem Fernsehinterview: „Ich wollte nicht, dass er ohne Mama und Papa aufwächst.“

Der ehemals entführte Eli Sharabi wiederum verlor am 7. Oktober nicht nur seine Partnerin Lian, sondern auch ihre beiden gemeinsamen Töchter Noya und Yahel. Doch auch ihn hat das Erlebte nicht gebrochen. Er hat ein Buch über seine Erfahrungen geschrieben, vor den Vereinten Nationen gesprochen und unermüdlich für die Befreiung der letzten Geiseln gekämpft. „Ich habe nicht das Privileg, den ganzen Tag im Bett zu weinen“, sagte er einmal in einem Interview. „Ich habe eine zweite Chance bekommen. Ich bin frei, ich lebe. Freiheit ist unbezahlbar.“

Moore können nicht alles

Umwelt Bäume speichern Kohlenstoff und Wälder sind regelrechte CO2-Senken. Wer wollte das bezweifeln? Dabei sind manche Zweifel angebracht. Und brauchen wir durch Vernässung wirklich mehr Moore in Deutschland?

Immer weiter läuft die digitale Zählmaschine auf der Internetseite „Wald ist Klimaschützer“. Sie zählt die CO2-Tonnen, die der deutsche Wald seit 2020 aufgenommen hat. Es sind nun weit über 400 Millionen. „Die Forstwirtschaft ist der einzige Wirtschaftsbereich, in dem Kohlenstoff gebunden wird“, sagt Irene Seling, Hauptgeschäftsführerin des Verbandes AGDW – Die Waldeigentümer. „Im Durchschnitt sind das fast acht Tonnen CO2 pro Jahr und Hektar“, sagt Seling. Ihr Verband betreibt die Klimaschutz-Internetseite. Aber als im vergangenen Jahr der damalige Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) die neue Waldinventur vorstellte, sprach er davon, der Wald wäre zu einer „Kohlendstoffquelle geworden“. Ist das wirklich so?

„Unsere Wälder sind sehr lange, teilweise über Jahrhunderte gewachsen. Dabei haben sie viel CO2 gespeichert“, sagt Thomas Riedel vom Institut für Waldökosysteme in Eberswalde. „Beginnend mit den Herbststürmen in 2017, der anschließenden Frühjahrstrockenheit und Wärme in 2018 konnte sich der Borkenkäfer sehr gut verbreiten.“ Bäume, vor allem Fichten, starben ab. In Summe wurde so mehr CO2 abgegeben als durch Photosynthese gebunden wurde, „sodass die Kohlenstoffbilanz in dieser Zeit negativ war.“ Ist der Wald also zum Klimakiller geworden?

Irene Seling schüttelt den Kopf. „Die immer wieder formulierte Behauptung, der Wald sei von der CO2-Senke zur CO2-Quelle geworden, gilt vorerst nur für die Kalamitätsperiode von 2017 bis 2022.“ Und: „Die alleinige Ausrichtung auf die weitere Erhöhung der Holzvorräte führt in eine Sackgasse.“

Bei den Holzvorräten geht es um alles Holz, das auf einer Fläche steht. Ist aber der Baumbestand zu hoch und zu dicht, bekommt nachwachsender Wald zu wenig Licht. Der Holzvorrat in Deutschland liegt um 85 Prozent höher als der europäische Durchschnitt.

„Für die Stabilisierung der Klimafunktion des Waldes brauchen wir mehr junge, heranwachsende Bestände, nicht einfach mehr Holz auf der Fläche“, sagt die Verbandsgeschäftsführerin Seling. „Junge Wälder sind die besten Klimaschützer. Denn pro Hektar ist die Bindung von Kohlendioxid durch den Holzzuwachs in jüngeren Beständen viel höher als in älteren.“

Mittlerweile ist ein Drittel des deutschen Waldes älter als 100 Jahre. „Wie man damit umgeht, muss man politisch aushandeln“, sagt der Wissenschaftler Thomas Riedel. „Will man die häufig sehr hoch bewerteten ökologischen Leistungen eines alten Waldes, der vielleicht mehr zur Biodiversität beiträgt? Oder will man momentan mehr das Klima schützen und braucht deswegen eigentlich jüngere Wälder?“ Laut Waldeigentümerverband ist in den letzten drei, vier Jahrzehnten ungefähr ein Drittel des Zuwachses verlorengegangen. Zu dichte und alte Wälder sind aber stets in Gefahr Trockenheit, Stürmen oder Schädlingen zum Opfer zu fallen.

Irene Seling sieht noch ein anderes Problem. Der Waldumbau setzt auf Laubbäume. „Laubbäume wachsen nun einmal langsamer und ihr Holz lässt sich bei weitem nicht so gut stofflich nutzen wie Nadelholz.“ Das bedeutet: Aus Fichten oder Kiefern werden zu 80 Prozent Produkte, die den Kohlenstoff dauerhaft speichern. Laubhölzer werden zu 80 Prozent verbrannt, „Die Mischung macht es“, sagt Thomas Riedel. „Man braucht Buchen, man braucht Eichen, man braucht bestimmte Nadelhölzer.“ Dem würde Irene Seling nicht widersprechen. Keiner will zu Holzplantagen zurück.

Und was ist mit der künftigen Klimaschutzfunktion? „Auf politischer Ebene muss das Klimaschutzgesetz angepasst werden, in dem unrealistisch hohe Ziele für den CO2-Speicher Wald fixiert sind“, sagt Seling. „Überhaupt wird der hiesige Wald als CO2-Senke überschätzt“, meint Riedel. Man sehe ja, dass der Wald sogar zum Emittenten werden könne.

Trockenheit und Schädlinge

Eine Alternative könnten Moore sein. Umweltminister Carsten Schneider (SPD) hat ein Papier vorgelegt, in dem es um die „Weiterentwicklung des Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz“ geht. Zu den Mooren heißt es: „Entwässerte Moorböden sind die größte Quelle von Treibhausgasen im Landnutzungssektor. Sie verursachen mehr als sieben Prozent Treibhausgasemissionen in Deutschland“. Daher sei Wiedervernässung „ein besonders wichtiges Ziel des Aktionsprogramms.“

Moore gehören zu den Feuchtgebieten, die nur ein Prozent der Erde bedecken, aber 20 Prozent des Kohlenstoffs binden. Nicole Wellbrock vom Thünen-Institut hält Wiedervernässungen aus Klimaschutzgründen für sinnvoll, sagt aber, „eine nasse Fläche wird mit den bisherigen Methoden nicht mehr bewirtschaftbar sein. Förderungen für Landwirte, denen die Flächen gehören seien nötig. Auch beim Moor ginge es übrigens nicht nur um die Kohlenstoffbindung. „Der Landschaftwasserhaushalt kann profitieren. Auch als Auffangbecken bei Fluten eignen sich Moore. Negativ könnte sich vermehrte Insektenpopulationen auswirken.“In kleinerem Umfang könnten auch Waldflächen vernässt werden. Aber „nur wenn Landwirte und Waldbesitzende der Wiedervernässung etwas Positives abgewinnen, wird dies ein Erfolg werden“.

Kommentar

Tag der Freude

Nach zwei Jahren kehren die letzten Geiseln der Terrororganisation Hamas nach Hause zurück, in Gaza schweigen die Waffen. Das gibt Hoffnung.

Dieser Montag war ein Tag, wie ihn die Welt nicht so oft erlebt hat in den vergangenen Jahren, ein Tag der Freude, ein Tag des Lachens, des Tanzes, der Zuversicht. Vom Platz der Geiseln in Tel Aviv ging eine Erleichterung und Dankbarkeit aus, die Menschen in allen anderen Ländern ergriffen hat. Nach zwei Jahren Angst und Sorge, nach Qual und Folter kehren die vor zwei Jahren von der Terrororganisation Hamas zu Geiseln genommenen Menschen in ihre Heimat zurück. Nach fast zwei Jahren Krieg können auch die zwei Millionen Palästinenser im Gaza-Streifen aufatmen, die Waffen schweigen, die israelischen Streitkräfte ziehen sich zurück, die internationale Hilfe läuft an.

Hätte jemand diesen Tag noch vor wenigen Wochen in Aussicht gestellt, er oder sie wäre verlacht worden als hoffnungsloser Optimist, als Träumer. Die Dauer-Demonstranten auf dem Geiselplatz hatten zwar immer auf den Tag der Rückkehr gehofft, aber sie konnten angesichts der erbarmungslosen Haltung der Hamas und des brutalen Vorgehens Israels in Gaza nicht wirklich davon überzeugt sein, ihre Männer, Väter, Brüder, Söhne und Freunde wieder in den Armen zu halten. Umso schmerzhafter muss der Tag für die Angehörigen der 28 Geiseln gewesen sein, die nicht nach Hause kommen, weil sie in der Gefangenschaft der Hamas gestorben sind.

Bei aller berechtigter Kritik an US-Präsident Donald Trump: Er und sein Team waren es, die diesen Tag möglich gemacht haben. Durch Druck auf Israel, Druck auf die Hamas und eine intensive Absprache mit den arabischen Staaten, die wiederum die Hamas davon überzeugen konnten, ernsthaft in den Friedensprozess einzusteigen und die Geiseln freizulassen.

Natürlich muss man sich fragen, ob die Freude über diesen Tag andauern und in einen echten Frieden münden kann. Dagegen spricht die Geschichte: die von vor 75 Jahren und die aus den vergangenen Wochen und Monaten. Erst vergangene Woche nahm sich einer der Überlebenden des von der Hamas überfallenen Nova Festivals das Leben, weil er die Ereignisse des 7. Oktobers nicht verarbeiten konnte. Warum, das zeigt eine gerade in Berlin eröffnete Ausstellung über die Schrecken dieses Tages. Doch auch die Menschen im Gaza-Streifen werden den israelischen Kriegszug nicht vergessen, die Angst vor den Bomben, die beständige Flucht, den Hunger, den Tod ihrer Freunde und Angehörigen.

Wunden müssen heilen und dafür brauchen sie Zeit. Eigentlich. Im Friedensprozess aber ist keine Zeit der Heilung vorgesehen. Zu groß wäre die Gefahr, dass destruktive Kräfte wieder den Kurs bestimmen. Nein, Israelis und Palästinenser müssen verwundet, verbittert und wütend zueinander finden. Geeint werden sie nur von der gemeinsamen Einsicht, dass es so wie in den vergangenen zwei Jahren nicht weitergeht, nicht weitergehen kann.

Die Chance auf Frieden, sie ist da, und an diesem Tag strahlt sie hell in die gesamte Welt hinaus. Nun gilt es, sie zu ergreifen und den mühsamen Weg der Versöhnung zu gehen. Die Chance auf ewigen Frieden, wie Trump ihn in Aussicht stellte, sie ist klein. Doch nicht zu klein, als dass sie nicht von beiden Seiten ergriffen werden müsste.

leitartikel@swp.de

Kommentar

Schubs in die Realität

Allein im Haushalt 2027 fehlen 34 Milliarden Euro. Ohne Sparen wird es nicht gehen, daher kündigt Finanzminister Lars Klingbeil (SPD) für den Jahreswechsel ein Sparpaket an. Streit ist vorprogrammiert.

Der eine Koalitionsausschuss ist soeben über die Bühne gebracht worden, da plant der Finanzminister schon den oder die nächsten. Denn laut Lars Klingbeil soll um den Jahreswechsel der Fahrplan der Koalition stehen, wie zumindest das Loch im Haushalt 2027 von 34 Milliarden Euro geschlossen wird. Und das wird zu Diskussionen führen.

Trotz gelockerter Schuldenbremse und Hunderten Milliarden Euro Schulden in zwei Sondervermögen fehlt in der Finanzplanung bis 2029 viel Geld – und trotz des Finanzminister-Mantras aus „Investitionen, Strukturreformen und Konsolidierung“ wurden bisher vor allem mehr Ausgaben beschlossen. Von Sparanstrengungen kaum eine Spur. Nun also schubst der Minister seine Regierungskollegen etwas näher an die prekäre Haushaltsrealität.

Das geplante „gerechte“ Sparpaket dürfte die eine oder andere Nachtsitzung nach sich ziehen. Denn Ausgaben kürzen, das tut niemand gern – auch Minister der Union nicht. Doch dass der Finanzminister seit Wochen dafür plädiert, auch die Wohlhabenden des Landes stärker in seine Finanzierungspläne einzubeziehen, dürfte noch für gewaltigen Streit beim Koalitionspartner der SPD sorgen, denn für die Union sind Steuererhöhungen eigentlich ein rotes Tuch.Immerhin hat Fraktionschef Jens Spahn (CDU) so etwas wie ein Türchen aufgestoßen mit seiner Aussage, dass die Vermögensverteilung in Deutschland problematisch sei.

Doch auch ein weiterer Plan des Finanzministers provoziert finanzkonservative Haushaltspolitiker: Schon länger liebäugelt Klingbeil damit, auch die Zinskosten der Kredite für die Verteidigungsausgaben aus der Schuldenbremse auszunehmen und so seinen Spielraum in der Finanzplanung etwas zu erweitern.

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