Musiklegende Sabine Meyer beendet ihre Bühnenkarriere. Mit ihrem Engagement prägte die gebürtige Crailsheimerin die Klarinettenwelt und generationsübergreifend junge Talente.
Mit Sabine Meyer verlässt eine wegweisende, aus Onolzheim stammende Musikerin Ende des Jahres die Bühne. Ohne ihren Einsatz für die Bassettklarinette hätte man nie Mozarts Klarinettenkonzert so oft im Originalton gehört. Ohne ihr Wirken als Professorin an der Musikhochschule Lübeck würde es nicht all die begeisternden jüngeren Klarinettistinnen und Klarinettisten geben. Und ohne ihr riesiges Engagement für die Musik insgesamt wäre die Welt der Musik um viele schöne Momente ärmer.
Sie haben Anfang dieses Jahres bekannt gegeben, dass Sie zu Jahresende Ihre Bühnenkarriere beenden möchten. Was ist der Grund dafür?
Sabine Meyer: Für mich war immer wichtig, dass man aufhört, solange man noch gut ist – und wenn man sich vor allem wohlfühlt auf der Bühne. Es ist im Arbeitsleben von uns Musikerinnen und Musikern so, dass die Konzerte bis zu zwei Jahre im Voraus geplant sind – nur: Was wird dann sein? Ich habe diesen Musikbetrieb 45 Jahre lang mitgemacht, verbunden mit vielen Entbehrungen. Und ich finde, es gibt jetzt auch noch ein anderes Leben. Mein Mann und ich haben vier Enkelkinder, einen Hund, Pferde und einen Garten. All das ist jetzt einfach wichtig. Viele bewundern das, dass ich aufhöre, und sagen: Ich könnte das nie! Und andere wiederum sind entsetzt und meinen: Wie kannst du nur! (lacht) Ein bisschen traurig ist es natürlich schon, gerade, weil man sich einfach noch so gut fühlt dabei, vor allem die wunderbaren Stücke nicht mehr zu spielen. Dann kommt noch hinzu, dass man all die Jahrzehnte mit so unglaublich wundervollen Musikern zusammengespielt hat. Es ist immer ein letztes Mal jetzt.
Es ist also auch Wehmut dabei?
Ja, natürlich. Die vielen Jahre gehen nicht spurlos an einem vorüber. Ich habe so unglaublich viel gemacht: mit Unterrichten an der Musikhochschule, Kammermusik, Solokarriere, ich habe mit Orchestern gespielt … Ich finde aber wichtig zu betonen: Es ist bei Bläsern etwas anders als etwa bei Streichern, die bis ins hohe Alter noch auftreten. Die Mundmuskulatur baut bei Bläsern im Alter einfach ab. Es gibt anspruchsvolle und auch physisch fordernde Stücke, und ich denke mir: In zwei Jahren, was wird dann sein? Außerdem bin ich froh, wenn es die ganzen Begleiterscheinungen nicht mehr gibt, wie: schlecht schlafen im Hotel und das viele Reisen. Und die Entbehrungen. Ich musste etwa wegfahren, als die Kinder noch klein waren und krank. Oder: Du musst auf die Bühne, obwohl du dich nicht gut fühlst. Bloß kein Konzert absagen! Was mich darüber hinaus auch besonders stresst, ist die Materialfrage, also das Holzblatt am Mundstück der Klarinette: Wenn du in München spielst, funktioniert es anders als in Lübeck, wo du losgefahren bist. Oder du spielst auf 1000 Meter Höhe: Da klingt es völlig anders oder gar nicht. Aber du musst spielen, und das Publikum weiß nichts von deinen Problemen.
Bei so einer langen Karriere stellt sich die Frage danach, was Sie von dieser Zeit auf keinen Fall missen wollten.
Ich habe all die Jahre das Glück gehabt, auf so einem hohen Niveau spielen zu können und zu dürfen, und immer mit wunderbaren Orchestern, ob es meine erste Stelle beim Bayerischen Rundfunk war, dann kam diese leidliche Berlin-Geschichte (Herbert von Karajan und die Berliner Philharmoniker), auf die zehn Jahre Lucerne Festival Orchestra unter Claudio Abbado folgten. Das war alles großartig, Weltklasse! Ich hatte auch immer das Glück, dass ich von Anfang an bei einer der besten Konzertagenturen Deutschlands gelandet bin: die Konzertdirektion Schmid in Hannover. Ich konnte mir da immer aussuchen, wie viel ich mache und mit wem und was. Ich hätte mir nichts anderes erträumen können. Eigentlich kann und will ich da gar nichts herausheben. Das war alles so klasse und super! Mein Mann Reiner Wehle und ich hatten großartige Studenten hier in Lübeck, die auch Weltkarriere gemacht haben.
Lübeck ist Ihr Lebensmittelpunkt ...
Lübeck ist für uns einfach eine wunderbare Stadt, verbunden mit großer Lebensqualität und vielen guten Freunden. Das ganze Umfeld von Lübeck ist so vielfältig und reich – von der Ostsee bis zur Holsteinischen Schweiz. Es ist viel zu schön, um wahr zu sein. Wir haben außerdem noch einen Bauernhof, nur 15 Kilometer entfernt. Ich bin bisher immer nur auf dem Sprung gewesen in meinem Leben. Ich konnte nicht richtig in der Erde graben mit meinen Fingern, weil es hätte ja etwas passieren können. Beim Biogarten kann ich künftig meinem Mann etwas mehr zur Seite stehen. Und ich muss nicht immer denken: Eigentlich sollte ich jetzt üben.
Haben Sie geplant, nach dem Ende der Bühnenkarriere vereinzelt noch Konzerte zu geben?
Peu à peu aufzuhören, ist angesichts der Materialfrage schwierig. Da muss man einfach dabeibleiben, auch kräftemäßig und vom Ansatz her. Das bedeutet dann, jeden Tag drei Stunden zu üben, nur um den Ansatz zu halten. Das war einfach keine Option für mich.
Aber ganz der Musik entsagen werden Sie wohl nicht, oder?
Ich gebe noch Meisterkurse bei Festivals oder an verschiedenen Hochschulen. Das mache ich gerne. Oder ich werde verstärkt in Jurys gehen. Ich war gerade beim ARD-Musikwettbewerb in München in der Jury.
Das Konzert in Künzelsau-Gaisbach war Ihr letztes hier in der Region?
Am Samstagabend spielte ich in Künzelsau tatsächlich mein letztes Solistenkonzert: das Doppelkonzert von Max Bruch zusammen mit dem Bratschisten Nils Mönkemeyer und den Würth Philharmonikern. Ich trete dann insgesamt noch bis zum 15. Dezember mit Kammermusik auf. An diesem Tag ist mein letztes Konzert, und zwar in Bern. Dann ist es vorbei. Das sind aber noch 24 Konzerte. Das fühlt sich im Moment noch nicht nach Aufhören an. Daran denke ich jetzt auch gar nicht. Also ich gehe nicht auf die Bühne und sage: Oh Gott, das ist jetzt mein letztes Brahms-Klarinettenquintett! Da fange ich gleich an zu weinen.
Wie ist es denn mit Crailsheim und Onolzheim? Sind Sie da noch ab und zu?
Mein Mann hat immer gesagt: Das ist die Basisstation. So ist es im Grunde heute noch. Es gibt nette Leute in Onolzheim, die ich jedes Mal besuche. Natürlich gehen wir dort auch auf den Friedhof zu den Gräbern. Ich liebe die Gegend um Crailsheim; da gehen wir gern spazieren. Und überhaupt möchten mein Mann und ich künftig auch reisen! Bisher stand das immer mit der Musik in Verbindung. Die Leute sagten: Du warst in Taiwan, du warst in Seoul und in New York. Schön, aber ich habe herzlich wenig davon gesehen. Du kannst dir nicht den ganzen Tag die Stadt anschauen, wenn du abends ein Konzert zu geben hast. Und so etwas – und da freue ich mich richtig darauf – geht jetzt: dass man da hinfährt und für sich die Gegend und die Städte erobert, sich alles anschauen und entspannter genießen kann. Mein Mann schmiedet immer Pläne und fragt: Wo willst du noch überall hinfahren?
Mehr zu Sabine Meyers letztem Solistenkonzert auf Seite 15