Soziales Tausende Frauen in Baden-Württemberg entscheiden sich jedes Jahr für einen Schwangerschaftsabbruch. Wer sie sind und was ihre Entscheidung beeinflusst.
Vorfreude, Erleichterung, Herzklopfen, Panik: Ein positiver Schwangerschaftstest kann vollkommen unterschiedliche Gefühle auslösen. Es ist ein Moment, der eine Entscheidung anstößt. Dafür oder dagegen? Kaum ein Thema polarisiert und spaltet die Gesellschaft so sehr wie Schwangerschaftsabbrüche.
Im Jahr 2024 haben in Baden-Württemberg laut Statistischem Bundesamt 97.507 Frauen die Schwangerschaft ausgetragen, 11.075 entschieden sich für einen Schwangerschaftsabbruch. Aber wer sind die Frauen, die sich in Baden-Württemberg für einen Schwangerschaftsabbruch entscheiden? Welche Sorgen haben sie? Und warum entscheiden sie sich für einen Abbruch?
Fast alle Frauen, die sich gegen ihre Schwangerschaft entscheiden, müssen zur Beratung. Nur so bleibt der Abbruch straffrei. Bei diesen Gesprächen treffen die ungewollt Schwangeren auf Menschen wie Jana Müller oder Kirsten Schmitz. Beide arbeiten für den Verband Profamilia in der Schwangerschaftskonfliktberatung. Die eine seit zweieinhalb Jahren in Konstanz, die andere seit fünfzehn Jahren in Heidelberg.
Auf den ersten Blick haben die Frauen, die den Beraterinnen im Gespräch gegenübersitzen, kaum etwas gemeinsam. Schmitz erinnert sich noch gut an eine sehr christliche Frau, für die ein Abbruch bis dahin nie denkbar war. „Sie sagte mir, Sie sind die Erste, mit der ich über diese Schwangerschaft spreche.“ Und an eine Feministin, ungeplant schwanger. Deren Vorannahme, sich klar für einen Abbruch entscheiden zu können, plötzlich ins Wanken geriet. „Sie meinte im Gespräch, das ist gar nicht so einfach“, erzählt Schmitz. Die Beraterinnen berichten auch von Frauen, denen ein weiteres Kind zu viel gewesen wäre. Und von jenen, die nicht alleinerziehend sein wollen. Von Studierenden und Ehepaaren. Und von Frauen ohne ausreichende finanzielle Mittel oder familiäre Unterstützung.
Die Gründe für einen Schwangerschaftsabbruch sind so vielfältig wie die Frauen selbst. Das zeigen auch die Daten des Statistischen Landesamts in Baden-Württemberg. So waren im Jahr 2024 beispielsweise 6.400 der abbrechenden Frauen ledig und 4.240 verheiratet. Weitere 415 Frauen waren geschieden und 20 verwitwet. Seit 2021 steigt die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche im Südwesten insgesamt leicht an.
Grund dafür könnte die Angst um existenzielle und finanzielle Sicherheit sein. „Diese Sorge hat in den letzten Jahren sehr zugenommen“, sagt Kirsten Schmitz. Schwangere würden sich fragen, „werde ich mit noch einem oder überhaupt einem Kind dem Lebensstandard gerecht, den ich mir für meine Familie gewünscht habe?“ Laut der sogenannten ELSA-Studie hatten 57,6 Prozent der Frauen, die sich 2023 bundesweit für einen Schwangerschaftsabbruch entschieden, bereits ein oder mehrere Kinder.
Jana Müller hört öfter Sätze wie: „Ich würde das Kind eigentlich gerne bekommen, wenn auch der Erzeuger dahinter stehen würde.“ Doch ohne familiäre Unterstützung sei die Angst, alleinerziehend zu sein, unglaublich groß. „Für viele ist da die Aussicht, sich am Existenzminimum mit ständigen Unterhaltsthemen herumschlagen zu müssen“, sagt Müller. „Es ist leider so, dass es von Landesseite aus nicht sehr attraktiv gemacht wird, Kinder alleine großzuziehen.“
Laut Strafgesetzbuch müssen Frauen, die abbrechen wollen, bei einem anerkannten Träger eine verpflichtende Beratung besuchen. Zusätzlich müssen zwischen Beratung und Eingriff drei Tage liegen. Bis Ende der zwölften Schwangerschaftswoche ist der Abbruch möglich. Laut der ELSA-Studie hat die verpflichtende Beratung in den allermeisten Fällen keinen Einfluss auf die Entscheidung der Frauen.
Allerdings dürfen Frauen in Deutschland noch in zwei weiteren Situationen abbrechen. Aus medizinischen Gründen, wenn also Leben oder Gesundheit der Frau durch die Schwangerschaft gefährdet sind – im Südwesten betraf das 2024 genau 635 Frauen. Oder aus kriminologischen Gründen, also wenn der Schwangerschaft eine Straftat zugrunde liegt. Das kann eine Vergewaltigung sein, ist aber auch der Fall, wenn ein schwangeres Mädchen unter 14 Jahre alt ist. Der Abbruch darf in diesem Fall nur bis Ende der zwölften Schwangerschaftswoche erfolgen. 2023 betraf dies im Land zwei Schwangere, im vergangenen Jahr keine.
Ängste und Scham
Den drei Kategorien für Abbrüche stehen unterschiedliche Vorurteile gegenüber: zu jung, egoistisch, verantwortungslos und „zu doof zum Verhüten“, fasst Müller zusammen. Allerdings seien die meisten ihrer Klientinnen in Konstanz eher in den Dreißigern, häufig mit abgeschlossener Familienplanung: „Es gibt viele Frauen, die sagen: Ich dachte, mir würde sowas nicht passieren.“ In Heidelberg, einer Studentenstadt, sitzen Kirsten Schmitz häufig Frauen Mitte zwanzig oder Anfang dreißig gegenüber: „Viele machen sich Gedanken über die Vereinbarkeit von Familie und Karriere und darüber, wie gut wohl der Berufseinstieg gelingt, wenn sie jetzt ein Kind bekommen.“
Hinzu kommen Verzweiflung, Scham und Einsamkeit. Die Auseinandersetzung mit der eigenen Moral, die Angst, verurteilt und bewertet zu werden: „Der tatsächliche Entscheidungsprozess der Frauen beginnt mit dem positiven Schwangerschaftstest“, sagt Schmitz. Viele Gefühle, ein unglaubliches Stresslevel. Hartnäckig hält sich das Vorurteil, dass Frauen einen Schwangerschaftsabbruch immer bereuen – doch die Realität sieht anders aus.
In der ELSA-Befragung gaben 92,4 Prozent der Frauen rückblickend an, sicher oder eher sicher zu sein, dass ihre Entscheidung zum Schwangerschaftsabbruch richtig war. Gleichzeitig waren Frauen, die eine ungewollte Schwangerschaft ausgetragen haben, zu 96,8 Prozent sicher, richtig entschieden zu haben.
„In diesen konkreten Momenten gibt es kein richtig und kein falsch“, findet Jana Müller. Es gebe nur stimmige Entscheidungen. Jene, auf die man in der Biografie zurückblicke und sagen könne, das war für mich unter diesen Umständen die beste Entscheidung, die ich treffen konnte. „Aber die meisten Frauen kämpfen damit“, sagt Müller. Sie kämpfen mit ihrer Entscheidung.
Das Leben gestalten
Aber immerhin dürfen sie entscheiden, oder? „Ja, denn was passiert, wenn eine Frau ungewollt schwanger bleiben muss? Das ist das Gruseligste, was man sich in Bezug auf körperliche Selbstbestimmung vorstellen kann“, sagt Schmitz. „Jede Frau, die sich mit einem Schwangerschaftsabbruch auseinandersetzt, hat eine Gestaltungsfähigkeit für ihr Leben“, so die Beraterin weiter. „Vorausgesetzt, ihr Umfeld ermöglicht das, lässt sie diesen Prozess nicht passiv über sich ergehen. Sie entscheidet.“