Bayaz: Die Lage bleibt extrem angespannt

Zweimal im Jahr steigt bei den Haushältern in Bund und Ländern der Puls: Dann verraten die Experten im Frühjahr und Herbst, mit welchen Steuereinnahmen der Staat künftig rechnen kann. Laut aktueller Steuerschätzung können Bund, Länder und Kommunen mit einigen Milliarden Euro mehr Steuergeldern rechnen als erwartet. Das liegt vor allem an den Konjunkturerwartungen. Nun liegt die Prognose für Baden-Württemberg vor.

Wie ist die Lage im Südwesten? Baden-Württemberg kann nach Angaben des Finanzministeriums ebenfalls mit deutlich höheren Steuereinnahmen rechnen als bislang erwartet – und das trotz schwacher Konjunktur. Nach der aktuellen Schätzung stehen dem Land in diesem und im kommenden Jahr Mehreinnahmen von gut 1,5 Milliarden Euro zur Verfügung – gegenüber dem, was man bei der Aufstellung des Haushalts vor einem Jahr eingeplant hat. Das Steuerplus sei angesichts der wirtschaftlichen Stagnation „eher überraschend“, betonte Finanzminister Danyal Bayaz (Grüne). Die geplante Senkung der Mehrwertsteuer in der Gastronomie und die Steuerausfälle durch die erhöhte Pendlerpauschale sind bereits in die Berechnung eingeflossen.

1,5 Milliarden Euro mehr fürs Land – was bedeutet das nun? Erstmal gar nicht so viel. Der Doppelhaushalt der Landesregierung für die Jahre 2025 und 2026 hat ein Gesamtvolumen von rund 136 Milliarden Euro – da sind 1,5 Milliarden gerade mal rund ein Prozent, also ein Tropfen auf den heißen Stein. Auch Finanzminister Bayaz warnt vor zu viel Euphorie. Bei der Schätzung handle sich keineswegs um eine Trendumkehr. „Eine Schwalbe macht noch lange keinen Sommer. Die wirtschaftliche Lage bleibt weiterhin extrem angespannt.“ Alleine die Chipkrise in der Automobilindustrie zeige eindrücklich, wie fragil die Lieferketten immer noch seien, sagt Bayaz. „Das kann sich jederzeit auch auf die Steuereinnahmen auswirken.“ Zudem gebe es in der sogenannten mittelfristigen Finanzplanung ab dem Jahr 2027 eine Lücke von jährlich rund fünf Milliarden Euro. „Die müssen wir erst mal schließen, bevor wir über Mehrausgaben reden.“

Was passiert dann mit dem zusätzlichen Geld? Vor allem die notleidenden Kommunen sollen profitieren. Das Land benötige die Mehreinnahmen dringend, um seine finanziellen Zusagen an die Kommunen nachzukommen, heißt es aus dem Ministerium: Das Land hatte ihnen zusätzliche Unterstützung in Höhe von 550 Millionen Euro zugesagt. Zudem sollen die Kommunen weitere Mittel für die Inklusion an Schulen (87,2 Millionen Euro) und die Schulbegleitung an den Sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentren (47 Millionen Euro) erhalten.

Außerdem will das Land weiter Geld auf die hohe Kante legen – als „Vorsorge für künftige Steuermindereinnahmen“. Und da sich die Konjunkturprognose verbessert, darf das Land aus rechtlichen Gründen nun weniger Schulden machen als im Haushalt vorgesehen – konkret 288 Millionen Euro weniger. „Auch das muss durch das Steuerplus beglichen werden“, heißt es aus dem Finanzministerium.

Wie sieht die Steuerschätzung für die Kommunen aus? Nicht so gut. Wegen eines teilweise erheblichen Einbruchs bei der Gewerbesteuer erhalten die Kommunen nach der jüngsten Schätzung in diesem und nächstem Jahr 1,16 Milliarden Euro weniger als bislang erwartet – nämlich 526 Millionen Euro in diesem Jahr und 630 Millionen Euro im nächsten Jahr. Sie können die Hilfe vom Land also dringend gebrauchen.

Finanzen Baden-Württemberg erhält ein Steuerplus von 1,5 Milliarden Euro. Der Finanzminister warnt trotzdem vor Euphorie. Vom Geld sollen Kommunen profitieren.

Warum Frauen abtreiben

Soziales Tausende Frauen in Baden-Württemberg entscheiden sich jedes Jahr für einen Schwangerschaftsabbruch. Wer sie sind und was ihre Entscheidung beeinflusst.

Vorfreude, Erleichterung, Herzklopfen, Panik: Ein positiver Schwangerschaftstest kann vollkommen unterschiedliche Gefühle auslösen. Es ist ein Moment, der eine Entscheidung anstößt. Dafür oder dagegen? Kaum ein Thema polarisiert und spaltet die Gesellschaft so sehr wie Schwangerschaftsabbrüche.

Im Jahr 2024 haben in Baden-Württemberg laut Statistischem Bundesamt 97.507 Frauen die Schwangerschaft ausgetragen, 11.075 entschieden sich für einen Schwangerschaftsabbruch. Aber wer sind die Frauen, die sich in Baden-Württemberg für einen Schwangerschaftsabbruch entscheiden? Welche Sorgen haben sie? Und warum entscheiden sie sich für einen Abbruch?

Fast alle Frauen, die sich gegen ihre Schwangerschaft entscheiden, müssen zur Beratung. Nur so bleibt der Abbruch straffrei. Bei diesen Gesprächen treffen die ungewollt Schwangeren auf Menschen wie Jana Müller oder Kirsten Schmitz. Beide arbeiten für den Verband Profamilia in der Schwangerschaftskonfliktberatung. Die eine seit zweieinhalb Jahren in Konstanz, die andere seit fünfzehn Jahren in Heidelberg.

Auf den ersten Blick haben die Frauen, die den Beraterinnen im Gespräch gegenübersitzen, kaum etwas gemeinsam. Schmitz erinnert sich noch gut an eine sehr christliche Frau, für die ein Abbruch bis dahin nie denkbar war. „Sie sagte mir, Sie sind die Erste, mit der ich über diese Schwangerschaft spreche.“ Und an eine Feministin, ungeplant schwanger. Deren Vorannahme, sich klar für einen Abbruch entscheiden zu können, plötzlich ins Wanken geriet. „Sie meinte im Gespräch, das ist gar nicht so einfach“, erzählt Schmitz. Die Beraterinnen berichten auch von Frauen, denen ein weiteres Kind zu viel gewesen wäre. Und von jenen, die nicht alleinerziehend sein wollen. Von Studierenden und Ehepaaren. Und von Frauen ohne ausreichende finanzielle Mittel oder familiäre Unterstützung.

Die Gründe für einen Schwangerschaftsabbruch sind so vielfältig wie die Frauen selbst. Das zeigen auch die Daten des Statistischen Landesamts in Baden-Württemberg. So waren im Jahr 2024 beispielsweise 6.400 der abbrechenden Frauen ledig und 4.240 verheiratet. Weitere 415 Frauen waren geschieden und 20 verwitwet. Seit 2021 steigt die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche im Südwesten insgesamt leicht an.

Grund dafür könnte die Angst um existenzielle und finanzielle Sicherheit sein. „Diese Sorge hat in den letzten Jahren sehr zugenommen“, sagt Kirsten Schmitz. Schwangere würden sich fragen, „werde ich mit noch einem oder überhaupt einem Kind dem Lebensstandard gerecht, den ich mir für meine Familie gewünscht habe?“ Laut der sogenannten ELSA-Studie hatten 57,6 Prozent der Frauen, die sich 2023 bundesweit für einen Schwangerschaftsabbruch entschieden, bereits ein oder mehrere Kinder.

Jana Müller hört öfter Sätze wie: „Ich würde das Kind eigentlich gerne bekommen, wenn auch der Erzeuger dahinter stehen würde.“ Doch ohne familiäre Unterstützung sei die Angst, alleinerziehend zu sein, unglaublich groß. „Für viele ist da die Aussicht, sich am Existenzminimum mit ständigen Unterhaltsthemen herumschlagen zu müssen“, sagt Müller. „Es ist leider so, dass es von Landesseite aus nicht sehr attraktiv gemacht wird, Kinder alleine großzuziehen.“

Laut Strafgesetzbuch müssen Frauen, die abbrechen wollen, bei einem anerkannten Träger eine verpflichtende Beratung besuchen. Zusätzlich müssen zwischen Beratung und Eingriff drei Tage liegen. Bis Ende der zwölften Schwangerschaftswoche ist der Abbruch möglich. Laut der ELSA-Studie hat die verpflichtende Beratung in den allermeisten Fällen keinen Einfluss auf die Entscheidung der Frauen.

Allerdings dürfen Frauen in Deutschland noch in zwei weiteren Situationen abbrechen. Aus medizinischen Gründen, wenn also Leben oder Gesundheit der Frau durch die Schwangerschaft gefährdet sind – im Südwesten betraf das 2024 genau 635 Frauen. Oder aus kriminologischen Gründen, also wenn der Schwangerschaft eine Straftat zugrunde liegt. Das kann eine Vergewaltigung sein, ist aber auch der Fall, wenn ein schwangeres Mädchen unter 14 Jahre alt ist. Der Abbruch darf in diesem Fall nur bis Ende der zwölften Schwangerschaftswoche erfolgen. 2023 betraf dies im Land zwei Schwangere, im vergangenen Jahr keine.

Ängste und Scham

Den drei Kategorien für Abbrüche stehen unterschiedliche Vorurteile gegenüber: zu jung, egoistisch, verantwortungslos und „zu doof zum Verhüten“, fasst Müller zusammen. Allerdings seien die meisten ihrer Klientinnen in Konstanz eher in den Dreißigern, häufig mit abgeschlossener Familienplanung: „Es gibt viele Frauen, die sagen: Ich dachte, mir würde sowas nicht passieren.“ In Heidelberg, einer Studentenstadt, sitzen Kirsten Schmitz häufig Frauen Mitte zwanzig oder Anfang dreißig gegenüber: „Viele machen sich Gedanken über die Vereinbarkeit von Familie und Karriere und darüber, wie gut wohl der Berufseinstieg gelingt, wenn sie jetzt ein Kind bekommen.“

Hinzu kommen Verzweiflung, Scham und Einsamkeit. Die Auseinandersetzung mit der eigenen Moral, die Angst, verurteilt und bewertet zu werden: „Der tatsächliche Entscheidungsprozess der Frauen beginnt mit dem positiven Schwangerschaftstest“, sagt Schmitz. Viele Gefühle, ein unglaubliches Stresslevel. Hartnäckig hält sich das Vorurteil, dass Frauen einen Schwangerschaftsabbruch immer bereuen – doch die Realität sieht anders aus.

In der ELSA-Befragung gaben 92,4 Prozent der Frauen rückblickend an, sicher oder eher sicher zu sein, dass ihre Entscheidung zum Schwangerschaftsabbruch richtig war. Gleichzeitig waren Frauen, die eine ungewollte Schwangerschaft ausgetragen haben, zu 96,8 Prozent sicher, richtig entschieden zu haben.

„In diesen konkreten Momenten gibt es kein richtig und kein falsch“, findet Jana Müller. Es gebe nur stimmige Entscheidungen. Jene, auf die man in der Biografie zurückblicke und sagen könne, das war für mich unter diesen Umständen die beste Entscheidung, die ich treffen konnte. „Aber die meisten Frauen kämpfen damit“, sagt Müller. Sie kämpfen mit ihrer Entscheidung.

Das Leben gestalten

Aber immerhin dürfen sie entscheiden, oder? „Ja, denn was passiert, wenn eine Frau ungewollt schwanger bleiben muss? Das ist das Gruseligste, was man sich in Bezug auf körperliche Selbstbestimmung vorstellen kann“, sagt Schmitz. „Jede Frau, die sich mit einem Schwangerschaftsabbruch auseinandersetzt, hat eine Gestaltungsfähigkeit für ihr Leben“, so die Beraterin weiter. „Vorausgesetzt, ihr Umfeld ermöglicht das, lässt sie diesen Prozess nicht passiv über sich ergehen. Sie entscheidet.“

FDP will Landkreise auflösen

Stuttgart. Die FDP möchte die Landkreise in ihrer jetzigen Form auflösen. Das geht aus einem Papier des Parteichefs Hans-Ulrich Rülke hervor. „Mit 35 Land- und neun Stadtkreisen, die viele untere Behörden des Landes beherbergen, geht Geschwindigkeit und Kompetenz verloren“, heißt es darin. Die Freien Demokraten hatten bereits in ihrem Wahlprogramm zur Landtagswahl im März 2026 gefordert, alle Regionalverbände und Regierungspräsidien im Land abzuschaffen.Nun erläutert die Partei, wie sie ihre radikale Verwaltungsreform umsetzen möchte

Zunächst sollen die 12 Regionalverbände bis 2027 aufgelöst werden, ihre Aufgaben werden dann an die Landkreise übergeben oder ersatzlos gestrichen. Daraufhin sollen die 44 Land- und Stadtkreise in 13 größeren Verwaltungseinheiten aufgehen, den sogenannten Groß- oder Regionalkreisen. Die sollen zwar den gleichen regionalen Zuschnitt haben wie die zuvor aufgelösten 12 Regionalverbände – aber andere Aufgaben. Die Landeshauptstadt Stuttgart könne als eigenständige kreisfreie Stadt erhalten bleiben. Die Großkreise übernähmen zwar die Aufgaben der Landkreise, allerdings sollen Doppelstrukturen abgebaut werden, um Stellen und Geld zu sparen.

Deutlicher Stellenabbau

Aber was passiert mit den Landratsämtern? Bestehende örtliche Infrastruktur und Liegenschaften sollen dort, wo es sinnvoll sei, weiter genutzt werden können, schreibt die FDP. Die Landräte der Regionalkreise sollen künftig direkt vom Volk im jeweiligen Regionalkreis gewählt werden.

Ab 2031 will die FDP dann noch die Regierungspräsidien abschaffen, die durch die neuen Großkreise entbehrlich würden. Die Aufgaben des Straßenbaus würden auf die Landesebene übergehen. Um das Veterinärwesen, die Lebens- und Futtermittelüberwachung, den Hochwasserschutz und die Gewässerökologie sollen sich die Regionalkreise kümmern. Die Stabstellen für Klimaschutz an den Präsidien sollen aufgelöst werden.

Bis 2036 soll nach Plan der FDP jede fünfte Stelle in der Verwaltung durch digitale Prozesse und intelligente Automatisierung entbehrlich gemacht werden. Die Liberalen wollen dabei niemanden vorzeitig entlassen, sondern setzen auf „natürliche Fluktuation und reguläre Pensionierungen“.

Landtagswahlkampf Die Partei setzt sich für eine radikale Verwaltungsreform im Südwesten ein.

Mann zu elf Jahren Haft verurteilt

Prozess 30-Jähriger hatte sein Opfer aus dem Fenster gestoßen und es dann öffentlich vergewaltigt.

Tübingen. Das männliche Opfer lag schon schwer verletzt am Boden, als der Täter es vergewaltigte. Zuvor hatte der 30-Jährige den Mann aus dem Fenster geschubst. Der Täter muss jetzt für elf Jahre ins Gefängnis. Das Landgericht Tübingen behielt sich im Urteil eine Sicherungsverwahrung vor. Das bedeutet, dass vor der Entlassung geprüft wird, ob von dem bisher nicht vorbestraften Angeklagten eine Gefahr für die Allgemeinheit ausgeht. „Wir konnten uns nicht davon überzeugen, dass der Angeklagte einen Hang hat, schwere Straftaten zu begehen“, sagte der Vorsitzende Richter. Die Staatsanwaltschaft hatte wegen versuchten Totschlags und Vergewaltigung zwölf Jahre Gefängnis und eine Sicherungsverwahrung beantragt. Die Verteidigung plädierte auf Freispruch.

Nach den Urteilsfeststellungen hatte das 24 Jahre alte Opfer am 6. November mit dem angeklagten Mann Alkohol und Marihuana konsumiert. Gegen 18.20 Uhr habe der Angeklagte das Fenster geöffnet und den 24-Jährigen aus sieben Metern Höhe gestoßen. Das Opfer wurde schwer verletzt, zeitweise bestand Lebensgefahr. Der Angeklagte soll die Treppe heruntergelaufen sein und den Verletzten vergewaltigt haben. Zeugen schritten ein, der Täter flüchtete. Acht Tage nach der Tat wurde der 30-Jährige in Hamburg festgenommen.

Einen versuchten Totschlag sah das Gericht in Tübingen nicht. Den Stoß aus dem Fenster wertete die Kammer als gefährliche Körperverletzung. Täter wie Opfer sind Afghanen.

Hinweise auf menschliches Versagen

Horb am Neckar. Fünf Monate nach dem Absturz einer Transportgondel in Horb am Neckar (Kreis Freudenstadt) hat sich der Verdacht verstärkt, dass der Kranführer bei dem Unglück einen Fehler gemacht hat. Ein Sachverständiger habe festgestellt, dass eine technische Ursache am eingesetzten Kran ebenso ausgeschlossen werden könne wie am Kranseil oder an der Gondel, sagte ein Sprecher der Rottweiler Staatsanwaltschaft. „Die Anhaltspunkte haben sich verdichtet, dass menschliches Versagen ursächlich für den Geschehensablauf sein dürfte.“ Das sei auch das Ergebnis eines neuen Gutachtens.

Daher werde weiter gegen den Kranführer wegen des Anfangsverdachts der fahrlässigen Tötung ermittelt, sagte der Sprecher. Im Falle einer Verurteilung drohen ihm eine Geld- oder eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren. Was genau der Kranführer gemacht oder nicht gemacht haben soll, dazu macht die Staatsanwaltschaft weiter keine Angaben. Auch zur Nationalität des 36-Jährigen äußerte sie sich nicht.

Bei dem Unglück waren am 20. Mai drei Bauarbeiter ums Leben gekommen. Die an einem Kran hängende Transportgondel hätte sie auf einen Brückenpfeiler auf der Baustelle an der Hochbrücke Horb bringen sollen. Laut Staatsanwaltschaft hatte sich jedoch ein Stahlseil, an dem die Gondel befestigt war, in querlaufenden Drahtseilen verfangen und sei deshalb gerissen.

Gondelabsturz Ein Gutachten schließt technische Fehler als Ursache für das tödliche Unglück in Horb aus.

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