Von der Flucht zur Fürsorge

  • Vugar Gasimov hat mehr als einmal von vorn angefangen – und nie aufgehört, an das Gute zu glauben. Seine Geschichte erzählt von Verlust, Mut und Neubeginn. Maria Friesen

Integration Vugar Gasimov hat nach seiner Flucht aus der Ukraine in Stimpfach ein neues Zuhause gefunden. Tagsüber kümmert er sich im Seniorenheim in Fichtenau um Ältere, abends paukt er Deutsch.

Wenn Vugar Gasimov frühmorgens die Tür seiner kleinen Wohnung in Stimpfach schließt, beginnt ein langer Tag. Der 41-Jährige arbeitet Vollzeit als Pflegehelfer in einem Seniorenheim in Fichtenau. Und nach Feierabend sitzt er drei Stunden im Deutschunterricht an der Volkshochschule in Crailsheim. „Ich bin nicht nur ein Flüchtling – ich bin ein erfahrener Pflegefachmann, ein Mensch mit Verantwortung, ein Helfer mit Herz.“

Aserbaidschan, Israel, Ukraine

Es ist ein Satz, der Vugar Gasimovs Wesen gut beschreibt: ruhig, zugewandt, entschlossen – und auch immerzu fröhlich und optimistisch. Hinter ihm liegt ein bewegtes Leben – eines, das ihn von Aserbaidschan über Israel und die Ukraine bis nach Deutschland geführt hat. Ein Leben im Dienst anderer.

„Ich wurde am 6. Juni 1984 in der Autonomen Republik Nachitschewan geboren – einer Grenzregion Aserbaidschans zur Türkei, zum Iran und zu Armenien“, erzählt Gasimov. Schon früh lernt er, was Verantwortung bedeutet. Nach seinem Studium der Verwaltungswissenschaften und des Zollwesens leistet er beim aserbaidschanischen Katastrophenschutz seinen Wehrdienst. Dort rettet er Menschen aus Erdbebengebieten und lernt, wie zerbrechlich und zugleich wertvoll Leben ist: „Diese Aufgabe vermittelte mir tiefen Respekt vor dem Leben.“

Nach dem Jurastudium an der Staatlichen Universität Baku im Jahr 2007 trat Vugar Gasimov in den Dienst des Innenministeriums der Republik Aserbaidschan ein. Dort begann er seine Laufbahn zunächst als Polizeihauptfeldwebel: „Ich war in der Abteilung zur Bekämpfung organisierter Kriminalität tätig“, erinnert sich Gasimov. Es war eine Zeit intensiver Verantwortung und hoher Belastung. „Nach dem Abschluss der Polizeiakademie erhielt ich den Rang eines Offiziers und arbeitete als Bezirksbeauftragter in verschiedenen Polizeidienststellen Bakus.“

Doch trotz der Karriere zieht es ihn in den sozialen Bereich. Er beginnt, freiwillig in einem Polizeikrankenhaus zu arbeiten, und absolviert schließlich eine medizinische Ausbildung in der Türkei. In einem Altenheim in Ankara entdeckt er seine Leidenschaft für die Pflege.

Die folgenden Jahre führen ihn nach Tel Aviv, wo er sich zum Therapeutischen Masseur weiterbildet und in einem Pflegeheim arbeitet. „Diese Stationen haben mein Fachwissen vertieft und meine Leidenschaft für die Pflege gestärkt. Ich habe gelernt, mit Menschen unterschiedlicher Herkunft und Bedürfnisse zu arbeiten – stets mit Respekt, Geduld und Empathie.“

2018 zieht Vugar nach Charkiw in der Ukraine, um die medizinische Laufbahn fortzusetzen und gleichzeitig seine familiären Wurzeln zu ehren: „Meine Großmutter stammt aus der Ukraine.“ Er arbeitet im Krankenhaus, baut sich ein Zuhause auf, hält sich zwei Hunde – Rem und Leon – und betreibt eine kleine Geflügelfarm.

Doch als der Krieg beginnt, verliert er alles. „Mein Zuhause wurde durch russische Bombenangriffe vollständig zerstört. Meine Tiere starben, meine Geflügelfarm wurde vernichtet, mein Besitz ging verloren.“ Während seiner Flucht wird sein Auto beschossen. Ein Freund wird verletzt. „Ich konnte nicht nach Aserbaidschan zurückkehren, da ich dort aufgrund politischer Umstände verfolgt werde. Eine Rückkehr würde meine Freiheit und Sicherheit gefährden.“

Deutschland, das Land, das sein Vater ihm einst als „Ort der Gerechtigkeit und Menschlichkeit“ beschrieben hatte, wird für Vugar zum Zufluchtsort. Zunächst kommt er nach Berlin, später nach Stimpfach. Dort bekommt er die Chance, wieder zu arbeiten. Inzwischen arbeitet er im Seniorenheim in Fichtenau.

Nach acht Stunden Schicht in der Pflege fährt er abends nach Crailsheim, um an der Volkshochschule Deutsch zu lernen. Drei Stunden Unterricht, jeden Abend – eine enorme Belastung. „Das ist sehr herausfordernd“, sagt er, „aber es ist notwendig. Wenn ich bleiben möchte, muss ich die Sprache beherrschen.“

Sein Ziel: eine anerkannte Ausbildung im Pflegebereich. „Meine bisherigen medizinischen Abschlüsse aus Aserbaidschan, der Türkei und Israel werden in Deutschland nicht anerkannt.“

Glaube als Halt

In all den Jahren hat ihn sein Glaube getragen. „Ich bin Christ. Mein Glaube hat mir in den schwersten Momenten Kraft gegeben – in der Flucht, im Verlust, in der Einsamkeit.“ Heute hilft ihm dieser Glaube, auch anderen Hoffnung zu schenken – jeden Tag, wenn er mit älteren Menschen arbeitet, zuhört, tröstet oder einfach da ist.

Ich habe gelernt, mit Menschen unterschiedlicher Herkunft und Bedürfnisse zu arbeiten.

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