Soziales Wenn Eltern nicht mehr für ihre Kinder sorgen können, springen im Landkreis Schwäbisch Hall erstmal Bereitschaftspflegefamilien ein. Die spenden Trost, Sicherheit und Liebe.
Kinder sollen gut behütet und geliebt aufwachsen. Das ist für die allermeisten Menschen selbstverständlich. Und trotzdem dürfen nicht alle eine solche Kindheit erleben. Manche werden mit Eltern groß, die sich an einem Punkt nicht mehr um ihren Nachwuchs kümmern können; vielleicht ist sogar das Kindeswohl gefährdet. Dann brauchen die jungen Menschen schnell einen Ort, an dem sie sicher sind und vorerst bleiben können.
In einem solchen Fall kontaktiert das Jugendamt im Landkreis Schwäbisch Hall sogenannte Bereitschaftspflegefamilien – Familien, Paare oder Einzelpersonen, die Kinder oder Jugendliche bis 18 Jahre in einer Notsituation kurzfristig bei sich aufnehmen.
Ans Telefon geht dann zum Beispiel Familie Kraft, die zu ihrem und zum Schutz ihrer Pflegekinder ohne Vornamen genannt wird. Die Eheleute mit fünf eigenen Kindern zwischen zwölf und 21 übernehmen diese Aufgabe bereits seit vier Jahren, erzählt die Mutter per E-Mail. Seitdem haben sie schon 18 Pflegekinder aufgenommen; allerdings nicht dauerhaft, sondern immer nur für einen gewissen Zeitraum. Darin liegt der wichtigste Unterschied zu einer regulären Pflegefamilie. „Manche Kinder bleiben nur wenige Tage – etwa ein Säugling, den wir aus dem Kreißsaal abholten und der nach drei Tagen in eine Adoptivfamilie wechselte“, schreibt die 44-Jährige. „Die längste Unterbringung dauerte sechs Monate.“
Nur für kurze Zeit
Die Kinder kommen also lediglich für eine Übergangszeit in die Bereitschaftspflege. „Zum Beispiel, wenn das Jugendamt entscheidet, dass sie vorerst nicht bei den leiblichen Eltern bleiben können“, erklärt Anja Gburek vom Pflegekinderfachdienst des Jugendamts Schwäbisch Hall. Möglich sei auch, dass die minderjährige Person selbst darum bittet, aus dem eigenen Zuhause genommen zu werden, „weil er oder sie sich in einer akuten Krise oder Gefahr befindet“.
Die Bereitschaftspflegefamilie soll dann einen geschützten Raum bieten – „mit Fürsorge, Struktur und Geborgenheit“. Währenddessen werde geprüft, welche Perspektive für das Kind oder den Jugendlichen langfristig am besten sei, erläutert Gburek. „Bereitschaftspflege bedeutet also: für eine Weile Halt geben, Sicherheit schenken und die Brücke in die nächste Lebensstation des Kindes sein.“
Per Gesetz geregelt
Die Jugendämter sind gesetzlich verpflichtet, minderjährige Personen in Krisensituationen in Obhut zu nehmen, informiert Gburek. Im Landkreis Hall gebe es seit mindestens 30 Jahren Bereitschaftspflegefamilien. Und der Bedarf ist anhaltend hoch. Im Jahr 2023 wurden 21 Kinder und Jugendliche im Kreis kurzfristig so untergebracht, 2024 waren es 22. Bis August dieses Jahres gab es schon zwölf Einsätze. Neben dem Jugendamt bieten auch einige Kurzzeitpflegefamilien oder freie Träger der Jugendhilfe kurzfristige Plätze an.
Weil die Kinder oder Jugendlichen oft plötzlich in die Bereitschaftspflegefamilien kommen, halten die sich entsprechend einem Einsatzplan Tag und Nacht bereit, erläutert Gburek. Kraft erzählt, dass sie in der Regel zwei Wochen am Stück Rufbereitschaft haben und dann rund um die Uhr erreichbar sind. Die Familie nimmt Kinder zwischen null und zwölf Jahren auf, maximal zwei gleichzeitig. Oft erfuhren sie nur etwa eine Stunde vor der Ankunft, wie alt das Kind sei und warum es in Obhut genommen wurde, erzählt die 44-Jährige. Wie lange es bleibt, wüssten sie nicht.
Rucksack voller Erfahrungen
Die Kinder kämen mit nichts, außer einem „Rucksack voller Erfahrungen, der oft schwer ist“. Manchmal hätten sie nicht einmal einen Koffer oder ein Kuscheltier dabei. „In diesem Moment geht es darum, Schutz, Sicherheit, Nähe und Ruhe zu geben“, weiß Kraft. „Wir schenken ihnen vom ersten Tag an unser ganzes Herz.“ Schon nach wenigen Tagen fühle es sich so an, als hätten die Kids schon immer dazugehört. „Es ist berührend, zu sehen, wie sie nach kurzer Zeit Vertrauen fassen, lachen, spielen und sich zu Hause fühlen“, erzählt sie. Eine sinnstiftende Aufgabe. „Mit jedem Pflegekind wird das eigene Herz größer.“
Entsprechend schwer seien die Abschiede. „Wenn die Kinder wieder gehen, tut das sehr weh. Gleichzeitig ist es schön, zu wissen, dass wir ihren ‚Rucksack‘ für den weiteren Lebensweg ein Stück leichter machen konnten“, schreibt Kraft. Abschied kann laut Gburek bedeuten, dass der junge Mensch wieder zu den Eltern zurückkehrt, in eine dauerhafte Pflegefamilie oder in eine sonstige betreute Wohnform wechselt.
Auch, wenn sie manchmal herausfordernd sein kann – für die Krafts ist die Bereitschaftspflege eine sinnstiftende Aufgabe. „Mein Mann und ich sind sehr dankbar, dass wir beide eine schöne und harmonische Kindheit in unseren Familien erleben durften“, schreibt Kraft. Heute könnten sie gut für ihre Kinder sorgen, hätten eine gute Ehe, viele Freunde und eine verlässliche Großfamilie. „Aus dieser Dankbarkeit heraus ist in uns der Entschluss gereift, Familien zu unterstützen, die nicht so viel Glück hatten. Wir möchten diesen Schatz mit Kindern teilen, die ihn dringend brauchen.“
Viel Leben im Haus
Gerade betreut die Familie zwei junge Pflegekinder, nimmt also keine weiteren auf. „Es ist wieder sehr lebendig im Haus – die Fensterscheiben sind voller kleiner Handabdrücke, der Müll voller Windeln, es wird gesungen, gebaut, getobt“, schreibt die Mutter, und freut sich: „Das Leben pulsiert einfach wieder ganz anders.“