Die Rennpferde des kleinen Mannes

  • Erich Berroth hat als 10-Jähriger von seinem Vater das Hobby der Brieftaubenzucht übernommen. Heute leben in seinem Taubenschlag in der Scheuer neben dem Wohnhaus auf dem Trögelsberg gut 60 Brieftauben zwischen sechs Monaten und fünf Jahren. Michaela Christ
  • Am 25. September 1925 wurde der Verein „Auf ins Bühlertal“ Bühlerzell gegründet. Heute gehören dem Verein noch vier aktive und vier passive Mitglieder an: v.l. Andreas Schneider, Wolfgang Feil, Andreas Stirner, Erich Berroth, Georg Ott, Timo Hassel, Anton Hieber (auf dem Foto fehlt Rolf Funk). Foto: Michaela Christ

Geschichten über die „Rennpferde des kleinen Mannes“, wie etwa die Heimkehr der „Blau-Gehämmerten 889“ nach 630 Kilometern aus der französischen Normandie in unter acht Stunden in ihren heimischen Taubenschlag auf dem Trögelsberg, sind für kleine Kinder heute wie aus einer Märchenstunde. Es sei denn, sie kommen aus dem Bühlertal. Dort gibt es bis heute Brieftaubenzüchtervereine, auch wenn ihre aktiven Mitglieder mittlerweile an einer Hand abgezählt werden können.

Einer von ihnen ist Erich Berroth (70) vom Trögelsberg. Seit über 30 Jahren ist er Vorsitzender des Brieftaubenvereins „Auf ins Bühlertal“ Bühlerzell, dem heute noch drei weitere aktive Züchter angehören: Wolfgang Feil vom Zollhof, Andreas Stirner aus Rosenberg und Timo Hassel aus Gründelhardt. Der Verein ist in der Reisevereinigung Bühlertal organisiert, die eine Fluggemeinschaft mit Geislingen und der Ostalb betreiben, damit die Transportkosten für Distanzflüge bezahlbar bleiben.

Distanzflüge im Sommer

Apropos Distanzflüge: Sie entscheiden über Sieg oder Niederlage der Brieftaube. Der Startpunkt für die Flüge, im Fachjargon Auflass genannt, sind 13 festgelegte Orte mit Distanzen zwischen 135 und 630 Kilometern. Immer gen Westen gelegen und in den Monaten Mai bis Juli terminiert. Aus gutem Grund, denn das wichtigste Hilfsmittel der Taube, um wieder heim zu finden, ist ihr innerer Kompass, der nur bei gutem Wetter funktioniert, weil sie sich an der Sonne und am Erdmagnetismus orientiert. Erst in der Nähe ihres Heimatschlages erkennt die Brieftaube Landmarken, um direkt vor die eigene Haustüre zu finden.

Diese Fähigkeiten werden trainiert. Jungvögel starten mit kleinen Runden um den eigenen Taubenschlag und erkunden die Landschaft. Sie beenden ihre Flugsaison im Spätsommer bei einer Jungtaubenflugsaison mit Distanzen zwischen 40 und 235 Kilometern. Die Flugzeit wird elektronisch über einen Fußring gemessen, mit der Flugdistanz kombiniert und daraus die Fluggeschwindigkeit errechnet.

„1998 hatte ich den besten Vogel im Bezirk“ erinnert sich Berroth an seine „Nummer 67“. Eine Nummer als Name? „Ja“, Brieftauben haben Nummern, eingraviert auf einem Metallring am rechten Bein. „Ich habe gut 60 Reisetauben, Alt und Jung zusammen“, rechnet Berroth vor. Die Zucht hatte er als Zehnjähriger von seinem Vater übernommen, also vor 60 Jahren. Brieftauben können bis zu zehn Jahre alt werden, macht summa summarum 360 Tauben, die seinen Taubenschlag bislang durchlaufen haben. „Niemand hat so viele Namen parat“, sagt Berroth.

Auch ein Altenheim

Was passiert mit den Tauben, die zu alt für den Sport sind? „So gesehen, habe ich nicht nur eine Kinderstube und ein Leistungszentrum, sondern auch ein Altersheim“, sagt der Züchter. Am sportlichsten sind Tauben zwischen zwei und drei Jahren. Da leben sie im Reiseschlag. Nur diese Tauben fliegen frei. Danach ziehen sie in den Zuchtschlag um, der quasi auch das Altersheim ist.

Tagsüber sind die „Rentner“ in einem Freiflugschlag und müssen nur abends in den Zuchtschlag – wegen des Marders. Den habe man im Griff, im Gegensatz zu den Greifvögeln. Schnell wird klar, der Habicht ist ein Problem unter den Züchtern. Seinetwegen sind Georg Ott, Andreas Schneider, Rolf Funk und Anton Hieber von aktiven zu passiven Vereinsmitgliedern geworden.

„Es machte keinen Sinn mehr“, sagt Georg Ott (73) aus Holenstein. Bei ihm hocke der Habicht im Wald neben dem Taubenschlag. Dieser hatte die Fresszeiten auf die Trainingszeit der Tauben gelegt. Eine morgens, eine abends. Das mache etwas mit einem, schließlich seien die Tiere wie Haustiere, um die man trauert, wenn sie nicht mehr sind, erzählt Ott.

Doch dieser Tage wird nicht getrauert, sondern gefeiert. Denn der Verein ist am 25. September 100 Jahre alt geworden. Wurde das 50-jährige Jubiläum noch zwei Tage lang in der Rudolf-Mühleck-Halle mit dem ganzen Dorf groß gefeiert, findet die 100-Jahr-Feier im Vereinsheim „Grüner Baum“ bei Georg Ott in Holenstein statt. Nicht als Festakt, sondern jede Woche, wenn die Vereinsmitglieder zusammenkommen, um zu fachsimpeln.

Verein Noch vor 30 Jahren galt die Brieftaubenzucht im Bühlertal als Volkssport. Heute sind Züchter Exoten. Der Bühlerzeller Taubenverein besteht seit 100 Jahren.

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