Lesefest im Zwiespalt der Gefühle

Literatur Die Frankfurter Buchmesse startet im Spannungsfeld von Emotionen – nicht nur Konflikte und Krisen, auch Künstliche Intelligenz bedrohen die demokratische Gesellschaft.

Sorge um die Demokratie und Befürchtungen wegen Künstlicher Intelligenz, aber auch die Herzlichkeit des Gastlands Philippinen und vor allem viel Leselust: Die Frankfurter Buchmesse steckt im Zwiespalt der Gefühle. Am Eröffnungstag wird die ganze Bandbreite der Emotionen spürbar, die die Kulturwelt umtreibt.

Ehrengast sind in diesem Jahr die Philippinen. Im Gastlandpavillon werden die ersten Besucher überaus herzlich mit Blumenkränzen, Umarmungen und Gesang begrüßt. Motto des Auftritts: „Fantasie beseelt die Luft“. In dem ebenso lichten wie schlichten Pavillon wurden unter anderem Bambus, Muscheln und Ananasgewebe verbaut. Auf sechs „Inseln“ können die Besucher dem literarischen Programm lauschen, Bücher entdecken, Geschichtliches erfahren oder eine Videoinstallation sehen. Rund 100 Delegierte von den Philippinen kommen nach Frankfurt, darunter die Friedensnobelpreisträgerin Maria Ressa.

Einladung zum Dialog

Angesichts der polarisierten Zeiten will die Frankfurter Buchmesse zum Dialog einladen: „In einer Welt, in der Grenzen gerade wieder an Macht gewinnen, ist die Begabung, verbindend zu sein, auch eine politische“, erklärt der Direktor der Buchmesse Juergen Boos. „Dieser Aufgabe stellen wir uns, jedes Jahr aufs Neue. Und dieses Jahr mit nie dagewesener Dringlichkeit.“ Allerdings haben einige Autoren ihr Kommen abgesagt, bestätigt die Buchmesse – aus Protest gegen die deutsche Haltung im Gaza-Konflikt.

Karin Schmidt-Friderichs, scheidende Vorsteherin des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, sprach eine deutliche Warnung aus: Neben Kriegen und Krisen „wird unsere demokratische Gesellschaft insbesondere durch Künstliche Intelligenz in den Händen verantwortungsloser digitaler Oligopole sukzessive ausgehöhlt“. Die großen Plattformen verweigerten die Verantwortung für die von ihnen publizierten Inhalte. In der kommenden Woche übernimmt ihr Nachfolger, der Berliner Verleger Sebastian Guggolz, die Führung des Branchenverbandes.

Die junge Autorin Nora Haddada („Blaue Romanze“) zeichnete als literarische Rednerin das Bild einer Generation, die Mut aus der Verzweiflung schöpft. „Unsere Elterngeneration rennt offenen Auges in die Klimakatastrophe, wir halten an einem Finanzsystem fest, das uns früher oder später massiv um die Ohren fliegen wird, wir bereiten uns nicht darauf vor, dass die Boomer in Rente gehen, wir sollen vielleicht noch in den Krieg.“ Das habe allerdings auch etwas Gutes: Autoren hätten nichts zu verlieren „und meine Generation sowieso nicht“, sagte die 1998 geborene Autorin. „Die gute Nachricht ist: Wir müssen nicht feige sein, wir können provozieren. Warum sich so klein machen? Wir können wesentlich mehr gewinnen als verlieren. Und wir haben mit der Literatur eine Waffe in der Hand, die gegen so viele negative Trends so gut gewappnet ist.“

Die weltweit größte Bücherschau wurde am Dienstagabend mit einem Festakt eröffnet. Am Mittwoch und Donnerstag ist die Messe Fachbesuchern vorbehalten, ab Freitag hat dann auch das Lesepublikum Zutritt. Mehr als 1000 Autoren und Sprecher reisen nach Frankfurt, rund 4000 Verlage präsentieren ihre Produkte. Erwartet werden bis Sonntag weit mehr als 200.000 Besucherinnen und Besucher. Die Buchmesse endet mit der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels an den Historiker Karl Schlögel.

Falsche Heilige und Opportunisten

Roman Ein Leitstern der philippinischen Literatur: José Rizals grandioses Werk „Noli me tangere“.

José Rizal, Nationalheld der Philippinen, war zur Blütezeit der großen Gesellschaftsromane Ende des 19. Jahrhunderts, in Europa. Der junge philippinische Arzt und Schriftsteller mag diese mit Begeisterung für sich entdeckt haben, als er unter anderem in Heidelberg seine medizinischen Studien vervollständigte. Die europäischen Gesellschaftsromane werden ihn sicherlich beeinflusst haben und waren Vorbild für seinen großartigen Roman „Noli me tangere“. Das Buch war bereits 1887 in Deutschland auf Spanisch erschienen, als er mit diesem im Gepäck 1892 in die Heimat zurückkehrte. Wagemutig, denn der Inhalt des Romans barg viel gesellschaftspolitischen Sprengstoff, was seinem Autor letztendlich das Leben kosten sollte.

Es treten Spanier auf, die wie marodes Treibgut an den Küsten der vielen Inseln der Philippinen angeschwemmt werden. Glücksritter und kleine Ganoven, die sich mit Doktor- und Adelstiteln ausstaffierten, um somit privilegiert Land und Leute auszubeuten. Schwer in Kritik gerät auch die katholische Kirche, da Mönche und Pfarrer die Macht der spanischen Kolonialherren und damit ihren Einfluss und Reichtum erhalten wollten. Sie schröpfen die Philippinas mit ihrem Ablasshandel, denn die naiv volksfrommen Menschen lassen sich für das Seelenheil den letzten Groschen aus der Tasche ziehen. Rizal (1861-1896) kritisiert aber auch die Opportunisten und die Emporkömmlinge aus der einheimischen Bevölkerung, die das ausbeuterische Kolonialsystem stützen.

Intrigen und Neider

Auf diese Verhältnisse trifft im Roman der aus Europa heimkommende Ibarra mit all seinen reformerischen Ideen und erfährt, dass sein Vater im Gefängnis ums Leben kam. Ibarra steht für einen neuen und unabhängigen Inselstaat. Dass die Zeit der spanischen Kolonialherren zu Ende geht, spürt man bei der Lektüre deutlich, doch gerade am Ende einer kolonialistischen Herrschaft greifen die Machthaber zu besonders grausamen Mitteln.

Dies wird nicht nur im Roman, sondern auch in Wirklichkeit, das Todesurteil für Autor und Romanheld bedeuten. Aber Ibarra kehrt nicht nur als Sozialrevolutionär zurück, er will seine Verlobte, die wunderschöne Maria Clara, endlich heiraten. Das Netz der Intrigen von Neidern und politischen Gegnern, das schon Ibarras Vater ins Verderben führte, beginnt erneut seinen verhängnisvollen Lauf.

José Rizal gilt nicht zu Unrecht als der größte Dichter der Philippinen. Sein Roman ist zum Nationalepos geworden. Doch er besticht durch sein literarischen Können. Noch heute fesselt die Geschichte den Leser. Virtuos zeichnet Rizal ein gesellschaftliches Panorama und setzt dem traurigen Verlauf feine Ironie und Humor in der Ausgestaltung seiner Figuren entgegen. In der grandiosen Neuübersetzung von Annemarie del Cuete-Mörth ist der Roman sicherlich zu Recht der Leitstern bei der Präsentation philippinischer Bücher des Gastlands auf der Frankfurter Buchmesse.

Werk von Koerbecke übergeben

Raubkunst Bayerische Staatsgemäldesammlung gibt „Vision des Heiligen Bernhard“ zurück an die Erben der Besitzerin.

München. Die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen haben das Werk „Die Vision des Heiligen Bernhard“ von Johannes Koerbecke (1407-1491) an die Erben von Ellen Funke (1869-1947) zurückgegeben. Es war seit 2020 bei der Lost-Art-Datenbank gemeldet, wie das Haus mitteilte. Diese dokumentiert Kulturgüter, die den Verfolgten der NS-Diktatur zwischen 1933 und 1945 entzogen wurden oder für die ein derartiger Verlust nicht auszuschließen ist.

Die aus Hamm stammende Funke war laut Mitteilung Begünstigte von Kunstwerken einer bedeutenden Privatsammlung mit Wurzeln im 19. Jahrhundert. Aufgrund der jüdischen Herkunft ihrer mütterlichen Vorfahren wurde die Frau im Nationalsozialismus als „jüdischer Mischling ersten Grades“ eingestuft und systematisch verfolgt.

Ursprünglich hatte der jüdische Mediziner Alexander Haindorf die Sammlung auf Gut Caldenhof bei Hamm mit seiner Tochter Sophie und deren Ehemann Jakob Loeb aufgebaut. Nach der Auflösung 1936 seien die Werke unter den Nachkommen aufgeteilt worden, unter den Erben war auch Ellen Funke. Ihre Sammlung umfasste den Angaben zufolge 101 Kunstwerke, darunter das Koerbecke-Gemälde. Dieses verkaufte sie 1936 an die Galerie Stern in Düsseldorf, offenbar um einen dauerhaften Aufenthalt im sicheren Ausland zu finanzieren und um Familienmitglieder zu unterstützen.

Beidseitig bemalte Tafel

Damit besteht unwiderlegbar die Vermutung, dass das Gemälde ohne die NS-Herrschaft nicht verkauft worden wäre und der Verlust verfolgungsbedingt war, wie es heißt. Funke sei als Erstgeschädigte anzusehen, weshalb die Restitution gemäß international anerkannter Auslegung der Washingtoner Prinzipien prioritär an ihre Rechtsnachfolger erfolge.

Das Gemälde, als beidseitig bemalte Tafel konzipiert, zeigte auf der Vorderseite die Verkündigung der Geburt eines Sohnes an Maria durch einen Engel und auf der Rückseite den heiligen Bernhard, wie er Jesus Christus umarmt. Der Kunsthändler Marx Stern trennte die beiden Bildseiten, um sie als eigenständige Werke zu veräußern.

Die Rückseite mit Bernhard wurde 1937 in einem Katalog der Kunsthandlung P. de Boer in Amsterdam verzeichnet und im Juli/August 1938 von den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen erworben.

Der Ankauf erfolgte im Rahmen eines Tauschgeschäftes. So übergaben die Sammlungen 1938 ein Werk aus ihrem Bestand – Jan von Goyens „Wasserlandschaft“ – an die Amsterdamer Kunsthandlung und erhielten neben dem Koerbecke-Bild noch eine Ölskizze von Carlo Calone.

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