„Ich hatte Angst vor einem Leben ohne Alkohol“

  • Journalistin Nathalie Stüben war selbst alkoholabhängig. „Wenn jemand anfängt, seinen Konsum vor mir zu rechtfertigen, dann denke ich oft: Du erinnerst mich an mich früher“, erzählt sie. Foto: OAMN

Sucht Die Journalistin Nathalie Stüben lebt seit 2016 nüchtern und spricht offen über ihre frühere Abhängigkeit.

Berlin. Nathalie Stüben war jahrelang alkoholabhängig. Per Podcast und Buch schildert sie heute ihren Weg aus der Sucht.

Sie sprechen offen über Ihre frühere Alkoholabhängigkeit. Was war der entscheidende Moment, der Sie dazu gebracht hat, mit dem Trinken aufzuhören?

Nathalie Stüben: Ich lebe seit Juli 2016 nüchtern – also seit über neun Jahren. Damals bin ich mal wieder neben einem nackten Fremden aufgewacht und konnte mich an nichts erinnern. An diesem Sommermorgen aber wusste ich: Heute ist es so weit, ich höre ganz auf zu trinken. Mir war zu diesem Zeitpunkt schon länger klar, dass ich ganz aufhören muss, aber ich habe noch Monate gebraucht, mich dazu durchzuringen. Ich hatte Angst vor einem Leben ohne Alkohol. Aber am 18. Juli 2016 war mein Schmerz größer als meine Sorge. Da wusste ich: Es ist so weit.

Wie schwer war es, sich vom Alkohol zu lösen – und was hat Ihnen in dieser Zeit am meisten geholfen? Wie hat sich Ihr Alltag seitdem verändert?

Es war tatsächlich leichter als ich dachte. Es fühlte sich an, als würde mir jemand einen tonnenschweren Rucksack von den Schultern nehmen. Ich merkte, wie klar ich im Kopf wurde. Wie diese undefinierbare Angst vorm Leben nachließ. Wie mein Selbstbewusstsein wieder wuchs, wie viel ich aus einem Tag machen konnte. Es war so schön, wieder zuverlässig und integer sein zu können, nichts mehr verstecken zu müssen. Natürlich gab es in den ersten Wochen und Monaten auch schwierige Momente, Angst und Unsicherheit. Aber die positiven Aspekte überwogen bei Weitem.

In Deutschland gilt Alkoholkonsum als normal, warum ist es aus Ihrer Sicht so schwer, auf Alkohol zu verzichten oder offen „Nein“ zu sagen?

Die meisten Erwachsenen hierzulande trinken Alkohol. Deutschland zählt zu den Hochkonsumländern dieser Welt. Hier herrscht ein gesellschaftliches Klima, in dem es normal ist, Alkohol zu konsumieren – und komisch, es nicht zu tun. In dem es als kultiviert gilt, regelmäßig zum Essen zu trinken und gleichzeitig als völlig ok, sich auf Feiern abzuschießen. Das sind gleich zwei problematische Konsummuster, die bei uns total akzeptiert sind.

Welche Reaktionen erleben Sie, wenn Sie offen über Ihre Abstinenz sprechen?

Manche beglückwünschen mich. Meistens diejenigen, die ebenfalls nicht trinken, oder Menschen, die ein unproblematisches Verhältnis zu Alkohol haben. Wenn jemand anfängt, seinen Konsum vor mir zu rechtfertigen, dann denke ich oft: Du erinnerst mich an mich früher.

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