Kurt Oesterle hielt kürzlich im Bürgersaal des Rathauses Oberrot einen Vortrag über Thomas Mann. Eingeladen hatte die Regionalstelle Oberrot der Volkshochschule Schwäbisch Hall.
Oesterle stammt aus Oberrot, lebt in Tübingen und ist als Journalist und Essayist tätig. Der Vortrag basierte auf seinem im Januar erschienenen Band „Es lebe die Republik. Wie Thomas Mann zum gewichtigen Fürsprecher der Demokratie wurde und was wir von ihm lernen können“. In dem Buch verbindet Oesterle Biografie, Textanalyse und politische Einordnung, um Manns Weg vom monarchistisch geprägten, anfangs als unpolitisch geltenden Schriftsteller zum engagierten Republikaner und kämpferischen Demokraten nachzuzeichnen.
Mühsame Lehre
Zentral für Oesterle ist im Blick auf Thomas Mann der Begriff des „Übergangsmenschen“. Damit meint er: Mann musste sich aus der Sozialisation durch das Kaiserreich lösen und demokratische Überzeugungen mühsam aneignen. Ein Wendepunkt war im Oktober 1922 Manns programmatische Rede „Von deutscher Republik“. Er hielt sie im Beethovensaal der Alten Philharmonie in Berlin. Er schloss sie mit dem Hochruf „Es lebe die Republik!“
Die Rede und ihre Folgen markierten den Beginn einer zähen, über Jahre oft widersprüchlichen Entwicklung hin zu einer umfassenden Demokratisierung des Denkens und Handelns von Thomas Mann. Mit der Republikrede wollte er Bürgertum und verunsicherte Jugend für die demokratische Sache gewinnen.
Mann erntete in der Heimat Spott und Ablehnung, gewann aber zugleich Zuspruch unter republikanischen Kreisen, schrieb Zeitungsartikel für die Demokratie und stritt auch in Alltagsfragen wie der Abschaffung der Todesstrafe. Fast auf den Tag genau, nur acht Jahre später, hielt er erneut in demselben Saal die „Deutsche Ansprache. Ein Appell an die Vernunft“. Sie war politisch wirksamer als seine erste Rede, nicht zuletzt wegen des Skandals, den die Störung durch SA-Leute auslöste.
Der hochpolitische zweite Teil, in dem er das Bürgertum aufforderte, auf die Seite der SPD zu treten, ging im Tumult unter. Mann brach ab und verließ unter Drohungen das Podium.
Mann erlebte einen Shitstorm
Die Reaktion war heftig. Thomas Mann erlebte einen regelrechten Shitstorm. Joseph Goebbels hatte aufgrund der Rede entschieden, Thomas Mann aus dem deutschen Gedächtnis zu tilgen. Lange hatte Thomas Mann gemeint, die Deutschen würden auf die „Hitlerei“ nicht hereinfallen. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten entschied sich Thomas Mann während eines Aufenthalts in Arosa, nicht nach Deutschland zurückzukehren. Er hatte eingesehen, dass es zu gefährlich war. Die Nazis hatten ihm zu dieser Zeit bereits alles weggenommen. 1936 wurde er ausgebürgert. 1938 wanderte er mit der Familie in die USA aus.
Die Entwurzelung schmerzte, doch Mann wollte Deutschland nicht aufgeben. In den USA nutzte der Schriftsteller das Radio für antifaschistische Appelle und fand in der unitarischen Gemeinschaft geistigen Anschluss. Mann fühlte sich dort bestärkt, dass das Christentum mit politischer Aktivität zusammengeht.
Rückkehr nach dem Krieg
1949 kehrte Thomas Mann erstmals nach seiner Emigration wieder nach Deutschland zurück. Öffentlich hatte er sich lange gegen eine Rückkehr ausgesprochen. Doch dann entschloss er sich doch zu dieser symbolischen Reise, die auch als Versöhnungsgeste verstanden wurde. Als er nach Deutschland zurückkehrte, sagten viele: „Du hattest recht.“ Andere haben ihn als Exilanten verunglimpft.
Thomas Mann hat Menschen in Ost und West vor den Kopf gestoßen. Seine Weise der Zeitkritik war für viele Deutsche zu schmerzhaft. Sein Versuch, sich im Land und in den Herzen der Deutschen wieder heimisch zu machen, misslang. Thomas Mann verbrachte seine letzten Lebensjahre in der Schweiz. In Kilchberg bei Zürich lebte er ab 1952 in einer Villa, nachdem er die USA verlassen hatte. Die politische Entwicklung in Amerika hatte ihn zunehmend entfremdet. Er starb am 12. August 1955 im Alter von 80 Jahren.
Oesterle schloss mit dem Bild, dass Mann heute „wie eine Boje aus dem Wasser wieder nach oben“ komme, ein Vorbild für Zeiten, in denen Demokratien bedroht sind. Kurt Oesterles Vortrag war eine Einladung, Thomas Mann neu zu lesen, als Demokraten zu entdecken und aus seiner Entwicklung Mut zu schöpfen und für Demokratie einzutreten.
Der Abend hat gezeigt, wie wichtig die Volkshochschule für den gesellschaftlichen Diskurs ist. Umso erfreulich ist es, dass es gelungen ist, mit Sabine Wex eine Nachfolgerin für Petra Walch als Leitung der Zweigstelle Oberrot zu finden. Die Stabübergabe erfolgte im Rahmen des Abends.
Gesellschaftsdiskurs Kurt Oesterle referiert im Bürgersaal des Rathauses Oberrot. Er zeichnet Manns Entwicklung zum engagierten Republikaner nach.