Kollege mit Radlader überfahren
Prozess Am Amtsgericht Schwäbisch Hall wird ein tragischer Fall von fahrlässiger Tötung in Obersontheim verhandelt. Der Angeklagte ringt mit den Tränen, kommt am Ende aber nicht straffrei davon.
Es war ein gewöhnlicher Arbeitstag für den Mann, der am Montag auf der Anklagebank des Schwäbisch Haller Amtsgerichts sitzt. Wie schon unzählige Male zuvor stieg er am Vormittag des 29. Mai 2024 auf einen Radlader, um Material auf dem Betriebsgelände in Obersontheim zu versetzen. Es war seine erste Fahrt an diesem Tag, und es wird auch die letzte bleiben. Denn nur kurze Zeit später ist sein Kollege tot– überrollt vom Angeklagten.
Jetzt muss er sich wegen des Vorwurfs der fahrlässigen Tötung verantworten. Gleich zu Prozessbeginn räumt der Verteidiger des Crailsheimers ein: Die Vorwürfe seien inhaltlich völlig richtig. Als sein Mandant daraufhin beginnt, vom Tag des Geschehens zu erzählen, kommen dem die Tränen. Sein Kollege und er seien gegen 9 Uhr mit ihrer gemeinsamen Aufgabe fertig gewesen, daraufhin widmeten sich beide separaten Tätigkeiten. Was sein Kollege als Nächstes mache, habe der Angeklagte nicht gewusst.
Ruckeln beim Fahren bemerkt
Er selbst machte sich ans Umladen von Material. Dafür füllte er die Schaufel seines Radladers bis zur Kante, schildert der heute 47-Jährige – und räumt auch ein, diese etwas höher gestellt zu haben als gewöhnlich. Beim Abbiegen habe der Angeklagte dann ein Ruckeln wahrgenommen. Als er ausgestiegen sei, habe er seinen Kollegen bäuchlings auf dem Boden liegen sehen.
Ob er denn wegen der Schaufel nach vorne gar nichts habe sehen können, will Richter Jens Brunkhorst wissen. „Wenig“, antwortet der Mann auf der Anklagebank und gibt zu: Man hätte wohl sehen können, wenn jemand in der Ferne gelaufen wäre. „Ich habe ihn wirklich nicht gesehen“, beteuert er im Laufe des Prozesses aber immer wieder. Mehrmals kommen ihm die Tränen, sein Taschentuch muss er oft hervorholen. Der Verstorbene sei nicht nur ein Kollege, sondern ein guter Freund gewesen, erzählt er. Die beiden fingen vor etwa 15 Jahren zeitgleich beim Arbeitgeber an.
In der Verhandlung geht es immer wieder um die festgelegten Laufwege auf dem Firmengelände. Das Opfer wurde außerhalb dieser sicheren Wege erfasst. „Rein theoretisch hätte er da nicht laufen dürfen“, sagt der Angeklagte. Aber: Man müsse auch mal von diesen Plänen abweichen – je nachdem, wo man auf dem Gelände arbeite. Das sagen auch sein Kollege und sein Chef im Zeugenstand. Der Betriebsleiter betont jedoch, man müsse trotzdem immer die sicherste Route nehmen. Warum der Verstorbene mitten über den Hof lief, ist unklar, wie der ermittelnde Polizist aussagt. Man vermute, er wollte zu seinem Chef gehen und nach einer neuen Aufgabe fragen.
Keiner der Mitarbeiter sieht den Unfall; aber der Angeklagte habe über Funk nach Hilfe gerufen, erzählt sein Kollege. Ein Paketlieferant wählt letztlich den Notruf. Aber als der Rettungsdienst eintrifft, kann der für das damals 36 Jahre alte Opfer nichts mehr tun. Nachdem sie das dem Crailsheimer mitgeteilt hatten, sei der in einen verzweifelten Zustand verfallen, schildert ein Rettungssanitäter im Gerichtssaal. „Rastlos“, „aufgebracht“, „totale Hilflosigkeit“, beschreibt der Mann. „Er hat wahrscheinlich große Schuld bei sich wahrgenommen.“
Dr. Franziska Rabe, Assistenzärztin für Rechtsmedizin am Universitätsklinikum Ulm, listet Verletzungen in großer Zahl auf und schildert, dass das Opfer einseitig überfahren worden sein müsse. Das sagt auch der technische Sachverständige Dieter Wolpert. Der Verstorbene müsse mit der Schaufel des Radladers, der leer 17,3 und mit Ladung um die 25 Tonnen wiege, von hinten angestoßen und anschließend vom rechten Vorder- und Hinterrad überrollt worden sein.
Die Sicht nach vorne sei laut Wolpert beim Radlader extrem eingeschränkt. Die Untersuchung habe aber ergeben, dass das Opfer in größerer Entfernung erkennbar gewesen sein müsse – auf 44 bis 48 Meter Entfernung bei der technischen Höchstgeschwindigkeit von 20 Kilometern pro Stunde. So schnell ist der Angeklagte laut eigener Aussage ungefähr gefahren. Der Verstorbene sei in dem Fall ab fünf Sekunden vor Unfall von der Schaufel verdeckt gewesen, schildert Wolpert. Je höher die Schaufel stehe, desto größer sei der tote Winkel.
Für Staatsanwalt Marc Mayer steht fest: Der Angeklagte muss schuldig gesprochen werden. Eine Freiheitsstrafe hält er aber nicht für angemessen und fordert stattdessen eine Geldstrafe. Es sei sicher nicht das gewöhnlichste, dass jemand quer über die Anlage laufe, sagt er. Und wie auch im Straßenverkehr müssten sich Fußgänger versichern, dass kein Fahrzeug angefahren komme.
Neuen Job gefunden
Auch der Verteidiger des Angeklagten, der sich mehrmals für eine Verfahrenseinstellung ausspricht, wirft vorsichtig die Frage auf, ob das Opfer nicht ein Mitverschulden trage. Richter Jens Brunkhorst verurteilt den Crailsheimer schließlich zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen zu je 30 Euro. Außerdem muss der 47-Jährige die Kosten des Verfahrens tragen. Der hat mittlerweile seine Arbeitsstelle gewechselt, und fährt schon lange keinen Radlader mehr.