Handwerk Im Alter von 17 Jahren hat sie in der Werkstatt ihres Vaters ihre erste Geige gebaut. Jetzt ist Franziska Gerstner eine gefragte Bogenmacherin.
Auch den Weltstars Hilary Hahn und Joshua Bell begegnete sie in New York – aber nicht als Groupie vor der Carnegie Hall. Diese Geigenvirtuosen kamen zu den „Bowmakers“ von Salchow & Sons, einer traditionsreichen Werkstatt in Midtown Manhattan, in der 57. Straße. Dort arbeitete Franziska Gerstner nach ihrer Ausbildung als Geigenbauerin in England. Die Ulmerin lernte, Bögen zu reparieren und zu behaaren. Und dann in Berlin bei Gregor Walbrodt überhaupt das Handwerk einer Bogenmacherin. Eine seltene Profession. Aber um es banal zu sagen: Ohne einen adäquaten Bogen klingt auch eine Stradivari nicht.
Franziska Gerstner, Jahrgang 1992, Humboldt-Abiturientin, hat sich später als Bogenbauerin in Berlin-Kreuzberg selbstständig gemacht. Im Sommer 2024 ist sie wieder in die Heimat zurückgekehrt: in die Ulmer Bessererstraße, wo sie mit 17 ihre erste Violine selbst gefertigt hat, nämlich in der Werkstatt ihres Vaters, des alteingesessenen Geigenbaumeisters Bernhard Gerstner. Jetzt teilen sie sich die Räumlichkeiten, jeder hat seine Werkbank.
„Eine ideale Kombination“, sagt der Vater, der natürlich stolz ist, dass die Tochter seinen Beruf ergriffen hat und dann auch noch im Spezialgebiet des Bogenbaus gelandet ist. „Nein, er habe keinen Druck“ ausgeübt, sagt er. Franziska erzählt, wie sie daheim mit den Streichinstrumenten aufwuchs, dass sie selbst Cello spielte (in der Humboldt-Sinfonietta), aber „zwangsläufig“ beim Vater bald gemerkt habe, dass ihr das Handwerk liege: hoch präzises, geduldiges Arbeiten am Holz, mit Hobel, Messer oder Feile.
„Es sind zwei Berufe“, sagt Franziska Gerstner, „und das hat seine Gründe.“ Ein Bogen, lexikalisch beschrieben, ist eine mit Pferdehaar bespannte, gebogene Stange, mit deren Hilfe die Saiten eines Streichinstruments in anhaltende Schwingung versetzt werden. Qualitativ hochwertige Bögen werden seit dem 18. Jahrhundert aus brasilianischem Fernambukholz (Paubrasilia echinata) gefertigt. Was in der Gegenwart eine heikle Angelegenheit ist: So unterliegt der Handel mit diesem Holz strengen Auflagen, und sollte Brasilien Fernambuk dezidiert auf die Artenschutzliste setzen, hätte die Streicher-Welt ein Riesenproblem.
Dieses Holz muss unbedingt in Richtung der Jahresringe geschnitten werden, damit es später nicht an Elastizität verliert. Ein, zwei Jahre wird der Bogen getrocknet – dann greift die Bogenmacherin so richtig an: Das Holz wird gehobelt in eine runde oder achteckige Form. Franziska Gerstner hat jedenfalls einen Vorrat angelegt, Fernambuk von Kollegen angekauft. Ein gleichwertiges anderes Holz gebe es nicht, sagt sie. Eine internationale Initiative zur Erhaltung des Fernambuk, gegründet von Geigen- und Bogenbauern, aber setzt sich seit gut 25 Jahren für das Aufforsten ein, hat schon mehr als 250.000 Bäume in Brasilien gepflanzt.
Es folgt der entscheidende Biegeprozess: Das Holz wird über einer Spiritusflamme erwärmt, unzählige Male. Die Kunst ist, in der Krümmung eine maximale Balance zu erschaffen. Der Bogen muss gut in der Hand eines Musikers liegen. Und was noch so alles in der Werkstatt geschieht: So muss der „Frosch“ gefertigt werden aus Ebenholz, also die Vorrichtung zur Befestigung und Spannung der Behaarung. Wie lange sie an einem neuen Geigenbogen arbeitet? Franziska Gerstner rechnet nach: Also wenn sie ohne Unterbrechung an fünf Tagen der Woche acht Stunden lang an einem Bogen arbeiten könnte, bräuchte sie rund drei Wochen.
Mythos und Erkenntnis
Ab 4000 Euro koste ein solcher Geigenbogen, sagt die Ulmerin. Für alte, historische Bögen zahlten Kenner auch über 100.000 Euro. Und wer ein Exemplar des legendären Franzosen François Xavier Tourte haben will, müsse 250.000 Euro hinblättern. Da ist viel Mythos dabei, aber halt auch musikalische Erkenntnis aus der Praxis. Eine Stargeigerin wie Anne-Sophie Mutter hat dem Radio-Sender BR-Klassik einmal gesagt, dass ein Bogen tatsächlich das Timbre einer Violine beeinflussen könne: „Er kann ein Instrument heller, silbriger klingen lassen und eben auch dunkler.“
Profis wissen das. Und so hat Franziska Gerstner Stammkunden, die alle paar Monate kommen, um ihren Bogen warten, reparieren, ihn neu behaaren zu lassen. Als sie noch in Berlin ihre Werkstatt hatte, kamen die Musikerinnen und Musiker auch aus den Reihen der weltberühmten Berliner Philharmoniker. Und weil man seinen vertrauten Hausarzt ungern ziehen lässt, fährt die Ulmerin ab und an in die Hauptstadt und hält Sprechstunden ab für Geigerinnen und Geiger.