Niederlage in letzter Sekunde

  • Sie durften feiern: Die Spieler von Besiktas Istanbul jubelten mit vielen angereisten Gäste-Fans. Die Ulmer zogen im Hintergrund bedröppelt davon. Eibner-Pressefoto/Gerald Oelze-de Stoppany

Ratiopharm Ulm Der deutsche Vizemeister trotzt Besiktas Istanbul und den vielen Gästefans. Auch am Schluss macht er fast alles richtig – und steht danach trotzdem als Verlierer da.

Drei Sekunden. Alles andere ist egal. Es zählen nur diese drei Sekunden. Sie entscheiden alles. Drei: Anthony Brown bekommt den Ball. Er hat nicht mehr viel Zeit. Zwei: Die Halle bebt – Pfiffe, Anfeuerungsrufe, alles geht wild durcheinander. Eins: Brown muss werfen, ein Not-Wurf, Tobias Jensen steht genau vor ihm. Es sieht so gut aus für Ratiopharm Ulm. Null: Der Ball zischt durch den Korb.

Es ist der Moment, in dem alle Dämme brechen.

Bierbecher fliegen durch die Luft, die gesamte Gäste-Bank stürmt aufs Spielfeld. Und der Block 12 tobt, als hätte er gerade die Meisterschaft gewonnen. Und immer hört man das gleiche Wort: Besiktas, Besiktas, Besiktas.

Enges Spiel

Besiktas Istanbul hat getroffen – mitten in das Herz des Vizemeisters. Er verlor am Dienstag das Eurocup-Heimspiel gegen den türkischen Kult-Klub 99:101 (54:54). Eine Niederlage in letzter Sekunde. Ein Nackenschlag. Oder, wie es Ty Harrelson, nannte: „Ein tolles Basketballspiel.“

Ulms Trainer war nicht traurig. Zumindest nicht öffentlich. Da war er stolz auf sein Team. Natürlich: „Wir haben am Ende nicht die richtigen Entscheidungen getroffen.“ Aber einen Vorwurf machte er seinen Spielern nicht. Im Gegenteil: „Wenn wir so spielen, gewinnen wir in dieser Saison viele Spiele.“

Nur eben dieses nicht. Weil dieses Spiel sich mit dem letzten Angriff perfekt zusammenfassen ließ. Ulm führte 99:98, verteidigte formidabel. Tobias Jensen machte defensiv alles richtig – und konnte trotzdem nicht verhindern, dass Brown den Ball reinhämmerte.

„Unglaublich“ – so kommentierte es Besiktas-Trainer Dusan Alimpijevic. Er meinte damit das komplette Spiel. Es war sicher nicht das einfachste Spiel für den türkischen Groß-Klub. Doch als es eng wurde, wusste Alimpijevic, auf wen er sich verlassen kann

Sie hatten alles mitgebracht: Schutzhelme, Schlagstöcke, schwere Ausrüstung. Nur zur Sicherheit. Sie waren in Hundertschaften gekommen. Nur zu Sicherheit. Und sie beobachteten den Gästeblock. Nur zur Sicherheit.

Ja, diese Sicherheit – sie dominierte diesen Abend. Bereitschaftspolizei, strengere Einlasskontrollen, mehr Security in der Arena. Die Veranstalter hatten sich auf einen schwarz-weiß-roten Ansturm vorbereitet.

Besiktas Istanbul – dieser Name zog erneut tausende euphorische Fans in die Fans in die Halle. Auch die Ultras von Carsi Berlin, die mit Besiktas durch Mitteleuropa ziehen. Und auch sie hatten etwas mitgebracht: Fahnen, Trommeln und einen Vorschreier, der unermüdlich seine Fangesänge anstimmte.

Ein Ultra-Gästeblock, dazu hunderte schwarz-weiße Trikots auf den Sitzplätzen. Viel deutete auf ein Auswärtsspiel in der eigenen Halle hin. Doch so leicht gaben sich die Ulm-Fans nicht geschlagen. Die beiden Trommler diktierten auf der verkleinerten Eurocup-Fantribüne tapfer den Takt. Die Cheerleader wedelten eifrig am Rand des Parketts. Der Doppelstadt-Klub bot dem türkischen Riesen die Stirn.

Auf den Rängen. Und auf dem Parkett.

Vielleicht war es die eigene Halle. Vielleicht das eigene Bett in der Nacht davor. Irgendwas musste es gewesen sein. Ansonsten wäre dieser Leistungssprung nur schwer zu erklären. Die Ulmer wirkten nach der Lustlos-Leistung am Sonntag wie ausgewechselt. Bissig, erfolgshungrig und auch ein bisschen flexibel.

Der Dreier funktionierte im ersten Viertel nicht – also nahm das Ratiopharm-Team den Kampf unter dem Korb an. 30:29 nach zehn Minuten, ohne einen einzelnen erfolgreichen Dreier. Altmodischer Basketball in der Ratiopharm Arena.

Dabei blieb es allerdings nicht. Ab dem zweiten Viertel sahen die knapp 4000 Zuschauer modernsten Basketball. Schnell, brutal eng und auch hitzig. Besiktas-Guard Jonah Mathews kassierte im dritten Viertel zwei technische Fouls und musste den Innenraum verlassen. Es war die Phase, in der die Türken Frust schoben. Die Hausherren um den erneut starken Chris Ledlum trafen und zogen davon. Zwischenzeitlich wurde der Vorsprung zweistellig. Doch die Ulmer konnten ihn im letzten Viertel nicht halten. Turnover und verworfene Würfe ließen Besiktas rankommen – und führten zu den entscheidenden drei Sekunden.

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