Vier Zimmerinnen gegen Vorurteile

  • Gleich vier junge Frauen sind in der Zimmerei Metzger beschäftigt (von links): Veronika Mievshuk, Annukka Lave, Nika Wolf und Alina Specchiulli. Foto: Matthias Kessler

Beruf Was für andere noch ungewöhnlich ist, ist in dem Ulmer Holzbau-Unternehmen Metzger längst normal: Vier Frauen sind hier als Zimmerinnen tätig – und räumen auf mit Klischees.

Sie kommen von der Arbeit, tragen Zunfthosen und sitzen für gewöhnlich nicht hier, im Büro der Zimmerei Metzger in Ulm-Söflingen. Vielmehr sind sie hauptsächlich draußen in luftiger Höhe. Zwei Zimmerer-Gesellinnen und zwei Auszubildende, deren Haltung im Gespräch zeigt: Sie finden es absurd, in der gegenwärtigen Zeit noch über Vorurteile gegenüber Frauen in der Branche sprechen zu müssen. Ihr Handwerk gilt laut Firmeninhaber Wolfgang Metzger als traditionsreicher Königsberuf – und wird auch im 21. Jahrhundert noch von Männern dominiert.

„Es gibt noch Zimmereien, die keine Frauen ausbilden“, kritisiert Nika Wolf. Sie war die erste Frau, die sich bei Metzger beworben hat. Die Gegenargumente zu veralteten Ansichten über Frauen im Handwerk gehen der 25-jährigen Facharbeiterin so schnell nicht aus. Trotzdem sei es auf der Baustelle nicht immer einfach. „Ich bin auch schon gefragt worden, wo der Capo ist“, erinnert sich ihre Kollegin Alina Specchiulli. „Männer zeigen gerne Grenzen für einen auf“, ist Wolfs Erfahrung.

„Männer fragen: Geht’s?“, schiebt Specchiulli hinterher, was in der Gruppe ein Lachen auslöst. Denn die beiden Gesellinnen leiten inzwischen ihre eigenen Baustellen und kennen die zahlreichen Vorurteile, jedoch auch die andere Seite: Respekt und Teamarbeit. „Als Vorarbeiterin hast du das Wort. Die anderen haben mich zu respektieren“, setzt die 23-Jährige entschieden nach. Im Betrieb wüssten alle: Die Kraft kommt durch die Arbeit, unabhängig vom Geschlecht. Entscheidend sei die Motivation.

Vorurteile abbauen

Wolfgang Metzger gibt offen zu, dass er früher selbst Vorbehalte hatte und sich nicht vorstellen konnte, „dass eine Frau diesen Beruf erlernt“. Er leitet den Familienbetrieb in vierter Generation und kommt, obwohl er mittlerweile im Rentenalter ist, jeden Tag ins Büro. Derzeit beschäftigt er einen Meister, sieben Facharbeiter und fünf Azubis. Darunter gleich vier Frauen in der Zimmerei zu haben, ist für ihn eine positive Überraschung.

Dass es langsam mehr werden, dafür sprechen die Schülerzahlen der Berufsfachschule in Ehingen, die auch Metzgers Auszubildende besuchen: Unter 24 Zimmerern aus dem Jahrgang 2025 sind Angaben zufolge drei Frauen, im Jahr davor waren es drei von 32. Von 2019 bis 2021 gab es hier keine Zimmerei-Schülerin, wie die Schule mitteilt. Metzger selbst freut sich generell über eine hohe Nachfrage bei den Ausbildungsplätzen. Trotzdem will er mehr Frauen im Handwerk, speziell in der Zimmerei, erreichen.

Wolf und Specchiulli erzählen, dass sie über männliche Bekannte zu dem Beruf gekommen sind. Den beiden Azubis Veronika Mievshuk und Annukka Lave, habe es wiederum geholfen auf der Internetseite der Zimmerei zu sehen, dass bereits andere Frauen im Betrieb sind. Den Effekt bemerkt Metzger auch privat: Durch die weiblichen Vorbilder hätten sich auf einmal auch seine erwachsenen Kinder für die Zimmerei interessiert.

Risiko und Abenteuer

Lave ist für die Ausbildung aus Thüringen weggezogen, so wie andere fürs Studium. Sie wollte handwerklich, kreativ und mathematisch arbeiten, sagt die 19-Jährige. Für Mievshuk war der Weg ins Handwerk nicht von Anfang an klar, aber ihre vorherige Ausbildung zur Wirtschafterin habe sie gelangweilt, sagt sie. Eine Agentur vermittelte die 24-jährige Ukrainerin schließlich an die Zimmerei zum Probearbeiten, erzählt Metzger, und das „hat gut funktioniert“.

Die vier Zimmerinnen haben aus denselben Gründen Spaß an ihrer Arbeit wie ihre männlichen Kollegen. Sie genießen es am Ende des Tages zu sehen, was sie geschafft haben und quasi ein Haus bauen zu können. „Auch das Risiko und das Abenteuer. Man kann in viele Gebäude rein, in den Metzgerturm oder das Kloster Wiblingen. Manchmal findet man Sachen, alte Schuhe oder Zeitungsartikel. Du siehst alles aus einer anderen Perspektive“, fügt Nika Wolf, die sich besonders für Restauration im Altbau interessiert, begeistert hinzu.

Auf Vorurteile hat sie keine Lust mehr. Ausbildungsmeister würden häufig nur Männer ansprechen und Eltern ihre Töchter eher zurückhalten –  der Beruf sei zu gefährlich. Dabei gelte das für Männer und Frauen gleichermaßen, stellt die Facharbeiterin klar. Es wäre wichtig, modernes Handwerk sichtbarer zu machen, fügt sie hinzu. Immerhin gebe es inzwischen mehr technische Hilfsmittel.

„Ich glaube auch, dass es den Betrieb attraktiver macht, wenn man in der Ausschreibung gendert. Das signalisiert Offenheit“, betont Annukka Lave. Sie will nicht länger überrascht angeschaut werden. Zimmerinnen oder Frauen im Handwerk, das sollte der Gruppe zufolge normal sein und auch so kommuniziert werden. Wolfgang Metzger ist überzeugt, dass sich das Bewusstsein für das Handwerk gerade grundsätzlich ändert und die Zimmerei eine Zukunft hat. Und als Zimmerer und Chef mit über 45 Jahren Erfahrung ist er überzeugt, „dass das jetzt erst der Anfang ist für Frauen“.

Ich bin auch schon gefragt worden, wo der Capo ist. Alina Specchiulli Zimmerin

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