Kernkraftwerk Am Samstag fallen in Gundremmingen die 160 Meter hohen Kühltürme des ehemaligen Atomkraftwerks. Was die Menschen vor Ort dazu sagen.
Noch ist es ruhig in der kleinen 1370-Seelen-Gemeinde Gundremmingen. Da tuckert am Sonntagnachmittag ein Traktor vor sich hin, die Kinder spielen im Hof Ball, zwei Nachbarinnen halten ein Schwätzle, und ab und zu fährt jemand mit dem Rad vorbei. Alles geht seinen gewohnten Gang. Doch das ist nur die Ruhe vor dem Sturm. Seit Wochen arbeiten Spezialisten daran, dass am Samstag um 12 Uhr die beiden Kühltürme des ehemaligen Kernkraftwerks durch Sprengungen dem Erdboden gleich gemacht werden.
Zahlreiche Schaulustige aus Bayern und dem nahen Baden-Württemberg werden zu dem Abriss erwartet. Bürgermeister Tobias Bühler (CSU) sagt: „Wie viele Besucherinnen und Besucher kommen werden, hängt vom Wetter ab.“ Wenn es nicht regnet oder neblig ist, erwarte er zwischen 10.000 und 20.000 Schaulustige. Um das Kraftwerk hat das Landratsamt in Günzburg eine große Sperrzone festgelegt. Bereits am Freitagabend um 21 Uhr beginnt die Absperrung dieses Bereichs.
Tausende Schaulustige erwartet
Auch viele Gundremminger wollen zusehen, wenn 56.000 Tonnen Beton in wenigen Sekunden fallen. Einer davon ist Josef Eberle. Der gelernte Elektriker hat 32 Jahre im ehemaligen AKW gearbeitet. Er berichtet: „Da waren heute schon Leute da und haben sich Plätze herausgesucht.“ Er selbst möchte sich die Sprengung auch anschauen. „Ich werde ein Vorher-Nachher-Foto machen, das wird ein Erlebnis.“ Eberle gehörte zur Werksfeuerwehr im AKW. Er erinnert sich: „Nach Tschernobyl war rund ums AKW Gundremmingen mehr Strahlung als drinnen.“
Eberles Tochter, Juliette Andres, berichtet: „Als Kind habe ich meinen Papa mit dem Fahrrad von der Arbeit abgeholt, es war ja nicht weit.“ Zur Sprengung will sie auf jeden Fall. „Ich habe früher bei Konrad Mess- und Regeltechnik in den Schulferien gejobbt.“ Das Unternehmen am Ort habe sich unter anderem um leittechnische Instandhaltungen inklusive Revisionen im AKW Gundremmingen gekümmert. Eberle meint, er habe sich im AKW immer sicher gefühlt. „Vor den Terroranschlägen am 11. September habe ich auch Führungen gemacht.“ Er sei schon etwas wehmütig. Merkels Atomausstieg nach Fukushima im Jahr 2011 – „ein Schnellschuss.“
Das sieht Landwirt Tobias Holzmann offenbar genauso. Zur Sprengung sagt er: „Das ist schlimm. Die Kühltürme standen für wirtschaftliche Stärke und Wohlstand.“ Der ganze Landkreis Günzburg habe davon profitiert, das sei gut für die Kreisumlage gewesen. „Das war eine sichere Stromversorgung und günstiger Strom.“ Als direkter Nachbar des AKWs habe er nie Angst gehabt.
Philomena Längerer, die heute anders heißt, aber nur mit ihrem Mädchennamen in der Zeitung genannt werden möchte, wohnt ebenfalls nah am ehemaligen Kernkraftwerk. Sie berichtet: „Die Bauern haben immer den Kalk vom AKW bekommen, um ihre Äcker zu kalken.“ Natürlich werde sie sich die Sprengung ansehen. „Mein Mann hat dort schließlich 33 Jahre lang gearbeitet.“ Und 1976, als der Bau des AKWs begann, sei ihr Sohn auf die Welt gekommen.
„Wenn ich die Türme aus der Ferne sehe, weiß ich, jetzt bin ich gleich zu Hause“, sagt Längerer. Der Dampf über den Kühltürmen sei zudem wie eine Wetterfahne gewesen. „Ging der Dampf nach Lauingen, war schlechtes Wetter, ging er nach Offingen, war das Wetter gut.“ Und sie erinnert sich an Post aus Afrika: „Auf dem Kuvert stand unter unserem Namen keine Straße, sondern nur ‚neben dem Kernkraftwerk’.“
Auch für Gerlinde Hutter bedeuten die Kühltürme ein Stück Heimat. „Die Türme gehören zu Gundremmingen wie die Kirche zum Dorf“, sagt die Wirtin des Gasthauses zum Ochsen. Sie berichtet, dass ihr zweiter Ehemann, ein Belgier, wegen der Castortransporte nach Gundremmingen gekommen sei. „Jozef hat im Gasthof übernachtet, da hat’s gefunkt.“ Überhaupt seien viele, die im AKW gearbeitet haben, zum Essen herübergekommen.
Stefan Langenmeir war noch ein Kind, als die Kühltürme gebaut wurden. „Im Informationszentrum gab es kostenlos Schildkappen, die habe ich mir geholt.“ Er erinnert sich auch an die Mahnwachen der Grünen, schmunzelt. „Die waren alle vier Wochen am Sonntag am AKW.“ Am Samstag will er Richtung Aislingen auf den Berg rauf und sich die Sprengung anschauen. Angst, dass was passieren könnte, habe er keine. Er sagt: „Ich bin etwas wehmütig. Binnen 20 Sekunden ist alles vorbei.“