Erst Polizist, dann Bürgermeister

Beruf Immer mehr Beamte lassen den Polizeidienst hinter sich und wechseln an die Spitze einer Kommune. Was sie antreibt und warum gerade ihre Qualifikation den Wählern gefällt.

Vor wenigen Wochen ging ein historisches Industriegebäude am Rand der Altstadt von Gengenbach im Ortenaukreis in Flammen auf. Als Bürgermeister Sven Müller zum Großeinsatz der Feuerwehren hinzueilte, „da habe ich all das brauchen können, was ich im früheren Berufsleben gelernt und gemacht habe“, erzählt der CDU-Kommunalpolitiker. Etwa: Was braucht es an Kommunikation? Ist der Einsatzablauf klar strukturiert?

„Als Blaulichtfamilie tickt man irgendwie gleich“, schaut der einstige Polizist auf den professionellen Einsatz der örtlichen Feuerwehr und deren Kommandanten und Einsatzleiter. Die Folgen der Brandnacht beschäftigen Müller permanent, zum Gespräch mit dem Journalisten eilt er aus einer Runde, die klären muss, was mit der Ruine geschieht.

Bausachen gehörten gleich zu Beginn zum Job. Nur wenige Tage im Amt, musste Müller von seinem Dienstzimmer im Gengenbacher Rathaus, das in der Vorweihnachtszeit wegen seines Adventskalenders ein bekanntes Touristenziel ist, in ein Übergangsquartier ausziehen. Denn das historische Gebäude wird für mehrere Jahre saniert.

Sven Müller, zuletzt Leitender Polizeidirektor im Polizeipräsidium Technik und Logistik in Stuttgart, wurde im Januar 2025 gegen mehrere Mitbewerber mit 53 Prozent zum Bürgermeister gewählt, als Nachfolger des zum Landrat aufgerückten Torsten Erny. In Gengenbach war Müller bis zur Kandidatur völlig unbekannt.

Ob sein Beruf als Polizist ausschlaggebend war? „Das müssen Sie die Leute fragen“, sagt Müller lachend. Natürlich genieße die Polizei Ansehen, hinzu komme die „exzellente Ausbildung“, ein Studium, das nicht abgehoben sei, der Umgang mit Menschen, das habe ihm sicher alles geholfen. Und was ist als Bürgermeister anders als bei der Polizei? Müller überlegt: „Was hier nicht funktioniert, ist Hierarchie, es geht nur mit gegenseitigem Respekt und Wertschätzung.“

Landesweit gibt es einige Bürgermeister mit Polizeivergangenheit. Doch die aktuelle Häufung in Südbaden ist auffällig. Müller befindet sich im Ortenaukreis in ­guter Gesellschaft: Armin Hansmann setzte sich im März 2025 in Haslach gegen den Amtsinhaber Philipp Saar durch. Hansmann, familiär verwurzelt in Haslach, war stellvertretender Dienststellenleiter der Bundespolizei in Offenburg. Im Jahr 2021 wurde der Polizist Andreas Heck in Hohberg gewählt, ­bereits seit 2016 regiert der einstige Polizist Erik Weide in Friesenheim.

Die 53-jährige Marion Isele aus Todtnau schlug bei der Wahl in Zell im Wiesental im Landkreis Lörrach vor wenigen Wochen den Amtsinhaber Peter Palme deutlich. Seit 2001 war sie Polizistin, unter anderem als stellvertretende Leiterin des Polizeipostens Oberes Wiesental. 2024 wechselte sie als Leiterin des Ordnungsamts nach Bad Säckingen. Isele betont klar ihre kommunalpolitische Verwurzelung vor Ort. Dass eine Polizistin antrat, hat bei den Wählern Unterschiedliches ausgelöst. „Ich habe beides erfahren. Leute, die das sehr geschätzt haben – aber auch Leute, die gesagt haben, sie wollen keine Polizistin als Bürgermeisterin haben.“ Auf jeden Fall habe ihr der Beruf mitgegeben, offen zu sein für die Probleme aller Bürger. Dafür sei die Polizei eine gute Schule gewesen, auch, dass man in den Strukturen der Verwaltung denken könne.

Professor Jörg Röber, Experte für Kommunalpolitik bei der Verwaltungshochschule in Kehl, sieht ebenfalls diese Auffälligkeit: Bürgermeisterwahlen seien immer die Suche nach „einer Persönlichkeit, der wir zutrauen, eine Verwaltung zu führen“. So seien etwa Richter, Professoren oder eben Polizisten für Bürgermeisterpositionen verstärkt im Blick. Angesichts der aktuellen Häufung müsse man aber auch fragen, ob die Karriereoptionen für manche leitenden Polizisten nicht mehr allzu rosig seien? „Ein Bürgermeisteramt ist auch ein Fahrstuhl in den höheren Dienst“, so Röber.

Wo die Grundsteuer sehr hoch ist

Wohnen Viele Gemeinden in Baden-Württemberg dürften bald die Grundsteuer erhöhen. Eine Datenanalyse zeigt erstmals, welche Kommunen ihren Bürgern schon jetzt viel zumuten.

Wegen des im Sommer nachträglich erhöhten Hebesatzes zahlt man in Tübingen im Schnitt die höchste Grundsteuer B pro Quadratmeter. Die Stadt ist nicht die einzige Kommune, die ihren Bürgerinnen und Bürgern viel zumutet, aber: Die Unterschiede sind enorm. Das zeigt eine Auswertung dieser Zeitung für alle 1101 Gemeinden in Baden-Württemberg. Erstmals wird so die Grundsteuerbelastung zwischen Gemeinden vergleichbar.

In Tübingen werden im Schnitt 2,69 Euro pro Quadratmeter Grund fällig. In Ludwigsburg (landesweit Platz zehn) sind es 1,93 Euro. Knapp 90 Prozent der Gemeinden kassieren einen Euro oder weniger pro Quadratmeter, die Mehrzahl der Gemeinden zwischen 36 und 76 Cent. Am höchsten sind die Werte rund um die Großstädte.

Wie viel Grundsteuer man zahlt, ergibt sich aus dem Hebesatz, den die Gemeinderäte festlegen, sowie aus den Bodenrichtwerten – also den Grundstückspreisen vor Ort. Die Region Stuttgart ist ein teures Pflaster, die Landeshauptstadt erst recht. Deshalb kommt der landesweit zweithöchste Durchschnittswert von 2,62 Euro pro Quadratmeter bereits mit einem vergleichsweise niedrigen Hebesatz von 160 Prozent zustande. In Mannheim (2,50 Euro pro Quadratmeter, Platz drei) hingegen ist der Boden günstiger, dafür der Hebesatz mit 365 Prozent mehr als doppelt so hoch. Das Endergebnis ist jeweils das gleiche.

Die Zahlen basieren auf einer exklusiven Analyse unserer Redaktion. Dafür haben wir auf Basis der örtlichen Hebesätze und Bodenrichtwerte die theoretische Grundsteuer für rund 2,3 Millionen Flurstücke in Baden-Württemberg berechnet, die laut dem amtlichen Liegenschaftskataster in Wohn- oder Mischgebieten liegen und auf denen Gebäude stehen, die ganz oder teilweise zum Wohnen genutzt werden. Für jede Gemeinde ergibt sich daraus eine durchschnittliche Grundsteuerbelastung pro Quadratmeter.

Die Datenanalyse bezieht sich nur auf Grundstücke, die ganz oder teilweise zum Wohnen genutzt werden, und sie arbeitet mit verschiedenen Vereinfachungen. Gelten für ein Grundstück beispielsweise unterschiedliche Bodenrichtwerte für Ein- und Mehrfamilienhäuser, wird der Durchschnitt genutzt.

Der Vergleich liefert nach den Debatten über die Grundsteuerreform neue Fakten für die anschwellende Diskussion über eine Erhöhung der Hebesätze. Diese werde „in den kommenden Jahren in nahezu allen Gemeinden des Landes notwendig“, prognostiziert Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer. Ob eine Gemeinde Eigentümern bereits viel oder noch wenig abverlangt, dürfte in den Gemeinderatsdebatten zum Argument werden.

Statistisch gesehen ist die Grundsteuerbelastung umso höher, je größer und großstadtnäher eine Gemeinde ist. Aus diesem Muster fällt eine Gruppe von mehr als 30 Städten heraus, die zwar nicht in Ballungsräumen wie der Region Stuttgart liegen, aber als regionale Zentren fungieren. Dazu zählen unter anderem Konstanz und Baden-Baden. Hier sind die Bodenrichtwerte höher als in Dörfern und Kleinstädten – und ebenso die Hebesätze.

Eine höhere Grundsteuer diene auch dazu, besondere Aufgaben zu finanzieren, die die kleineren Gemeinden ohne Zentralitätsfunktion so gar nicht haben, sagt die stellvertretende Hauptgeschäftsführerin des Städtetags Baden-Württemberg, Susanne Nusser. Das gelte für Großstädte ebenso wie für Städte wie Konstanz. Die Unistadt am Bodensee sei etwa auch Jugendhilfeträger. „Gerade im Gesundheits- und Sozialbereich steigen die Kosten besonders stark, weitaus stärker als die Zuweisungen vom Land oder vom Kreis.“

Hinzu kämen Kosten für den Nahverkehr: Konstanz bestellt und bezahlt eigene Busverkehre und muss diese Zuschussbetriebe unter anderem über die Grundsteuer refinanzieren. „Diese Städte müssen sich auch bei den Einnahmen nach der Decke strecken“, schildert Susanne Nusser – also womöglich die Grundsteuer erhöhen, obwohl die Belastung schon vergleichsweise hoch ist.

Besonders gering fällt die Grundsteuerbelastung typischerweise in Kleinstädten und Dörfern im ländlichen Raum aus. Sie erbringen meist auch weniger öffentliche Leistungen. Trotzdem gibt es auch hier Unterschiede: In Emeringen (Alb-Donau-Kreis) ist ein Quadratmeter Grund mit durchschnittlich 11 Cent landesweit am geringsten besteuert und entsprechend Luft nach oben; Bad Säckingen dagegen sollte im Falle einer Erhöhung bedenken, dass der Grund dort mit 1,19 Euro je Quadratmeter nicht allzu viel günstiger ist als im siebenmal größeren Pforzheim (1,40 Euro).

Dass die Grundsteuer im ländlichen Raum geringer ist als in Ballungszentren, „diese Tendenz gab es schon vor der Grundsteuerreform“, sagt Christopher Heck vom Gemeindetag Baden-Württemberg. Ob Eigentümer nach der Reform mehr zahlen müssen, hänge auch mit der städtebaulichen Struktur zusammen, etwa dem Anteil von Gewerbeflächen im Stadtgebiet oder der Art der Wohngebäude.

Mehr Einnahmen nötig

Sollte Boris Palmer recht behalten, werden diese Werte steigen. Gemeinden müssten sowohl Kosten senken als auch Einnahmen erhöhen, sagt Susanne Nusser vom Städtetag. Zwar unterstützt das Land die Kommunen dieses und nächstes Jahr mit Sonderzuweisungen von 275 Millionen Euro pro Jahr. „So wie wir es einschätzen, werden sich Ausgaben und Einnahmen bis Januar 2027 allerdings nicht ausgeglichen haben“, sagt Nusser.

Was ist die Alternative? Könnten die Kommunen Leistungen abgeben – nachdem sie in den vergangenen Jahren geklagt haben, immer neue Aufgaben vom Bund aufgedrückt bekommen zu haben? „Eine zentrale Behörde in Stuttgart würde den Nahverkehr in Konstanz nicht besser organisieren als die Stadt Konstanz selbst“, glaubt Susanne Nusser. Eine Aufgabenverlagerung sei zudem keine kurzfristig wirkende Maßnahme.

Es gebe in Sachen kommunaler Finanzen kein Erkenntnisdefizit. „Jetzt ist es auch an Land und Bund, die Kommunen finanziell angemessen auszustatten und insbesondere bei neuen Aufgaben und Standards zu gewährleisten, dass nach dem Prinzip ‚Wer bestellt, bezahlt’ die Finanzierung gleich mitgeregelt wird“, ist Susanne Nusser überzeugt. Weil sonst schon wieder Ärger mit der Grundsteuer droht.

Bahn erklärt Endlos-Streit für erledigt

S21 Konzern akzeptiert das VGH-Urteil zu den Kostensteigerungen für das Bahnhofsprojekt. Es geht um Milliarden.

Stuttgart. Es ist das endgültige Ende eines jahrzehntelangen Rechtsstreits: Die Deutsche Bahn AG wird im Konflikt um die milliardenteuren Kostensteigerungen beim Projekt Stuttgart 21 keine Rechtsmittel gegen das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs (VGH) Baden-Württemberg einlegen. Dies teilte am Freitag Olaf Drescher, Vorsitzender der Geschäftsführung bei der DB Projekt Stuttgart-Ulm GmbH, anlässlich einer Lenkungskreissitzung der Projektpartner von Stuttgart 21 mit.

Der VGH hatte im August 2025 ein Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart bestätigt, wonach die Deutsche Bahn die Mehrkosten von aktuell sieben Milliarden Euro selber zahlen muss. Bekanntlich hatte die Bahn ihre Projektpartner Land Baden-Württemberg, Stadt und Region Stuttgart 2016 verklagt, der Rechtsstreit zog sich über Jahre hin.

Was die geplante Eröffnung des neuen Stuttgarter Tiefbahnhofs Ende 2026 angeht, bleibt es weiter nach bisherigen Erkenntnisstand bei der bisherigen Planung. Ende 2026 soll der Tiefbahnhof in Betrieb gehen, dort sollen alle Fernbahnlinien und zwei Drittel der Regionalbahnen einfahren. Der oberirdische Bahnhof bleibt noch zunächst 2027 in Betrieb für die restlichen Regionalbahnlinien. Im Mai 2026 soll der „konzentrierte Testbetrieb“ im neuen Tiefbahnhof beginnen, teilte Drescher mit.

„Es sieht gut aus, wir sind aber auf der Zielgeraden eines längeren Rennens, man kann auch im Zieleinlauf noch einiges verstolpern“, so Landesverkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) nach der Sitzung.

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