Abnehmspritzen Die Aussicht auf purzelnde Kilos ohne Mühsal führt in Deutschland zu negativen Auswüchsen: Der Schwarzmarkt boomt. Rezepte und Medikamente werden gefälscht.
Semaglutid und Tirzepatid mögen nur Eingeweihten ein Begriff sein, doch die Wirkstoffe haben die Welt verändert. Auf ihnen basieren Abnehmspritzen wie Ozempic, Wegovy und Mounjaro, mit deren Hilfe Millionen Menschen weltweit Hunderte Millionen Kilogramm Körpergewicht verloren haben.
Besonders wild ist der Hype in den USA, wo er von Hollywood-Stars und Milliardären wie Elon Musk befeuert wurde. Mittlerweile sind die Spritzen, die einmal pro Woche angewendet werden und den Appetit drastisch reduzieren, längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Laut New York Times zerbrechen immer mehr Ehen daran, dass einer von beiden spritzt – und auf einmal vieles anders ist. Doch die irren Blüten des Ozempic-Booms schwappen immer mehr auch herüber nach Deutschland.
Auch hierzulande wollen viele abnehmen, am besten ohne eine langwierige und anstrengende Verhaltensänderung mit gesünderer Ernährung und mehr Sport. Doch anders als in den USA, wo viele Krankenkassen schon seit Jahren für die Spritzen bezahlen, weil sie sich langfristig geringere Kosten versprechen, übernehmen die deutschen Kassen die Kosten nur für Diabetiker. Für Übergewichtige gelten die Medikamente als Lifestyle-Produkte. Die Folgen des restriktiven Ansatzes: ein boomender und gefährlicher Schwarzmarkt.
„Papierrezepte werden von manchen Kriminellen inzwischen oft so gut gefälscht, dass Apothekerinnen und Apotheken kaum eine Chance haben, sie zu erkennen“, sagt ein Sprecher des Branchenverbands ABDA. Fälschungen von E-Rezepten seien bisher nicht bekannt. Genaue Zahlen sind nicht nur den Apothekern unbekannt – sie sind auch schwer zu erheben. Die AOK Niedersachsen hat 2024 innerhalb von 13 Monaten über 2900 Fälschungen gezählt, der Schaden: über eine Million Euro. Bei den Tätern handelt es sich laut dem Innenministerium von Baden-Württemberg häufig um überregional agierende Gruppen mit osteuropäischer Herkunft.
Klar ist: „Rezeptfälschung ist eine Straftat – und wird von Polizei und Staatsanwaltschaft verfolgt“, sagt der ABDA-Sprecher. Problematisch sei, dass sich Patienten, die Rezepte fälschen oder Präparate auf dem Schwarzmarkt von Kriminellen kauften, selbst in höchste Gefahr brächten.
Wie dreist die Betrüger zum Teil vorgehen, weiß die Apothekerin Jasmin Hamad, die nach eigenen Angaben in ihrer Filiale in Berlin einmal pro Monat ein gefälschtes Rezept in der Hand hält. Nach dem Hype um Ozempic sei die Zahl der Betrugsversuche mit Fake-Rezepten sprunghaft angestiegen, mittlerweile habe es sich eingependelt. „Da kommen dann super schlanke Mädchen und sagen, sie würden für ihren Vater oder Opa ein Rezept einlösen, reden dabei viel, sind hippelig, schauen einen aber nicht an“, erzählt sie.
Ein vergleichsweise einfacher Fall für die Apothekerin. Sie erzählt, dass sich Filialen in der Umgebung auch mal anrufen würden, um zu warnen, dass mal wieder ein Betrüger unterwegs sei, aber insgesamt findet Hamad es schade, dass die Apotheken nicht besser untereinander vernetzt sind. Fallen sie auf ein gefälschtes Rezept herein, bleiben sie auf den Kosten sitzen.
Doch Hamad hat eine Methode entwickelt, mit der sie bisher nicht übers Ohr gehauen wurde. „Wenn es kein Stammkunde ist und das Medikament Fälschungspotenzial hat, rufe ich immer beim Arzt an und frage nach“, sagt Hamad. Meistens gingen die Betrüger, die bewusst zu Uhrzeiten kämen, in denen Ärzte keine Sprechstunde mehr hätten, dann von sich aus.
Für die Abnehmwilligen selbst geht das größte Risiko von gefälschten Produkten aus. Laut AOK Niedersachsen vertreiben Kriminelle zum Beispiel umetikettiertes Insulin als vermeintliches Ozempic. Das stelle ein großes Gesundheitsrisiko dar. „Eine Anwendung kann für Nicht-Diabetiker lebensbedrohlich werden“, warnt die Krankenkasse.
Ausländische Plattformen
Doch selbst wenn ein zugelassener Arzt das Rezept für einen Privatzahler ausstellt, heißt das nicht, dass der Patient das Medikament aus medizinischen Gründen benötigt. Telemedizin-Plattformen, viele mit Sitz im Ausland, bieten Rezepte für die Abnehmspritzen auf Basis von Online-Fragebögen an. Die Bundesärztekammer betont auf Anfrage dieser Zeitung, dass sie nicht beurteilen könne, unter welchen Voraussetzungen Ärzte im EU-Ausland Medikamente verschreiben dürften.
„Einen erheblichen Verstoß gegen die ärztliche Sorgfalt“ würde es nach deutschem Berufsrecht darstellen, wenn die Rezepte ausschließlich auf Wunsch des Patienten und ohne Vorliegen der medizinischen Voraussetzungen ausgestellt würden, erklärt Samir Rabbata von der Ärztekammer. Die Einhaltung der nötigen Sorgfalt setze mindestens voraus, dass die Indikation in einem persönlichen Arzt-Patienten-Gespräch gewissenhaft geprüft werde. „Das Ausfüllen eines Fragebogens ohne persönlichen Kontakt zwischen Patienten und Ärztin oder Arzt ist nicht ausreichend.“