Falsche Heilige und Opportunisten

  • : Noli me tangere. Aus dem philippinischen Spanisch von Annemarie del Cueto-Mörth. Insel, 542 Seiten, 29 Euro. Foto: Insel Verlag

Roman Ein Leitstern der philippinischen Literatur: José Rizals grandioses Werk „Noli me tangere“.

José Rizal, Nationalheld der Philippinen, war zur Blütezeit der großen Gesellschaftsromane Ende des 19. Jahrhunderts, in Europa. Der junge philippinische Arzt und Schriftsteller mag diese mit Begeisterung für sich entdeckt haben, als er unter anderem in Heidelberg seine medizinischen Studien vervollständigte. Die europäischen Gesellschaftsromane werden ihn sicherlich beeinflusst haben und waren Vorbild für seinen großartigen Roman „Noli me tangere“. Das Buch war bereits 1887 in Deutschland auf Spanisch erschienen, als er mit diesem im Gepäck 1892 in die Heimat zurückkehrte. Wagemutig, denn der Inhalt des Romans barg viel gesellschaftspolitischen Sprengstoff, was seinem Autor letztendlich das Leben kosten sollte.

Es treten Spanier auf, die wie marodes Treibgut an den Küsten der vielen Inseln der Philippinen angeschwemmt werden. Glücksritter und kleine Ganoven, die sich mit Doktor- und Adelstiteln ausstaffierten, um somit privilegiert Land und Leute auszubeuten. Schwer in Kritik gerät auch die katholische Kirche, da Mönche und Pfarrer die Macht der spanischen Kolonialherren und damit ihren Einfluss und Reichtum erhalten wollten. Sie schröpfen die Philippinas mit ihrem Ablasshandel, denn die naiv volksfrommen Menschen lassen sich für das Seelenheil den letzten Groschen aus der Tasche ziehen. Rizal (1861-1896) kritisiert aber auch die Opportunisten und die Emporkömmlinge aus der einheimischen Bevölkerung, die das ausbeuterische Kolonialsystem stützen.

Intrigen und Neider

Auf diese Verhältnisse trifft im Roman der aus Europa heimkommende Ibarra mit all seinen reformerischen Ideen und erfährt, dass sein Vater im Gefängnis ums Leben kam. Ibarra steht für einen neuen und unabhängigen Inselstaat. Dass die Zeit der spanischen Kolonialherren zu Ende geht, spürt man bei der Lektüre deutlich, doch gerade am Ende einer kolonialistischen Herrschaft greifen die Machthaber zu besonders grausamen Mitteln.

Dies wird nicht nur im Roman, sondern auch in Wirklichkeit, das Todesurteil für Autor und Romanheld bedeuten. Aber Ibarra kehrt nicht nur als Sozialrevolutionär zurück, er will seine Verlobte, die wunderschöne Maria Clara, endlich heiraten. Das Netz der Intrigen von Neidern und politischen Gegnern, das schon Ibarras Vater ins Verderben führte, beginnt erneut seinen verhängnisvollen Lauf.

José Rizal gilt nicht zu Unrecht als der größte Dichter der Philippinen. Sein Roman ist zum Nationalepos geworden. Doch er besticht durch sein literarischen Können. Noch heute fesselt die Geschichte den Leser. Virtuos zeichnet Rizal ein gesellschaftliches Panorama und setzt dem traurigen Verlauf feine Ironie und Humor in der Ausgestaltung seiner Figuren entgegen. In der grandiosen Neuübersetzung von Annemarie del Cuete-Mörth ist der Roman sicherlich zu Recht der Leitstern bei der Präsentation philippinischer Bücher des Gastlands auf der Frankfurter Buchmesse.

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