Armer reicher Klingbeil

Haushalt Die Steuerschätzung könnte dem Bundesfinanzminister ein wenig Luft verschaffen. Doch die hohen Schulden, die jetzt angehäuft werden, stellen Deutschland vor Probleme.

Der Kabarettist Rainald Grebe hat einmal eine spöttische Hymne über den früheren sozialdemokratischen Finanzminister Hans Eichel (SPD) geschrieben. „Hans Eichel hat drei Töchter“, heißt es darin. „Die spielen gern im Garten.“ Und weiter: „Die Töchter heißen alle Hans. Das spart Visitenkarten.“

SPD-Chef Lars Klingbeil ist der Finanzminister, der in einem gigantischen Ausmaß Schulden aufnimmt. Und dennoch muss er dafür kämpfen, dass in den Ministerien zugleich kräftig eingespart wird. Das gilt auch dann, wenn die Ergebnisse der Steuerschätzung für den Finanzminister am Donnerstag einigermaßen günstig ausfallen.

Der Grund: Die Schulden, für die Klingbeil und Kanzler Friedrich Merz (CDU) verantwortlich zeichnen, sind erstens dazu da, dass die Bundeswehr gestärkt wird und ihren Aufgaben in der Nato nachkommen kann. Zweitens soll mit ihnen der Investitionsrückstand im Land aufgeholt werden. Dafür wurde eigens das Grundgesetz geändert. Das Geld ist aber – auch wenn die Politik einen gewissen Spielraum hat – zweckgebunden. Das bedeutet: Im eigentlichen Haushalt muss gespart werden, zumal aus ihm nun teure Wahlversprechen finanziert werden sollen wie die von der CSU durchgesetzte Ausweitung der sogenannten Mütterrente.

34 Milliarden Euro beträgt bislang die Haushaltslücke für das Jahr 2027. Für die Jahre 2027 bis 2029 sind es, Stand jetzt, sogar 172 Milliarden Euro. Ein gigantisches Loch. Es dürfte etwas kleiner werden, wenn sich als richtig herausstellt, was das „Handelsblatt“ aus Regierungskreisen über die Steuerschätzung berichtet hat. Demnach könnten Bund, Länder und Kommunen in den Jahren 2025 bis 2029 um die 100 Milliarden Euro mehr einnehmen als noch bei der Steuerschätzung im Mai vorhergesagt.

Egal wie die Prognose genau ausfällt, das Loch im Etat für 2027 dürfte noch immer groß genug sein. Der Drang der einzelnen Minister, doch mehr auszugeben als erwünscht, wird aber wachsen. Die Aufgabe für Finanzminister Klingbeil wird also nicht leichter.

Ein langjähriger Haushälter aus dem Bundestag beschreibt es so: Natürlich sei es bei einer günstigen Steuerprognose leichter, das eine oder andere Loch konfliktfrei zu stopfen. Doch es passiere dann auch Folgendes: „Jede Ministerin und jeder Minister strengt sich ein bisschen weniger an, Geld einzusparen – ohne dass sie oder er das sagen würde.“ Das zusätzliche Geld sei in Windeseile weg. Dabei werden die in den kommenden Jahren anwachsenden Schulden es ohnehin nötig machen, dass Deutschland in der Haushaltspolitik umsteuert.

Es gibt drei große Herausforderungen, vor denen die jetzige Bundesregierung und auch mögliche Nachfolgeregierungen durch die aktuelle Schuldenpolitik stehen. Erstens: Das Geld, das Deutschland nun auf Pump investiert, muss auch massiv zusätzliches Wachstum generieren. Sonst wird es für Deutschland schwierig, die Schulden zurückzuzahlen. Sie sind mit einer hohen Zinslast verbunden.

Es gibt viele Risiken für die deutsche Wirtschaft, auf die auch die Bundesregierung wenig Einfluss hat. Das gilt besonders für die Zollpolitik von US-Präsident Donald Trump – und die Frage, welche Folgen sie für die Weltwirtschaft hat.

Zweitens wird der demografische Wandel in den kommenden Jahren immer größere Steuerzuschüsse in die Sozialversicherungen nötig machen. Abgemildert werden kann dies nur durch Reformen, die vielen wehtun würden – und auf die sich Union und SPD deshalb nur unter Schwierigkeiten werden einigen können. Die Zuschüsse zur Rente sind schon jetzt ein riesiger Posten im Bundeshaushalt. Die Geldprobleme in der Kranken- und Pflegeversicherung sind akut.

Drittens stellt sich die Frage, ob die Finanzierung eines wichtigen Teils der Verteidigungsausgaben dauerhaft über Schulden erfolgen kann. Die beschlossene Änderung an der Schuldenbremse im Grundgesetz macht das zwar möglich. Doch gehört sie nicht auf mittlere und längere Sicht auch wieder komplett in den Kernhaushalt?

Sparen wie Eichel

Der Bund der Steuerzahler hat hier eine eindeutige Meinung: „Verteidigung ist eine der zentralen Kernaufgaben des Staates, die aus den laufenden Einnahmen finanziert werden muss“, sagte Präsident Reiner Holznagel dieser Zeitung. „Da sollten wir möglichst schnell wieder hinkommen – das sollt mit Blick auf neue Rekorde bei den Steuereinnahmen auch möglich sein“, fügte er hinzu.

Klar ist: Lars Klingbeil wird in den kommenden Jahren viel Geld ausgeben. Gleichzeitig muss er sparen wie Hans Eichel. Und seine Nachfolger werden es ebenfalls tun müssen.

Kommentar

Reg dich nicht so auf!

Pluralismus ist die Grundlage unserer Demokratie – und des Fortschritts. Warum wir dafür auch Debatten aushalten müssen, die nicht wohlgeordnet und gesittet sind.

Für viele lässt sich das Ausmaß, in dem die deutsche Demokratie gefährdet ist, an den Wahl- und Umfrageergebnissen für die AfD messen. Das Problem dieser Sichtweise: Längst nicht jeder AfD-Sympathisant lehnt das Grundgesetz oder gar die Demokratie ab. Ein besserer Indikator ist da schon die Frage nach den entsprechenden Einstellungen, wie sie zum Beispiel die Leipziger Autoritarismus-Studie alle zwei Jahre abfragt.

Die gute Nachricht vorweg: Die Anzahl der Menschen, die glauben, dass Deutschland eine einzige starke Partei braucht, welche die Volksgemeinschaft insgesamt verkörpert, ist zwischen 2018 und 2024 spürbar zurückgegangen. Die schlechte Nachricht: Knapp 18 Prozent der Befragten stimmen ihr zu – und nur gut 60 Prozent lehnen sie klar ab. Diese These ist deswegen interessant, weil sie losgelöst von der NS-Diktatur nach der Akzeptanz des Pluralismus hierzulande fragt, nach der Meinungsvielfalt, die das Fundament der Demokratie bildet. Friedrich Merz hat in seiner „Dann doch keine Ruck-Rede“ zum Tag der Einheit zuerst die Meinungsvielfalt genannt, als er die Frage zu beantworten versuchte, was für ein Land wir sein wollen. Zugleich warnte der Kanzler angesichts des emotional aufgeladenen und sprachsensiblen Klimas in der Gesellschaft, dass diese Auseinandersetzung nicht wohlgeordnet und nicht immer gesittet sei. Trotzdem seien diese Debatten „die Voraussetzung für jeden Fortschritt“. Womit er recht hat.

Wie schwer sich die Mitte der Gesellschaft im Moment mit krawalligen Aussagen tut, kann Merz wenige Wochen nach seiner Rede aus der ersten Reihe beobachten, Stichwort: Stadtbild. Und ja, klar, Merz hätte von Anfang an deutlicher machen können, worum es ihm konkret geht. Zu viel verlangt wäre das von einem Spitzenpolitiker nicht. Aber: Ist es denn umgekehrt von den Parteien links der Mitte zu viel verlangt, Merz nicht direkt die bösest mögliche Interpretation zu unterstellen – also ein Blut-und-Boden-Rassismus, für den alle ausländisch aussehenden Menschen ein Problem darstellen – nur weil es kurzfristig vielleicht die eigene Blase emotionalisiert?

Man kann sich durchaus mehr gesittete Diskussionen wünschen, aber in einer Gesellschaft, in der Umfragen zufolge über ein Drittel der Wähler entweder eine Partei am linken oder am rechten Rand wählen wollen – Parteien also, die von harten Zuspitzungen leben –, dürfte der Wunsch da Vater des Gedankens bleiben. Besser wäre es, sich nicht so schnell aufzuregen und dem Krawall entspannter zu begegnen.

So neu, wie es manchen vorkommt, ist das alles auch nicht. Willy Brandt wird als Friedensnobelpreisträger über die Parteigrenzen hinweg geschätzt. Aber er sagte auch über den ebenso respektierten Heiner Geißler: „seit Goebbels der schlimmste Hetzer in diesem Land.“ Grünen-Ikone Joschka Fischer nannte den Bundestagspräsidenten ein „Arschloch“.

Dem Land hat der Krawall damals jedenfalls nicht langfristig geschadet. Viel teurer wäre es, die Meinungsvielfalt aufs Spiel zu setzen, weil einem nicht gefällt, wie ein Argument vorgetragen wird.

leitartikel@swp.de

Kommentar

Hilferuf an von der Leyen

Überbordende Bürokratie, obsessive Detailverliebtheit und Gesetzsprechung ohne Augenmaß: In einem Brief fordern 19 Staatschef den Abbau hemmender Vorschriften, um Europa wieder wettbewerbsfähig zu machen. Aber ist die Kommissionspräsidentinüberhaupt der richtige Adressat?

In einem Brief an EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen fordern 19 Staatschefs von der EU eine drastische Entbürokratisierung, weniger Regelungswut und den Abbau von hemmenden Vorschriften, um Europa wieder wettbewerbsfähiger zu machen.

Ist das der richtige Ansatz? Teilweise. Natürlich gibt es eine ausufernde Leidenschaft der Brüsseler Zentrale, jeden Lebensbereich zu verrechtlichen. Natürlich gibt es viel Kleinteiligkeit und eine obsessive Detailverliebtheit bei der Ausgestaltung von Richtlinien. Das kann ein Hemmnis für Unternehmen sein. Und dort, wo diese Hemmnisse überflüssig sind, müssen sie weg.

Richtig ist auch die Stoßrichtung des Briefes: Europa verliert auf den Weltmärkten den Anschluss und das muss sich ändern, will der Kontinent eine Wohlstandsregion bleiben. Aber es ist eine populistisch verkürzte Sichtweise, die Brüsseler Bürokratie für die Terrainverluste auf den globalen Märkten verantwortlich zu machen. Tatsächlich verliert Europa ökonomisch an Boden, weil es den dramatischen technologischen Wandel nicht offensiv annimmt. Die Union hat sich als Gemeinschaft für Kohle und Stahl gegründet und in den Köpfen mancher Regierungen ist dieses Denken immer noch tief verhaftet. Aber die Welt stellt sich um. Die traditionellen Industrien, vom Maschinenbau bis zur Energiebranche, verändern sich rasant. Digitalisierung, der Einsatz Künstlicher Intelligenz und die Umstellung auf nachhaltige Energiequellen verändern Produkte und Produktion.

Die EU ist hier sehr oft Antreiber und Ermöglicher. Die Verhinderer eines mutigen Umbaus sitzen zumeist in den nationalen Regierungen, leider auch in Deutschland.

Rentenerhöhung könnte 2032 ausfallen

Bundestag Der Streit um die Reform geht weiter. Sobald der sogenannte Nachhaltigkeitsfaktor wieder wirkt, kann das zu niedrigeren individuellen Ansprüchen führen.

Berlin. Noch ist das Rentenpaket nicht in trockenen Tüchern. Weiterhin halten jüngere Unionsabgeordnete die Pläne von Ministerin Bärbel Bas (SPD) nicht für zustimmungsfähig. Konkret stört sich der Unionsnachwuchs daran, dass das Rentenniveau laut Gesetzesentwurf auch nach 2031 „dauerhaft“ ein Prozent höher liegen soll, als es die jetzige Rechtslage vorsieht. Bis 2040 entstünden so 115 Milliarden Euro Mehrkosten – nicht hinnehmbar für diesogenannte Junge Gruppe.

Sie ist der Auffassung, dass das Rentenniveau von den künstlich verlängerten 48 Prozent wieder auf den ursprünglichen Entwicklungspfad sinken müsste – bis 2035 auf 45,7 Prozent und bis 2040 auf 45 Prozent, also je ein Prozentpunkt weniger als der Bas-Entwurf vorsieht.

Aktuell führt die festgeschriebene Haltelinie von 48 Prozent dazu, dass die Renten, so wie in diesem Jahr, stärker erhöht werden, als es die Berechnungsformel eigentlich vorsieht. Eigentlich soll der Nachhaltigkeitsfaktor die Balance zwischen der schrumpfenden Zahl an Beitragszahlern und wachsenden Zahl an Rentnern ausgleichen und die volle Umlegung der Tarif- und Lohnsteigerungen auf die Renten abdämpfen. Dieser Faktor ist aber seit 2018 ausgesetzt, um das Sicherungsniveau von 48 Prozent garantieren zu können.

Letztlich hängen die konkreten Folgen für Rentner und Beitragszahler davon ab, worauf sich Union und SPD im Gesetz einigen. In der Theorie aber, wenn ab 2032 der Nachhaltigkeitsfaktor wieder wirken und das Rentenniveau nicht auf den im Gesetzentwurf vorgesehen Pfad, sondern zum ursprünglichen Pfad sinken würde, ergäben sich ab 2032 niedrigere Rentenwerte „und damit in aller Regel auch niedrigere individuelle Renten im Vergleich zum Gesetzentwurf“, erklärt eine Sprecherin der Deutschen Rentenversicherung (DRV).

Sinke das Rentenniveau auf den ursprünglichen Pfad, müssten die Rentenanpassungen ab 2032 geringer ausfallen als nach geltendem Recht, erklärt eine Sprecherin des Bundessozialministeriums auf Nachfrage. Dies müsste so lange erfolgen, bis der Effekt der Haltelinie von 48 Prozent vollständig zurückgeholt wäre.

Die DRV geht davon aus, dass dann der Rentenwert ab 2032 „so lange nicht erhöht wird, bis der Rentenwert ohne Haltelinie erreicht werden kann, ohne die Renten zu kürzen“. Auch der Rentenwert darf gesetzlich nicht gekürzt werden. Wie auch das BMAS, sagt die Rentenkasse, dass dadurch 2032 eine Rentenerhöhung ausbleiben und die Erhöhung im darauffolgenden Jahr niedriger ausfallen könnte. Der Rentenwert läge zudem ab 2033 dauerhaft rund zwei Prozent niedriger als im Vergleich zum Gesetzesentwurf, so die DRV-Sprecherin.

Im Rentenbescheid beziehe sich die Rentenhöhe immer auf den aktuellen Rentenwert, nicht auf spätere aus Modellprojektionen.

Rätselraten um Gipfel

Ukraine Donald Trump und Wladimir Putin wollten in Budapest über Frieden sprechen, doch das Treffen ist vorerst vom Tisch

Washington. Nach dem Treffen im Weißen Haus zwischen US-Präsident Donald Trump und dem ukrainischen Präsident Wolodymyr Selenskyj herrschte Zuversicht über die Chancen für eine baldige Beendigung des russischen Angriffskrieges in der Ukraine. Innerhalb von zwei Wochen sollte es in Budapest zu einem Gipfeltreffen zwischen ihm und Kreml-Chef Wladimir Putin kommen, kündigte Trump an.

Warum ist der Gipfel geplatzt? Von US-Regierungsseite hieß es, dass „die Positionen zwischen Moskau und Kiew zu weit auseinander sind“, um ein vielversprechendes Treffen zu organisieren.

Ändert Trump jetzt wieder seine Politik in Richtung Ukraine? Die zentrale Frage lautet, ob das Entgegenkommen, das Trump vergangene Woche gegenüber der Ukraine signalisiert hatte, authentisch war. Bei Gesprächen mit Selenskyj im Weißen Haus hatte der Präsident beide Seiten aufgefordert, die Kampfhandlungen sofort „einzufrieren“. Auch hatte er Selenskyj die Lieferung von Tomahawks in Aussicht gestellt. Zwischenzeitlich wurde bekannt, dass die Begegnung spannungsgeladen war. Hinzu kommt, dass Putin in einem Gespräch mit Trump dem Präsidenten offenbar die Lieferung der Marschflugkörper ausgeredet hatte.

Ist das Teil einer ungewöhnlichen Verhandlungsführung? Trump hat wiederholt betont, dass er Krieg prinzipiell verabscheut. Insbesondere hätten ihn Fernsehbilder von bombardierten ukrainischen Wohngebäuden, Schulen und Krankenhäusern irritiert. Doch Berater des Präsidenten räumen ein, dass sein Engagement für eine rasche Verhandlungslösung in der Ukraine weniger von einer konkreten Verhandlungsstrategie als von Eigeninteresse getrieben wurde. Trump sei enttäuscht gewesen, dass er nicht den Friedensnobelpreis bekommen hat. Folglich wolle er mit dem jüngsten Abkommen im Nahen Osten und nun zumindest einer Waffenruhe in der Ukraine die Weichen stellen, um 2026 als Favorit ins Rennen zu gehen.

Kommen jetzt die Tomahawks wieder auf den Tisch? Diese Frage hat das Weiße Haus offen gelassen. „Wir werden sehen, was geschieht“, sagte der Präsident. Politische Experten zweifeln aber daran, dass Trump tatsächlich die Absicht hatte, Marschflugkörper an die Ukraine zu schicken. „Es stört dich doch nicht, wenn ich denen Tomahawks gebe, oder?“, soll er eher scherzhaft gegenüber Putin gesagt haben. Zudem hat US-Außenminister Marco Rubio nach einem Telefonat mit seinem russischen Amtskollegen Sergej Lawrow den Präsidenten gewarnt: Putin würde die Lieferung von Langstreckenraketen an Kiew als Provokation ansehen. Er könnte dies zum Anlass nehmen, seinen Expansionismus auf die Nato-Ostflanke auszuweiten.

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