Ein Alemão ermittelt an der Algarve
Unterhaltung Gil Ribeiro hat mit seiner Reihe „Lost in Fuseta“ so viel Erfolg wie Jean-Luc Bannalec mit seinen Bretagne-Krimis. „Lautlose Feinde“ ist unser neuer, spannender Fortsetzungsroman.
Ein wolkenloser, azurblauer Himmel an der Algarve. Ein warmer, sonnendurchfluteter Oktobertag. Und ein Festessen in Fuseta: „Arroz de marisco“ – Reis mit Meeresfrüchten, in Weißwein gekocht. Die Schalen der Garnelen und ein paar Krebsscheren geben dem Eintopf den entscheidenden Pfiff: den „Geschmack des Atlantiks“. Angestoßen wird mit einem Aperitif, einem edlen, rubinroten Port. „Senhor Lost“, sagt Antonio feierlich zu seinem frisch angeheirateten Schwiegersohn: „Herzlich willkommen in der Familie Rosado.“ Leander, der Alemão, der Deutsche, bestätigt mit der ihm maximal möglichen Herzlichkeit: „Da sagen Sie was.“
Seltsamer Typ, dieser Leander Lost: ein Kriminalkommissar aus Hamburg, den es nach Portugal verschlagen hat, der im schwarzen Anzug mit Krawatte auftritt, keine Emotionen zeigen kann, der aber auch ein Insekt, das im Pool treibt, so barmherzig retten will wie ein Menschenleben. Er wurde in einem Europol-Austauschprogramm der Polícia Judiciária in Faro zugeteilt: ein Asperger-Autist als Ermittler? Die Begeisterung der Inspektoren Graciana Rosado und Carlos Esteves hält sich anfangs in Grenzen. Aber dann staunen sie über diesen hoch intelligenten Kollegen, seine unkonventionellen Methoden, sein fotografisches Gedächtnis.
Die Lektüre weckt Fernweh
So begannen 2017 die bald sehr erfolgreichen Portugal-Krimis der Reihe „Lost in Fuseta“ von Gil Ribeiro. Längst sind Graciana, Carlos und Leander Freunde geworden und ein Team, das viele Abenteuer erlebt hat. „Lautlose Feinde“ heißt der aktuell siebte Roman – Leander Lost ist endgültig angekommen in Fuseta: Er heiratet Soraia, die Schwester seiner Kollegin. Aber es passiert noch eine ganze Menge: Lost deckt ein Spionagenetz auf – mit lebensgefährlichen Folgen.
Gil Ribeiro ist genauso wenig Portugiese wie sein Kollege Jean-Luc Bannalec ein Franzose. Es sind Pseudonyme, es sind deutsche Autoren, und sie landen regelmäßig mit ihren Büchern auf Platz eins der „Spiegel“-Bestsellerliste Paperback. Ihr Verlag Kiepenheuer & Witsch verkauft die Romane auch in gleicher Aufmachung: stets mit einer Landkarte in der Innenseite des Umschlags. Denn die so stimmungsvoll beschriebenen Orte in der Romanhandlung gibt‘s wirklich: Die Lektüre weckt Fernweh, das Lesepublikum entdeckt die Schauplätze touristisch.
Bei Bannalec, also bei Jörg Bong, ist es die Bretagne, wo Kommissar Dupin ermittelt – Dienstsitz ist Concarneau im südlichen Finistère. Und „Lost in Fuseta“? Auch dieses 2000-Seelen-Fischerdorf an der Ostalgarve existiert, an der Lagune Ria Formosa, in der Nähe von Faro.
Der Autor ist aber ein gebürtiger Hamburger und heißt Holger Karsten Schmidt. Er hat an der Filmakademie Baden-Württemberg studiert, Schwerpunkt Drehbuch/Spielfilm. Der 60-Jährige ist eher öffentlichkeitsscheu, aber was man weiß: Er landete 1988 während einer Interrail-Reise quer durch Europa an der Algarve „und verliebte sich umgehend in die Herzlichkeit und Gastfreundschaft der Portugiesen“. Und es ziehe ihn seitdem, wie sein Verlag mitteilt, immer wieder in das kleine Städtchen Fuseta.
Mittlerweile sind auch schon die ersten zwei Romane als TV-Zweiteiler von der ARD verfilmt worden, an Originalschauplätzen, und zwar ziemlich adäquat nach den Romanfiguren besetzt: Jan Krauter spielt Leander Lost großartig. Während Jörg Bong sich bei den ebenfalls populär verfilmten Bretagne-Krimis völlig heraushält, hat Schmidt selbst die Drehbücher zu „Lost in Fuseta“ geschrieben. Klar, er ist ja auch ein Profi, einer der ganz Großen in seinem Gewerbe: Er hat zum Beispiel die TV-Krimi-Reihen „Nord bei Nordwest“ und „Harter Brocken“ erfunden, aber auch die herausragende Miniserie „Die Toten von Marnow“.
Ribeiro/Schmidt kann nun wirklich Krimis zu erzählen. In „Lautlose Feinde“ zieht er alle Register: Ein Zollbeamter am Flughafen in Faro wird ermordet, dessen Enkelkind entführt, ein hochrangiger US-Militär reist mit einem Koffer ins Land, den er nicht aus der Hand geben darf. Und der russische Auslandsgeheimdienst weckt einen „Schläfer“. Klingt kompliziert, ist aber einfach nur spannend. Und dazu kommt: das südländische Flair der Algarve, die herzlichen Menschen, Humor, Lokalkolorit. Große Unterhaltung, nicht nur für den Urlaub.
„Das ist korrekt“, würde Leander Lost zu dieser Inhaltsangabe sagen.