Justiz Ein Unternehmer aus Schwäbisch Hall soll junge, männliche Nachwuchskräfte seiner Firma unter anderem vergewaltigt haben. Die Staatsanwaltschaft hat inzwischen Anklage erhoben.
Souveränes Auftreten, wirksames Marketing: Der gelernte Groß- und Außenhandelskaufmann hat aus dem klassischen Start-up in der Garage der Eltern einen bundesweiten Marktführer seiner Branche aufgebaut. Das Unternehmen mit Sitz in Schwäbisch Hall ist Anfang der 2000er schnell gewachsen, war in andere Städte expandiert, auch mal zwischendurch auf einen anderen Kontinent. Mehr als 50 Mitarbeiter sind dort derzeit beschäftigt. Wenn es um den Wirtschaftsstandort geht, wurde sein Name als Vorzeigeunternehmer auch von der Stadtverwaltung gerne vorgebracht. Als Inhaber organisierte er immer wieder Events mit bundesweiter Aufmerksamkeit, an denen beispielsweise große Automobilkonzerne beteiligt waren. Veranstaltungen und Aktionen gab es aber auch zusammen mit Haller Service-Clubs, etwa für Familien und Kindergärten.
Männliche Jugendliche
Doch nun zeigt sich, dass manches wohl nur Fassade war, um eine deutlich düstere Seite zu kaschieren – sofern denn die Anschuldigungen stimmen. Zumindest ist die Staatsanwaltschaft Schwäbisch Hall nach umfangreichen Ermittlungen davon überzeugt, dass es zu mehreren schweren Straftaten kam. Die Behörde hat gegen den Geschäftsmann, Anfang 50, Anklage vor der Großen Strafkammer des Landgerichts Heilbronn erhoben. Es geht um Vergewaltigung, sexuellen Übergriff sowie sexuellen Missbrauch von Schutzbefohlenen und Jugendlichen. Oberstaatsanwalt Harald Lustig bestätigt entsprechende Recherchen der Redaktion auf Nachfrage. Das Landgericht Heilbronn hat laut Sprecherin Stephanie Morgenstern die Klage inzwischen zur Hauptverhandlung zugelassen.
Vier Taten angeklagt
In das Beuteschema des Beschuldigten, der als alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer die Geschicke der Firma mehr als ein Vierteljahrhundert leitete, scheinen insbesondere junge Männer zu passen. Zum Prozess kommt es laut Landgerichtssprecherin wegen vier Taten, die er in den Jahren 2020 und 2021 gegenüber zwei Geschädigten begangen haben soll. Die mutmaßlichen Opfer seien Praktikanten gewesen, zur Tatzeit 16 und 20 Jahre alt.
Dass es gewisse Vorlieben und möglicherweise Übegriffe durch den Geschäftsführer auf junge, männliche Azubis und Praktikanten bereits früher gab, kursierte seit längerer Zeit in Schwäbisch Hall. Es ist unter anderem die Rede von Bewerbungsgesprächen in der Sauna und von sehr jungen Nachwuchskräften, die vom Chef abends in edle Restaurants ausgeführt wurden. Vorwürfe gehen auch gegen die Firma selbst. Es geht dabei um Spekulationen über systematischen Missbrauch von jungen Menschen, die in der Hoffnung auf eine gute Karriere im Betrieb gestartet waren. Der Schwäbisch Haller Oberstaatsanwalt betont aber auf Nachfrage: „Gegen weitere Beschuldigte wird in diesem Zusammenhang nicht ermittelt.“
Der Angeklagte, der aktuell auf freiem Fuß ist, war wegen ähnlicher Vorwürfe bereits einmal vor Gericht gestanden: Ein Schöffengericht verhandelte im Sommer 2023 einen Fall, wo es um zwei mutmaßliche Taten gegen einen anderen, damals ebenso 16-jährigen Praktikanten der Firma ging. Damals wurde der Geschäftsführer freigesprochen. Das Gericht sah die für den Straftatbestand nötigen Merkmale als nicht erwiesen an, teilt Landgerichtssprecherin Morgenstern mit. Das Urteil wurde aber nicht rechtskräftig. Die Staatsanwaltschaft hatte Berufung eingelegt. Das Verfahren ist jetzt vor dem Landgericht anhängig und soll mit dem neuen Prozess, der für Anfang Februar 2026 terminiert ist, mitverhandelt werden.
Name gelöscht
Der Name des einstigen Vorzeigeunternehmers, dessen steile Karriere unter anderem von der Firma selbst regelmäßig gepusht worden war, ist seit einigen Monaten komplett von der Unternehmens-Homepage verschwunden. Selbst in der Firmengeschichte taucht der Name nicht mehr auf. Seine Profile in den einschlägigen Business-Portalen sind nicht mehr sichtbar, der Mann zumindest im Netz, untergetaucht. Laut Handelsregisterauszug hat der Unternehmer im Dezember 2024, also nachdem die Ermittlungen begonnen hatten, die Leitung des Unternehmens abgegeben, blieb aber alleiniger Gesellschafter. Neuer Geschäftsführer wurde ein Mann, der vor mehr als 20 Jahren selbst als junger Schülerpraktikant in dem Unternehmen gestartet war und damals schnell den Posten als kaufmännischer Leiter bekam. Zusätzlich kam im März dieses Jahres ein weiterer Geschäftsführer hinzu.
Auf Anfrage der Redaktion stellen sich die beiden neuen Chefs am Donnerstag einem kurzen Gespräch im Firmengebäude, betonen dort, dass die Ermittlungen nur gegen den Inhaber liefen, nicht gegen die Firma selbst. Seit wann die Vorwürfe im Betrieb bekannt sind, dazu äußern sich beide auch auf wiederholte Nachfrage nicht. Der Gründer des Unternehmens habe Ende 2024 seinen Rückzug aus dem operativen Geschäft kommuniziert, ohne Gründe zu benennen. Sie selbst seien nur die juristischen Vertreter der GmbH. Alle anderen Themen beträfen den Inhaber. Es ist ein Versuch der Geschäftsführung, die Firma von den Taten zu distanzieren, obwohl die mutmaßlichen Opfer als Praktikanten in das Unternehmen kamen und so zwangsläufig eine Verbindung besteht.
Keine Aufarbeitung in der Firma
Die beiden Geschäftsführer wollen darauf nicht eingehen. Sie seien nie von der Polizei befragt worden, wüssten auch nicht, dass die Vorwürfe unter Kollegen Gesprächsthema waren. Zu den Anklageinhalten, so sagt jener Geschäftsführer, der einst als Praktikant gestartet war, dass für ihn die Vorwürfe teilweise neu seien. Dann spricht er in der Sache aber von altem Kaffee. Der andere Geschäftsführer will sich mit Details der Anklage gar nicht beschäftigen, spricht von Spekulationen.
Von einem Wunsch zur Aufarbeitung, geschweige denn Schutzmaßnahmen für junge Kollegen, ist jedenfalls keine Rede. Die Geschäftsführer schütteln auf diese Frage hin die Köpfe. Der eine fragt Richtung Reporter, ob sich die beiden Chefs denn nun gegenseitig kontrollieren sollen. Der andere fügt im weiteren Gesprächsverlauf dann aber an, dass alle im Unternehmen gegenseitig auf sich aufpassen. Das habe aber nichts mit den speziellen Vorwürfen gegen einzelne Menschen zu tun, wie sie jetzt im Raum stehen, sondern gelte allgemein. Die Geschäftsführung sehe in ihrer Verantwortung genauso, dass sich niemand verletzt und andere Themen, die in irgendeiner Form geschehen können, nicht passieren.
Inhaber will Firma verkaufen
Die Interviewanfrage der Redaktion hat aber offenbar eine andere unmittelbare Reaktion ausgelöst. Die beiden Chefs legen im Gespräch eine vorbereitete und unterschriebene Erklärung von diesem Donnerstag vor, worin es heißt, dass der angeklagte Eigentümer „nun entschieden hat“, neben der Geschäftsführung, die er 2024 aufgegeben hat, auch seine Geschäftsanteile „vollständig zu verkaufen und zu übertragen“. Das soll „kurzfristig erfolgen“. Die Vorbereitungen dazu seien bereits in Arbeit. So verlasse der Unternehmer nach knapp einem Vierteljahrhundert die Firma, die er erfolgreich geführt habe, dann komplett. Wer die Anteile bekommt, das könne nur der Inhaber entscheiden, so die beiden Geschäftsführer.