Neue Ideen statt Abriss
Wo einst gepredigt wurde, spielen heute Kinder: Das „MACHmit! Museum“ in Berlin haucht einer alten Kirche neues Leben ein. Das ehemalige evangelische Gotteshaus ist damit ein mögliches Vorbild für Sakralgebäude überall in Europa. Denn die Glaubensgemeinschaften befinden sich in einem rasanten Schrumpfungsprozess, dessen Ende nicht abzusehen ist.
Und das soll mal eine Kirche gewesen sein? Der kleinen Lea ist das in diesem Moment ziemlich egal. Quietschend vor Vergnügen stürzt sich die Dreijährige die blitzblanke Rutschbahn herunter, geradewegs in die Arme ihres Vaters, der vorsichtshalber am Ende der abschüssigen Rampe wartet.
Lea und ihre Eltern sind aus Brandenburg für einen Vormittag nach Prenzlauer Berg gekommen, ins „MACHmit! Museum für Kinder“, ein Dorado für Schulklassen, Kitas und Familien. Auf mehreren Ebenen bietet das Haus ein Kletterregal, Spiel-, Bastel- und Leseecken, Werkstätten, Bücher zum Schmökern und Ausleihen, ein Museumscafè für Geburtstagsfeiern. Wechselnde Ausstellungen vermitteln Wissen. Aktuell geht es um das Thema „schwitzen & frieren“. Am Eingang zu einer nachgebauten Sauna findet sich der Hinweis: „Sauna heißt Schwitzbude und wurde in Finnland erfunden.“
Das Berliner Kinderparadies gibt es jetzt schon seit über 20 Jahren. 2001 wurde die neugotische Elias-Kirche geschlossen. Dem 1910 eingeweihten Gotteshaus in Mitte mangelte es an Gemeindemitgliedern und Besuchern, Leerstand drohte. Interessenten für die bisher sakrale Immobilie fanden sich rasch. Ein Disko-Betreiber meldete sich, eine Sparkasssenfiliale suchte neue Geschäftsräume im Kiez.
Doch am Ende machte das bereits bestehende Kindermuseum das Rennen, das zuvor in einem Spielmobil und kleineren Ladenlokalen untergebracht war. Für drei Millionen Euro wurde die Kirche umgebaut, eine GmbH als privater Träger finanziert die neue Heimstatt zu 70 Prozent aus Eintrittsgeldern und zusätzlich aus Spenden sowie Zuwendungen von Senat und Bezirk.
Viele ehemalige Gemeindemitglieder, die in der früheren Elias-Kirche getauft oder getraut wurden, kommen inzwischen mit ihren Kindern vorbei. An die alten Zeiten erinnern immer noch der Kirchturm mit einer Glocke, die täglich zweimal läutet, die funktionstüchtige Orgel, auf der regelmäßig Schüler und Studenten üben können, und nicht zuletzt das farbenprächtige Glasmosaik „Offenbarung des Johannes“ an der Ostwand des vormaligen Altarraums, das der Künstler Lothar Mannewitz in den 1960er Jahren geschaffen hatte. Ein Team von zehn teilweise pädagogisch geschulten MitarbeiterInnen kümmert sich heute um die jugendliche Besucherschar, das Museum hat die Basilika für 75 Jahre in Erbpacht von der evangelischen Kirche übernommen.
Die Kirche im Dorf lassen oder nicht
Überall in der Republik trennen sich Kirchengemeinden notgedrungen von bisherigen Heimstätten. „Säkularisierung, Individualisierung, Pluralisierung, Traditionsabbruch, Vertrauensverlust, religiöses Desinteresse bestimmen den Alltag der beiden großen Kirchen in Deutschland“, so heißt es selbstkritisch im Vorwort einer druckfrischen Broschüre des Kulturbüros des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), in der sich unter dem Titel „Leben statt Leere“ 32 Autoren mit Gegenwart und Zukunft von Sakralbauten befassen – Theologen, Architekten, Stadtplaner, Politiker und Kulturbeauftragte. Gemeinsam plädieren sie dafür, „die Kirche im Dorf zu lassen“, also für Erhalt und gegen Abriss. Leerstand nicht als Last, sondern als Chance und Freiraum: „Kirchen öffnen sich mit Mut zum Experiment für eine neue, lebendige und gemeinwohlorientierte Nutzung der Kulturdenkmale.“
Der aus Ostdeutschland stammende Kunsthistoriker und Dirigent Klaus-Martin Bresgott, einer der Herausgeber von „Leben statt Leere“, verwendet sich seit langem für einen angstfreien Umgang mit dem rasanten Mitgliederschwund in den christlichen Kirchen. Die „heiligen Hallen“ wegen ausfallender Gottesdienste ungenutzt zu lassen, wäre in Bresgotts Augen purer Frevel.
Die ursprüngliche Bestimmung der Gebäude soll nach seiner Auffassung nicht verleugnet werden (was schon aus Denkmalschutzgründen gar nicht möglich wäre), aber auf Traditionsstolz zu beharren und die Zukunft zu verschlafen – das wäre doch töricht: „Wir müssen nur in Bewegung kommen.“ Das geschieht bereits, überall in Deutschland. Die Neunutzung und Wiederbelebung von Kirchen ist in vollem Gange.
Das geschieht vor allem in Pfarrgemeinden, die wegen rückläufiger Zahlen der Gläubigen und sinkender Steuereinnahmen zur Aufgabe von Standorten und Fusionen gezwungen werden. So hat die Landessynode der Nordkirche (Protestanten in Hamburg, Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern) im September 2024 eigens ein neues Gesetz über die „Widmung, Entwidmung und Nutzung von Kirchen und weiteren gottesdienstlich genutzten Gebäuden“ beschlossen, um die Rechtsgrundlage für alternative Nutzungen von Sakralbauten auf eine zeitgemäße und einheitliche Form zu bringen. Das Gesetz, so beschreibt es Deike Möller, Dezernatsleiterin Bauwesen der Nordkirche, habe den betroffenen Gemeinden „das Loslassen erleichtert“, den „Abschied von manchen Gebäuden“, die man natürlich liebgewonnen hatte.
Kunst und Kultur in heiligen Hallen
In Berlin machte besonders die „Wiederauferstehung“ von Kirchenräumen als Ausstellungsorte für Kunst und Kultur Schule. Schon im Mai 2015 eröffnete in der Kreuzberger St. Agnes-Kirche die Galerie König ihr neues Domizil. Johann König, deren Betreiber, hatte den in den 1960er-Jahren vom renommierten Berliner Architekten und Stadtbaumeister Werner Duttmann im Stil des „Betonbrutalismus“ errichteten Gebäudekomplex 2011 übernommen und renovieren lassen.
Sogar noch vor der Wende wurde in Berlin-Mitte die von Karl Friedrich Schinkel erbaute Friedrichwerdersche Kirche umgewidmet, nachdem sie unter DDR-Ägide zwischen 1982 und 1987 wiedererrichtet worden war, gleichsam als Geschenk der SED zur 750-Jahre-Feier Berlins. Heute beherbergt der repräsentative Backsteinbau gegenüber dem Auswärtigen Amt als Dependance der Staatlichen Museen zu Berlin Werke der berühmten Bildhauerschule, den Originalaltar und die Kanzel der früheren Kirche.
Ebenfalls an prominenter Stelle steht die St. Matthäus-Kirche, am Kulturforum Potsdamer Platz, in unmittelbarer Nachbarschaft zur Neuen Nationalgalerie und zur Berliner Philharmonie. Die federführende Stiftung St. Matthäus betreibt die Kirche als „Hybrid“ – es finden sowohl weiterhin Gottesdienste statt, aber auch Ausstellungen, Lesungen, Konzerte, oft in Kooperation mit Museen, Galerien oder anderen Kultureinrichtungen.
Das Bauwerk, in dem der protestantische Theologe Dietrich Bonhoeffer einst ordiniert wurde, hat eine lange Geschichte – es wurde nach einem Entwurf des bekannten preußischen Oberbaurats Friedrich August Stüler in den Jahren 1844 bis 1846 errichtet und im Zweiten Weltkrieg zerstört. Zwischen 1956 und 1960 wurde die Kirche getreu den historischen Plänen wiederaufgebaut. Sie ist, als Gotteshaus wie als Kulturstätte, zum Publikumsmagneten geworden.
Wohnungen mit Photovoltaikanlagen
Während sich in Berlin das Modell „Kulturkirche“ durchzusetzen scheint, gehen andere Regionen in Deutschland alternative Wege. In Bochum etwa, wo von 51 katholischen Kirchen in den letzten Jahren 17 außer Dienst gestellt wurden, zogen in die ehemalige St. Antonius-Kirche 40 Wohnungen ein, das Ziegeldach liefert dank Photovoltaik hauseigene Energie.
Ob sich diese Nutzung auch in weiteren sakralen Objekten realisieren lässt, hängt im Einzelfall nicht bloß an den Bestimmungen von >>>>
Die „heiligen Hallen“ ungenutzt zu lassen, wäre in den Augen des Kunsthistorikers purer Frevel.