Retention spielt eine zentrale Rolle

  • Das Bürgerbegehren „Strietwiesen-Erweiterung XI“ möchte den Bau eines Kraftwerks in Richtung des Teilorts Hausen verhindern. Foto: Axel Theurer
  • Hermann-Josef Pelgrim referiert am Donnerstagabend in der Kultur- und Festhalle Oberrot. Foto: Jonas Krauthansl

Austausch Beim zweiten Rottaler Dialog der Interessengemeinschaft Lebenswertes Rottal (IGLR) spricht Hermann-Josef Pelgrim über Hochwasserschutz und vergleicht Rot und Kocher mit der Ahr.

Gleiche Ereignisse führen nicht zu gleichen Ergebnissen an unterschiedlichen Orten“, resümierte Hermann-Josef Pelgrim am Donnerstagabend, 23. Oktober, in der Oberroter Kultur- und Festhalle, nachdem er die Flutkatastrophe im Ahrtal vor vier Jahren mit den Gegebenheiten im Rottal verglichen hatte.

Halls ehemaliger Oberbürgermeister, seit 2021 Geschäftsführer der Aufbau- und Entwicklungsgesellschaft Bad Neuenahr-Ahrweiler, ist Gastredner der zweiten Auflage des Rottaler Dialogs. Rund 80 Teilnehmer, darunter Oberrots Bürgermeister Peter Keilhofer sowie dessen Stellvertreter Klaus Kübler, einige Gemeinderäte, Vertreter von Binderholz und Martin Zorzi vom Umweltzentrum Schwäbisch Hall, hatte die Veranstaltung der Interessengemeinschaft Lebenswertes Rottal (IGLR).

Den Auftakt machte der Oberroter Martin Stengelin mit einem Impulsvortrag über Starkregenereignisse und die aktuelle Situation im Rottal. „Wie können wir sicher leben und Arbeitsplätze erhalten?“, fragte er mit Blick auf die geplante „Strietwiesen-Erweiterung XI“ des Sägewerks Binderholz in Richtung des Oberroter Teilorts Hausen. Wichtig sei dabei, intelligent mit der Hochwassergefahr umzugehen „und sie vor allem nicht wegzudiskutieren“. Hochwasserschutz sei kein Luxus, sondern Voraussetzung für Lebensqualität.

Stengelin zeigte Bilder vom Hochwasser in Rudersberg (Rems-Murr-Kreis) im vergangenen Jahr, von verkeilten Autos und zerstörten Gebäuden. Eine Betroffene habe ihm berichtet, nicht das Hochwasser selbst sei das Schlimmste, sondern die Angst, dass so eine Katastrophe nach dem Wiederaufbau noch einmal passiert. Zum Glück, so Stengelin, ist das Rottal von Ereignissen in diesem Ausmaß bislang verschont geblieben, „aber wir müssen jetzt rationale Entscheidungen treffen, wie wir uns auf Hochwasser vorbereiten können.“

Eine entscheidende Rolle spielen dabei Retentionsflächen, also Gebiete, auf denen sich das Wasser bei einem Anstieg über das Ufer kontrolliert ausbreiten kann. Auf einer Karte zeigte er, dass eben jenes Land, auf dem das Sägewerk sein neues Kraftwerk bauen möchte, eine solche Retentionsfläche ist, und verwies auf ein Schreiben der baden-württembergischen Ministerin für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Thekla Walker an die grüne Landtagsabgeordnete Jutta Niemann: „In festgesetzten Überschwemmungsgebieten ist [...] die Ausweisung von neuen Baugebieten [...] grundsätzlich verboten.“ Stengelin appellierte: „Pragmatisch handeln, die Fakten anerkennen und die natürlichen Grenzen respektieren.“

Starkregen und Flutkatastrophe

Hermann-Josef Pelgrim berichtete von den Lehren des Wiederaufbaus im Ahrtal. Als Geschäftsführer der wenige Monate nach der Katastrophe im Ahrtal gegründeten Aufbau- und Entwicklungsgesellschaft plant und koordiniert er den Wiederaufbau der rheinland-pfälzischen Stadt Bad Neuenahr-Ahrweiler – von Provisorien über Verkehrsinfrastruktur und städtische Gebäude bis hin zur Hochwasser- und Starkregenvorsorge. Im oberen Ahrtal, so Pelgrim, ähnelt die Ahr dem Kocher-Zufluss Rot, „ein kleines Flüsschen“.

Beim Vergleich der Ahr mit Rot und Kocher stellte er dann fest: „Es spricht einiges dafür, dass in der baden-württembergischen Landespolitik Klimafaktoren viel stärker in die Bewertung und Berechnung der hundertjährigen Hochwasser einfließen, als das in Rheinland-Pfalz der Fall war.“

Pelgrim betonte, dass Verklausungen an Brücken eine wesentliche Ursache für die gigantische Zerstörung waren. Treibgut – mehr als 20.000 Bäume entlang des Flusses wurden ausgerissen – hätte die Brücken zu Dämmen gemacht und deren Stützpfeiler zerstört. Und mit jedem „Dammbruch“ wurden die aufgestauten Wassermassen gewaltiger. „Die Stadt ist vollständig abgesoffen“, sagt Pelgrim. Was folgte, war eine völlige Neuüberplanung. Inzwischen ist die Hälfte der Stadt als Überschwemmungsgebiet ausgewiesen, in dem es kein Recht auf Schutz gibt.

Wie können Gemeinden mit begrenzten finanziellen Mitteln Konzepte zum Hochwasserschutz ausarbeiten? Pelgrim: „Wir hatten in der Vergangenheit eine erhebliche gewerbliche Entwicklung.“ Dabei sei der Rückhalt von Großflächen vernachlässigt worden. Relevant sei beim Hochwasserschutz aber nicht nur Retention, sondern auch der Durchfluss, da Retentionsflächen schnell vollgelaufen sind. Pelgrim empfahl außerdem mehr Achtsamkeit bei der Sicherung von ufernahen Ablagerungen.

„Einer der wesentlichen Unterschiede zum Ahrtal ist außerdem, dass wir hier eine starke Waldwirtschaft und einen hohen Anteil von Wald haben. Der Wald ist wie ein Schwamm und bremst somit die Geschwindigkeit des Abflusses.“ Das sei in weiten Teilen des mittleren Ahrtals nicht so. Fazit: „Gleiche Ereignisse führen nicht zu gleichen Ergebnissen an unterschiedlichen Orten.“

Info Der Oberroter Bürgerentscheid zur „Strietwiesen-Erweiterung XI“ findet am 8. Februar 2026 statt.

Die Stadt ist vollständig abgesoffen. Hermann-Josef Pelgrim Aufbau- und Entwicklungsgesellschaft

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