Tränen vor der Kuchentheke

  • Heidrun, Luca und Heike Bauer (von links) vor dem selbst gestalteten Café-Schild Foto: Sonja Alexa Vollmann
  • Heike, Luca und Heidrun Bauer (von links) an einem Tisch in ihrem „Café Glücksgefühl“. Dort stand früher der Familien-Esstisch. Foto: Sonja Alexa Vollmann

Gastronomie Familie Bauer hat in Mainhardt-Ammertsweiler das Café „Glücksgefühl“ eröffnet. Damit verwirklichen sie einen Traum und bedienen den offenbar großen Bedarf an glutenfreiem Gebäck.

In Ammertsweiler rechts abbiegen, den Berg runter, zweimal um die Kurve und dann, im Tal, in einem Wohngebiet, wo man es wohl am wenigsten erwartet, steht das Schild: „Café Glücksgefühl“. Es geht in ein Wohnhaus, einen Flur, von dem aus eine Treppe in den Keller führt, durch eine Glastür in den Gastraum. Das heißt, zunächst steht der Besucher vor einem großen Lehmofen. Der stand schon immer da. Nur hat er bis vor ein paar Wochen nicht den Gastraum des Cafés geheizt, sondern das Wohn- und Esszimmer der Familie Bauer.

Esstisch muss weichen

Die Familie ist einen ungewöhnlichen Weg gegangen mit der Umsetzung von Heike Bauers Traum: Sie haben ihr Haus zu einem Café umgebaut. Die ehemalige offene Küche wurde mit Industriespülmaschine und -ofen ausgestattet, eine professionelle Kaffeemaschine auf den Tresen gestellt, Starkstrom verlegt, eine Kuchentheke integriert. Der große Familienesstisch wurde verbannt, Vater Harald und Sohn Luca haben aus Totholz von der Streuobstwiese Tische für zwei oder vier Personen gebaut. Der Wintergarten wurde Cafésitzbereich und auch die Terrasse mit dem traubenbewachsenen Dach wurde mit Tischen bestückt. Auf der Wiese standen, bis der Herbst kam, weitere Tische und Stühle.

„Ich fühle mich hier, als sei ich auf einem Geburtstag eingeladen, nur dass ich hier keinen kenne“, sagt ein Gast über die heimelige Atmosphäre. Heike Bauer hat reichlich zu plaudern mit den Gästen. Über Zöliakie und wie schwer es ist, gute glutenfreie Backwaren zu bekommen. Sie möchten die Geschichte des Cafés erfahren. Sie bitten um Rezepte. Sie sprechen ihr Lob aus. Beim Eröffnungswochenende kamen weit mehr Gäste als erwartet. „Wir wurden überrannt, die Leute kamen aus Heilbronn und Stuttgart. Damit hätten wir nicht gerechnet“, erzählt Heike Bauer. Bis jetzt hat der Strom an Gästen nicht nachgelassen. Jedes Wochenende bewirten sie über 100 Personen.

Die Idee, ein Café zu eröffnen, hatte die Erzieherin, die in Teilzeit in einem Kindergarten in Adolzfurt arbeitete, schon lange. Auch Heidrun Bauer, ihre Schwägerin, die vor ihrem Ruhestand als Hauswirtschaftsleiterin in einem Altenheim in Wüstenrot angestellt war und leidenschaftlich gerne Kuchen backt, teilte diesen Traum. Heike Bauer lag immer schon daran, ein schönes Heim zu schaffen, schön zu dekorieren „und sie gibt unheimlich gerne“, erzählt Sohn Luca. Doch warum sollte jemand nach Ammertsweiler zum Kaffeetrinken kommen?

Vor zwei Jahren bekam die 52-Jährige die Diagnose Zöliakie. Sie muss also fortan auf Gluten verzichten. Heike Bauer machte viele neue Erfahrungen. Vor allem die, wie schwierig es ist, in der Gastronomie glutenfrei essen zu können. „Die meisten Gastronomen können damit gar nicht umgehen. Wenn aber doch jemand darauf eingegangen ist und mir etwas anbieten konnte, dann war das für mich pures Glück“, sagt sie. Dieses Glücksgefühl, dass sie dann erlebte, das wollte sie gerne auch anderen bereiten. Ungefähr ein Prozent der Deutschen leide unter Zöliakie, besonders oft seien Kinder betroffen.

Nun kommen Menschen mit Zöliakie zu Familie Bauer ins Café, manche stehen vor der Kuchentheke mit Tränen in den Augen. „Das kannst du alles essen“, sagt eine Mutter zu ihrem staunenden Kind. Sogar der Keks an der Kaffeetasse ist selbst gebacken und aus glutenfreiem Mehl. Alles im „Café Glücksgefühl“ ist in der umgebauten Backstube im Nachbarhaus entstanden. Dort stehen Heidrun und Heike Bauer den halben Donnerstag und den ganzen Freitag und backen Kuchen und Brot.

Sie haben einige Experimente hinter sich, bis alles zu ihrer Zufriedenheit gelungen ist. Der Biskuit soll wie Biskuit schmecken, das gelang relativ schnell. Aber am Mürbteig haben sie lange tüfteln müssen. Der ist zu brüchig geworden. Und bis sie erst das perfekte Sauerteigbrot hatten. „Gehst du wieder in dein Labor?“, spöttelte Harald Bauer gerne, wenn seine Frau experimentierte. Hirse, Reis, Buchweizen sind die Hauptrohstoffe, die im „Café Glücksgefühl“ zu Mehl vermahlen werden.

Die Bauers geben zu, einen Hang zur Perfektion zu haben. Der Vorteil ist: Jeder lebt diesen in anderen Bereichen aus. Mutter und Schwägerin in der Backstube, Luca, der älteste Sohn und Inhaber des Unternehmens, in allem, was die Geschäftsführung verlangt. Sohn Cornelius als IT-Fachmann und Handwerker, Tochter Lili mit einer Passion für den perfekten Kaffee und Geschick in Sachen Gestaltung. Ehemann Harald ist der Leitungsverleger, Möbelbauer, Gartenwerkler. Doch sein Part war mit der Inbetriebnahme des Cafés nicht erfüllt: Der Plan war, dass er sonntags gemütlich auf dem Sofa sitzt und „wenn es brennt“ herunterkommt und im Service mithilft. Das Sofa sieht ihn am Sonntagnachmittag nicht, dafür viele Gäste.

Auch die anderen Familienmitglieder und teilweise die Freunde und Freundinnen arbeiten am Wochenende mit. Die Ammertsweiler Nachbarn freuen sich, dass es jetzt in ihrem Ort ein Café gibt und viele sind regelmäßig zu Gast.

Die Söhne der Bauers sind kürzlich ausgezogen, die Tochter studiert und ist nur noch am Wochenende zu Hause. Die Eltern ziehen in die Ferienwohnung im Untergeschoss. Das Familienhaus wurde zum Café. Eine Zeit des Wandels ist gekommen. Doch dies führt bei den Bauers nicht dazu, sich voneinander zu entfernen. Das Café bringt die Familie erst recht wieder zusammen. „Ich habe das Gefühl, meine Kinder möchten es jetzt umdrehen. Jahrelang war ich für sie da, jetzt sind sie für mich da“, sagt Heike Bauer.

Die meisten Gastronomen ­können damit gar nicht umgehen. Heike Bauer über glutenfreies Essen

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