Unmut über Bahnankündigung

Verkehr Politiker aus der Region warnen: Der neue ICE-Sprinter zwischen Stuttgart und Berlin droht, die Murrbahn auszubremsen und die bewährte IC-Linie über die Ostalb zu schwächen.

Ab Dezember 2025 soll er fahren: der neue ICE-Sprinter von Stuttgart über Nürnberg nach Berlin. Eine Stunde schneller als bisher, ein Prestigeprojekt für die Deutsche Bahn und ein wichtiger Schritt in Richtung Verkehrswende – so sieht es die offizielle Lesart. Doch in der Region zwischen Backnang und Crailsheim überwiegt die Sorge, dass der Fortschritt am Ende auf Kosten derer geht, die tagtäglich auf die Bahn angewiesen sind.

Die Interessengemeinschaft Schienenkorridor Stuttgart-Nürnberg (IG) begrüßt das neue Fernverkehrsangebot grundsätzlich, warnt jedoch mit Nachdruck vor massiven Nachteilen für den Nah- und Regionalverkehr. Besonders betroffen: die eingleisige Murrbahn. Wenn der ICE-Sprinter dort künftig Vorrang erhält, müsse der Regionalexpress Stuttgart-Nürnberg warten – mitten in der morgendlichen Hauptverkehrszeit. Für Pendler, Studierende und Berufstätige bedeute das: zusätzliche Verspätungen, verpasste Anschlüsse, weniger Zuverlässigkeit.

Die Region profitiert nicht

Noch schwerer wiege, dass der ICE zwischen Stuttgart und Nürnberg keine Zwischenhalte vorsieht. Weder Backnang, Schwäbisch Hall noch Crailsheim stünden auf dem Fahrplan. „Ein Angebot, das für die Region nur Nachteile bringt, ist kein Fortschritt“, schreibt der Schwäbisch Haller Landrat Gerhard Bauer als Sprecher der IG. Besonders kritisch: Die parallele IC-Verbindung über Schwäbisch Gmünd, Aalen, Ellwangen und Ansbach könnte mit dem Start des Sprinters endgültig auf der Kippe stehen. Schon heute sei ihre Auslastung gering, der wirtschaftliche Druck hoch. Ein Aus der Linie wäre ein herber Schlag für Ostwürttemberg und den Rems-Murr-Kreis – und für mehr als eine halbe Million Menschen, die auf gute Bahnverbindungen angewiesen sind.

Parteiübergreifender Protest

Selten war man sich in der Region so einig: Politikerinnen und Politiker fast aller Parteien fordern klare Antworten und Taten. Der grüne Bundestagsabgeordnete Harald Ebner aus Kirchberg wandte sich gemeinsam mit seinen Parteifreundinnen Ricarda Lang (Bundestagswahlkreis Backnang-Schwäbisch Gmünd) und Catherine Kern (Landtagswahlkreis Hohenlohe), der CDU-Bundestagsabgeordnete Roderich Kiesewetter (Bundestagswahlkreis Aalen-Heidenheim) und Crailsheims OB Christoph Grimmer, der mittlerweile für die Freien im Kreistag des Landkreises Schwäbisch Hall sitzt, an Bundesverkehrsminister Patrick Schmieder (CDU). Sie verlangen eine verbindliche Zusage, dass die IC-Verbindung erhalten bleibt. „Diese Verbindung ist für die Anbindung der ländlichen Region im Nordosten Württembergs unverzichtbar und – auch zeitlich – nicht durch Regionalzüge adäquat ersetzbar“, schreibt Ebner.

Er und die Mitunterzeichner seines Schreibens pochen zudem auf den überfälligen zweigleisigen Ausbau der Murrbahn. Darüber hinaus sei die Neueinrichtung des Sprinters von Stuttgart über Nürnberg nach Berlin, der in der gesamten Region Nord-Württemberg und Heilbronn-Franken keinen einzigen Halt habe, dafür aber den Regionalverkehr verzögere, „eine Hiobsbotschaft für diesen ländlichen Raum“. Im Grundsatz sei jede zusätzliche Fernverkehrsverbindung zu begrüßen, „doch wir müssen entschieden darauf hinweisen, dass dies in keiner Weise zu Lasten der Bahnfahrenden im ländlichen Raum geschehen darf“.

Fatale Entscheidung

Die CDU aus dem Remstal meldet sich ebenfalls mit deutlichen Worten zu Wort. Die Abgeordneten Dr. Inge Gräßle, Christina Stumpp, Siegfried Lorek und Christian Gehring (alle Rems-Murr-Kreis) haben die neue Bahnchefin Evelyn Palla angeschrieben: Eine Streichung der IC-Linie wäre „eine fatale Entscheidung“, die die Region Ostwürttemberg und den Rems-Murr-Kreis „faktisch vom Fernverkehr abschneiden“ würde. Über 500.000 Menschen würden benachteiligt, Klimaziele torpediert und jahrelange Verbesserungen im Schienenverkehr zunichtegemacht.

Besorgt zeigen sich die CDUler vom neuen ICE-Sprinter: „So sehr uns das für die Fahrgäste freut, die künftig eine Stunde schneller unterwegs sein werden, so sehr besorgen uns die Auswirkungen auf den Nah- und Regionalverkehr in unseren Wahlkreisen und der ganzen Region.“ Denn der ICE-Sprinter werde sicher auf allen Strecken Vorrang genießen, um seinen Geschwindigkeitsvorteil ausspielen zu können. Und das werde nicht nur auf dem eingleisigen Streckenabschnitt zwischen Backnang und Hessental zu merkbaren Verzögerungen für die lokalen Bahnkunden führen.

Verweis auf Überlastung

Die ehemalige Haller SPD-Bundestagsabgeordnete Annette Sawade, heute Verkehrspolitik-Beauftragte der Allianz pro Schiene, begrüßt den Sprinter grundsätzlich, kritisiert aber scharf, dass die Städte Schwäbisch Hall und Crailsheim vom ICE-Halt ausgeschlossen sind. Noch gravierender sei, dass der ICE Vorrang vor dem Regionalverkehr erhalte. Sawade verweist zudem auf die chronische Überlastung der Murrbahn.

Egal ob CDU, SPD oder Grüne – in einem Punkt herrscht also seltene Einigkeit: Ohne den zweigleisigen Ausbau der Murrbahn wird es keine gerechte Lösung geben. Der Engpass zwischen Backnang und Hessental ist seit Jahrzehnten bekannt, doch der Bund hat bislang kein grünes Licht gegeben. Dabei ist der Bedarf im Bundesverkehrswegeplan längst als „vordringlich“ eingestuft.

Die IG Schienenkorridor Stuttgart-Nürnberg fordert deshalb ein gemeinsames Handeln von Bahn, Bund und Land. Der ICE-Sprinter dürfe kein Prestigeprojekt werden, das den Nahverkehr ausbremst und ganze Regionen abhängt. Stattdessen brauche es ein Gesamtkonzept, das schnelle Metropolenverbindungen und eine verlässliche regionale Erschließung miteinander verbindet.

Die derzeitige Diskussion zeigt, wie schwierig der Ausgleich zwischen schnellen Fernverbindungen und regionaler Erreichbarkeit bleibt. Ob sich ein Kompromiss finden lässt, der sowohl die Verkehrswende als auch die Interessen des ländlichen Raums berücksichtigt, ist noch offen.

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