Aus Istanbul nach Crailsheim

  • Feyza Alimoglu mit ihrem Sohn Kerem. Die Notärztin aus Istanbul hat sich für ein neues Leben in Deutschland entschieden – aus Überzeugung und mit dem Wunsch, ihrem Kind bessere Chancen zu ermöglichen. Foto: Maria Friesen

Migration Die türkische Notärztin Feyza Alimoglu lebt seit knapp einem Jahr mit ihrer Familie in Crailsheim. Sie gehört zu den internationalen Fachkräften, die das Leben in der Region bereichern.

Wenn man mit Feyza Alimoglu spricht, spürt man schnell: Diese Frau hat klare Ziele. Die 35-Jährige ist Fachärztin für Notfallmedizin, verheiratet, Mutter eines vierjährigen Sohnes – und seit November vergangenen Jahres in Deutschland. „Ich habe mich direkt aus der Türkei beworben und bekam gleich mit der ersten Bewerbung eine Stelle in Dinkelsbühl“, erzählt sie. Über eine Vermittlungsagentur kam der Kontakt zur Praxis zustande.

Zehn Jahre lang arbeitete sie zuvor in Istanbul – fünf Jahre in der Allgemeinmedizin, fünf in der Notfallmedizin. „Ich war immer sehr eingespannt. In der Türkei hatte ich oft bis zu 200 Patientinnen und Patienten am Tag. Hier sind es im Schnitt 30. Das verändert die ganze Haltung zur Arbeit. Ich kann mir für meine Patienten Zeit lassen.“

Die Entscheidung, die Türkei zu verlassen, fiel nicht leicht. „Ein Jahr habe ich gezögert. Mein Mann wollte unbedingt nach Deutschland, ich war unsicher.“ Sie arbeitete in einem angesehenen Krankenhaus, er im Auftrag des türkischen Gesundheitsministeriums als Rechtsanwalt. „Wir hatten uns in Istanbul etwas aufgebaut, beruflich und privat“, sagt sie rückblickend. „Diesen Schritt zu gehen, bedeutete, auf vieles zu verzichten und ins Ungewisse zu treten.“

Trotz sicherer Positionen und stabiler Lebensverhältnisse wog das Bedürfnis nach neuen Perspektiven schwerer – vor allem im Hinblick auf ihren Sohn. „Unser Leben war erfüllt, aber wir wollten mehr Ruhe, mehr Zukunft für unser Kind.“

Bildung als Hauptmotiv

Während viele an berufliche Chancen oder wirtschaftliche Gründe denken, wenn es um Migration geht, war für die Familie Alimoglu ein anderer Aspekt entscheidend: Bildung. „Das deutsche Bildungssystem hat uns überzeugt“, sagt Feyza Alimoglu. „In der Türkei ist Bildung sehr teuer – Kindergarten, Schule, Studium. Hier wird jedes Kind wertgeschätzt und individuell gefördert. Das ist ein großer Unterschied.“

Sie begann bereits ein Jahr vor der Ausreise intensiv Deutsch zu lernen, zweimal pro Woche online mit einer Lehrerin in der Türkei. „Das war eine teure, aber sehr gut angelegte Investition“, erinnert sie sich. Als sie das Sprachniveau C1 erreichte, stand der Umzug an. „Ich wollte vorbereitet sein. Es war mir wichtig, in Deutschland direkt arbeiten zu können.“ Ihr Mann steckt derzeit mitten im Sprachkurs, für dessen Kosten sie selber aufkommen. „Abends lernen wir gemeinsam. Wir hören Audiotexte, lesen Zeitungen und üben Aussprache. Das hilft uns beiden.“

Dass die Familie schließlich in Crailsheim landete, war eher Zufall – und Glück zugleich. „Wir wollten eigentlich in Dinkelsbühl wohnen, fanden aber keine Wohnung. Dann bot sich in Crailsheim eine gute Gelegenheit – und wir sind sehr zufrieden.“ Der Kontrast zu Istanbul, einer 16-Millionen-Metropole, könnte kaum größer sein. „Hier ist das Leben ruhig, überschaubar. Es gibt keinen Stau, man kommt schnell überall hin. In Istanbul war alles kompliziert – Verkehr, Arbeit, Alltag. Hier ist es einfacher und geordneter.“

Crailsheim biete für die Familie alles, was sie braucht: Einkaufsmöglichkeiten, Kindergärten, Musikschule, Sportangebote. „Ich vermisse eigentlich nur meine Eltern und Freunde“, sagt sie. „Aber das Leben in der Türkei vermisse ich nicht. Ich habe hier alles, was mir wichtig ist.“

In ihrem Berufsalltag erlebt Feyza Alimoglu täglich, wie offen und respektvoll ihr die Menschen begegnen. „Die deutschen Patientinnen und Patienten sind sehr freundlich und haben viel Vertrauen zu ihrer Ärztin. Das Verhältnis ist auf Augenhöhe.“ Dass Ärztinnen in Deutschland eine hohe gesellschaftliche Anerkennung genießen, empfindet sie als großen Unterschied zur Türkei. „Hier wird man respektiert. In Istanbul war das nicht immer so.“ Ihre Patientinnen und Patienten wüssten die engagierte Ärztin zu schätzen. „Viele fragen mich: ‚Bleiben Sie hier?‘ oder ‚Sind Sie zufrieden in Deutschland?‘ – Das freut mich sehr. Es zeigt, dass wir willkommen sind.“

Integration ohne Aufsehen

Von offenen Vorurteilen erzählt Feyza Alimoglu nur am Rande. „Ein- oder zweimal habe ich Menschen getroffen, die etwas skeptisch waren. Aber das ist normal. Viele wissen einfach zu wenig über Menschen, die hierherkommen, um zu arbeiten. Ich nehme das nicht persönlich.“ Sie und ihr Mann engagieren sich bewusst in ihrem Umfeld, suchen Kontakt zu Nachbarn und Kolleginnen. „Ich fühle mich jetzt schon nicht mehr als Gast, sondern als Teil der Stadt. Wir haben Freunde gefunden, darunter auch Deutsche. Das ist wichtig für uns.“

Ihr Sohn Kerem besucht inzwischen den Kindergarten in Crailsheim. „Die Erzieherin sagte, er lerne sehr schnell Deutsch. Manchmal spricht er mit uns Deutsch – und wir verstehen ihn nicht sofort“, erzählt sie lachend.

Bleiben? Für die Familie ist das längst keine Frage mehr. „Wir möchten hierbleiben. Vielleicht habe ich irgendwann meine eigene Praxis – wer weiß?“ Alimoglu hat sogar einen Lieblingsort in der Stadt gefunden: das Café Frank. „Im Sommer waren mein Mann und ich fast jeden Tag dort. Kaffee und Croissant – das war unsere kleine Auszeit.“

Feyza Alimoglu steht stellvertretend für viele internationale Fachkräfte, die mit Qualifikation und Tatkraft nach Deutschland kommen. Ihr Beispiel zeigt, dass Migration weit mehr ist als ein Thema von Integration und Herkunft – sie ist auch eine Geschichte von Beitrag, Bereicherung und gegenseitigem Lernen.

Diesen Schritt zu gehen, ­bedeutete, auf vieles zu verzichten und ins Ungewisse zu treten.

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