Limesmuseum Eine Große Sonderausstellung beleuchtet die Beziehung zwischen Römern und Germanen, die die europäische Geschichte über 700 Jahre prägte.
Wer ist oder war wem fremd? Wie gehen wir mit dem Fremden um? Wie entstehen Vorurteile und unter welchen Umständen werden aus Fremden Nachbarn? Zeitlosen Fragen wie diesen spürt die Große Sonderausstellung „Fremde Nachbarn – Rom und die Germanen“ nach, die das Archäologische Landesmuseum Baden-Württemberg und das Landesamt für Denkmalpflege bis zum 12. April 2026 im Limesmuseum Aalen präsentieren. „Wir wollen mit der Schau aber keinen Zeigefinger erheben“, stellt Claus Wolf, Direktor des Archäologischen Landesmuseums und Präsident des Landesamts für Denkmalpflege, klar.
Die Beziehung zwischen Römern und Germanen hat die europäische Geschichte über 700 Jahre lang geprägt – von ersten Kontakten im zweiten Jahrhundert vor Christus bis zum Ende des Weströmischen Reiches im Jahr 476 nach Christus, als Odoaker, ein weströmischer Heerführer germanischer Herkunft, den jungen Kaiser Romulus Augustus absetzte und sich zum König von Italien ernannte. Die Aalener Ausstellung mit 200 kostbaren Exponaten aus 28 nationalen und internationalen Museen wirft einen fokussierten Blick auf Kontakt, Handel, Koexistenz, aber auch auf offene Konflikte vom ersten bis zum dritten Jahrhundert nach Christus. Eine Zeit, in der vor allem im Raum Baden-Württemberg vielfältige Begegnungen zwischen Germanen und Römern, den einst „fremden Nachbarn“ stattfanden. Die Ausstellung macht deutlich, dass trotz aller Annäherung und Faszination für das jeweils Andere die Grenzen zwischen beiden Kulturen nie vollständig verschwanden.
Hinsichtlich des Bildes, das wir von den Germanen haben, sei aber Vorsicht geboten, denn es sei propagandistisch gefärbt, stellt Wolf klar. „Alles, was wir über die Germanen wissen, ist von den Römern überliefert. Und die haben damals das Gleiche gemacht wie Diktatoren noch heute: Sie inszenieren sich als Sieger und stellen ihre Gegner als Unterlegene dar.“ Auch diesen Aspekt beleuchtet die Schau eindrücklich. Eine römische Bronzestatuette eines gefesselten Germanen aus dem ersten Jahrhundert nach Christus etwa steht für das stereotype Barbarenbild der Antike. Sie zeigt den Germanen nach dem subjektiven Bild der Römer: nackt und gefesselt.
Prunkvoller Sueben-Kessel
Ein Highlight sind herausragende Funde, die erst 2017 in der Westukraine entdeckt wurden. Archäologen der Universität Lviv (ehemals Lemberg) sind in Kariv auf ein germanisches Prunkgrab gestoßen, aus dem sie an die 20 kostbare Objekte bargen, unter anderem einen Bronzekessel. Er stammt aus römischen Werkstätten und datiert in die zweite Hälfte des zweiten Jahrhunderts nach Christus. Das Gefäß ist mit Aufhängevorrichtungen in Form von Männerköpfen versehen, die alle einen seitlichen Haarknoten tragen: drei Sueben mit typisch germanischer Haartracht, dem Sueben-Knoten, wie er von den Eliten der germanischen Sueben getragen wurde. In ganz Europa gibt es nur drei solcher Sueben-Kessel: einen aus Czarnówko in Polen, einen aus Muzov in Tschechien und eben den aus Kariv.
Die Kessel dienten zu Lebzeiten als Trinkgefäße für Wein und nach dem Tod als Urne zur Aufbewahrung des Leichenbrandes. „Wir gehen davon aus, dass es sich um diplomatische Geschenke Roms an die Führer germanischer Stämme handelt“, sagt Wolf. Denn die Aufhängevorrichtungen zeigen die Germanen in würdevoller Haltung und nicht wie sonst häufig als unterworfene Feinde. Und das Grab in Kariv steht nicht für sich alleine. Auch der Grabstein eines germanischen Fürsten, der im badischen Offenburg gefunden wurde, zeugt von gegenseitiger Einflussname und kultureller Aneignung. Der Stein datiert ins erste Jahrhundert nach Christus. Der Sohn des Fürsten ließ ihn für seinen Vater errichten. Auffällig ist, dass der Tote bereits nach römischer Tradition bestattet wurde und sein Sohn laut Inschrift einen lateinischen Namen trug: Proculus.
Die Funde seien zum einen hervorragende Zeugnisse für die Strahlkraft des römischen Reiches, das weit in den Osten Europas reichte, erläutert Wolf. Bei Exponaten wie dem Sueben-Kessel handle es sich um Prestigeobjekte der damaligen Zeit, die eine europaweit vernetzte und überregional agierende Elite zur Darstellung von Status und gehobener Lebensführung nutzte. Dabei habe man sich am Lebensstil im Römischen Reich orientiert, der zusammen mit den außerrömischen Gesellschaften die kulturellen und politischen Entwicklungen und gesellschaftlichen Ausprägungen Europas in der ersten Hälfte des ersten Jahrtausends geformt habe, sagt Wolf. Die Objekte stünden alleine wegen ihrer kulturgeschichtlichen Inhalte für die Beziehungen europäischer Bevölkerungen über Zeiten und Räume hinweg.
Gelungener Epilog
Wolf freut sich, dass die Funde aus Kariv gerade in Zeiten des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine in Baden-Württemberg gezeigt werden können und damit auch an einem sicheren Ort sind. Ein Team des Landesamtes für Denkmalpflege hat die Objekte im Mai 2024 in der Ukraine abgeholt und nach Esslingen gebracht, wo sie umfangreich restauriert worden sind.
Ein gelungener Epilog setzt sich kritisch mit der bewegten Rezeptionsgeschichte des Verhältnisses zwischen Germanen und Römern auseinander. Von politischer Vereinnahmung im 19. und 20. Jahrhundert bis hin zu aktuellen Fragen von Fremdheit, Integration und Identität.