Wenn Shakespeare auf Familiengeschichte trifft

Uraufführung Mit „Die Erbschaft“ gelingt der neuen Landestheater-Intendantin Jasmin Meindl in Dinkelsbühl ein großer Auftakterfolg.

Der Begriff Hammer hat in einer Rezension eigentlich nichts verloren – es sei denn, es geht um die Beschreibung eines Mordwerkzeugs. (Achtung Spoiler: Es ist ein Messer!) Und doch muss es sein: Die Intendanz von Jasmin Meindl am Landestheater Dinkelsbühl startet mit einem echten Hammer. Die Uraufführung „Die Erbschaft“, ein Familiendrama nach Motiven von William Shakespeares „König Lear“, stammt aus Meindls Feder – sie schrieb das Stück gemeinsam mit Christian Muggenthaler für den Auftakt in Dinkelsbühl – und ist wohltemperiert inszeniert von Klaus Kusenberg (Regie), vor zurückhaltend gestaltetem Bühnenbild (Peter Engel), das die Handlung in eine zeitlose, fast märchenhafte Szenerie versetzt, und den Schauspielern viel Raum lässt für ihr exzellentes Spiel. Kurzum: Hammer!

Stück geht unter die Haut

Das Stück bietet alles, was das Publikum auf der Bühne sehen will. Eine starke Handlung mit überzeugenden Charakteren, einen dramatischen Konflikt, Sätze, die im Gedächtnis bleiben und großen Lebensthemen. Es geht um Liebe, Lüge, Verrat, Alter und Tod. Und es geht unter die Haut. Das Publikum ist begeistert: Standing Ovations gibt‘s am Ende – und lang anhaltenden Applaus.

Die Überarbeitung des historischen Stoffs und seine Adaption in die Moderne ist gelungen. Deutlich erkennbar sind die Parallelen zu „König Lear“: Aus Shakespeares alterndem König wird die Gutsbesitzerin Julia Liric, grandios gespielt von Léonie Thelen, die ihren Besitz unter ihren drei Kindern aufteilen will: dem ältesten Sohn Branko (Thomas Weber), der Tochter Senka (Maike Frank) und dem jüngsten Sohn Tomo (Leonard Graeber). Wie im Original folgt auf die Teilung des Reiches der Verstoß des jüngsten Erben, weil dieser sich nicht in Schmeicheleien ergeht wie seine älteren Geschwister. Und unweigerlich führt der dann einsetzende Verrat durch Branko und Senka zum Untergang der Gutsbesitzerin – einschließlich Wahnsinn und Verwirrung. Und blutigem Ende.

Dirk Waanders ist als Gutsverwalter Josip der treue Gefährte von Julia Liric. Man ahnt bereits, dass er seiner Verbündeten nicht bis zuletzt die Treue halten kann. Das ist eine weitere Tragödie, wünscht das Publikum der Hauptdarstellerin nach ihrem langen, mühsamen Leben doch nichts sehnlicher als ein glückliches, friedvolles Ende. Mit ihrer Bühnenpräsenz sticht Léonie Thelen, die in ihrer langen Schauspielkarriere schon an vielen großen Theatern und in zahlreichen Film- und Fernsehproduktionen spielte, aus dem hochkarätig besetzten Ensemble heraus. Packend sind besonders die Szenen, in denen ihr, verzweifelt und altersverwirrt, der Bezug zur Realität entgleitet.

Neue Gesichter auf der Bühne

Mit der neuen Intendanz sind auch neue Gesichter am Dinkelsbühler Landestheater zu sehen: Léonie Thelen und Dirk ­Waanders als Gäste, Thomas Weber und Leonard Graeber als neue Ensemblemitglieder. Maike Frank, die bereits eine längere Geschichte mit dem Landestheater verbindet, ist seit der Winterspielzeit 2024/2025 erneut fest in Dinkelsbühl engagiert.

Meindls Familiengeschichte

Was das Stück wirklich besonders macht: Die Theaterfrau Meindl interpretiert nicht einfach nur einen der größten Klassiker der Theatergeschichte neu. Sie webt ein Stück eigene Familiengeschichte mit ein: die ihrer Großmutter, einer wohlhabenden kroatischen Bäuerin, die ihr Erbe an ihre Kinder verteilt, was Streit zur Folge hat und Fragen aufwirft über den Wert des Alters.

Wer sich je gefragt hat, wie es nach der 24-jährigen Ära von Intendant Peter Cahn am Landestheater Dinkelsbühl weitergeht, der zum Ende der Sommerspielzeit in den Ruhestand gegangen ist, wie Jasmin Meindl die großen Fußstapfen ausfüllen wird, die er hinterlassen hat, dem antwortet die neue Intendantin mit diesem hammermäßigen Auftakterfolg: Die Ära Meindl hat begonnen – mit einem ganz neuen Ansatz, mit neuem Stück, neuem Personal und eigenen Fußabdrücken.

Info Das Stück „Die Erbschaft“ wird im Landestheater Dinkelsbühl (Theater im Spitalhof) noch an folgenden Terminen gespielt: Freitag, 31. Oktober, Samstag, 1. November, Freitag, 14. November, Samstag, 15. November und Samstag, 29. November. Beginn ist jeweils um 20 Uhr. Tickets gibt‘s online auf www.landestheater-dinkelsbuehl.de.

Mit Fantasie durch laue Sommernächte

Landestheater Das Programm der Sommerfestspiele 2026 in Dinkelsbühl wurde vorgestellt.

Dinkelsbühl. Mit den Stücken „Der Räuber Hotzenplotz“, „Kohlhiesls Töchter“, „Eine Mords-Freundin“ und „Wunder gibt es immer wieder“ geht das Landestheater Dinkelsbühl in seine Freilichtsaison 2026. Sie reicht vom 9. Mai bis zum 23. August. Das Theater bleibt damit im Schema von einem Kinderstück und drei Abendstücken, heißt es in einer Pressemitteilung. „Ich freue mich auf jedes einzelne davon“, sagte die neue Intendantin Jasmin Meindl bei der Präsentation ihrer ersten Sommerspielzeit. „Das Luftige, Sommerliche, dieses spezielle Lebensgefühl“ atme das Programm, ergänzte Dinkelsbühls Oberbürgermeister Dr. Christoph Hammer.

Beliebte Kinderstücke

Die Kinderstücke, die auf der überdachten Freilichtbühne am Wehrgang zu sehen sind, haben im weiten Umkreis einen guten Ruf. Das liege natürlich auch an den guten, bekannten Namen der ausgewählten Stoffe, sagte Hammer. „Der Räuber Hotzenplotz“ von Otfried Preußler gehöre zu diesen Klassikern, die man mit viel Fantasie, Dynamik und Leidenschaft auf die Bühne bringen könne, sagte Meindl. Ihr sei bei der Spielplangestaltung daran gelegen gewesen, einerseits in den gewohnten Genres zu bleiben, andererseits aber eine andere Ästhetik und erzählerische Ausdeutung der Stücke zu wählen.

Und mit Livemusik zu arbeiten: Bei „Kohlhiesl Töchter“ etwa, ein Stück, das auf dem berühmten Film aus dem Jahr 1962 basiert, wird es viel Blasmusik und Chorgesang mit Musikerinnen und Musikern aus Stadt und Region Dinkelsbühl geben, sagte Meindl: „Das wird eine Riesen-Sause, eine Riesen-Gaudi.“ Das Stück sei „an den richtigen Stellen entstaubt“ worden. Zudem freue sie sich, mit der Komödie „Eine Mords-Freundin“ ein Stück auf die Bühne bringen zu können, das eine Neuentdeckung sei und sehr witzig: „Wir sind schon beim ersten Lesen vor Lachen von den Stühlen gefallen.“ Das liege auch am sehr erfahrenen Autor Steven Moffat: „Der Mann kann richtig gut schreiben.“

Ein Stück mit Schlagermusik, zwei Schauspielerinnen, einem Schauspieler und einem Pianisten, ist „Wunder gibt es immer wieder“: Das sei im Jahr 2019 an ihrem früheren Theater in Backnang entstanden und spiegle anlässlich des damaligen 100. Geburtstags des Frauenwahlrechts in Deutschland die Geschichte der Frauen im Land. Dieses Stück habe auch an anderen Orten für permanent volle Häuser gesorgt. Jetzt wird es in einer neuen Inszenierung in Dinkelsbühl gezeigt: „Schlager können sehr gut Geschichte erzählen, weil sie den Zeitgeist wie in einer Zeitkapsel enthalten“, sagte Meindl. Und genau das mache das Stück so eindringlich.

Jede neue Intendanz bringe zwangsläufig neue Ausrichtungen, sagte Hammer. Zugleich wolle man natürlich mit dem Sommerprogramm „die Identifikation bewahren“. In Summe ergebe das eine ganz bestimmte Grundstimmung: „Man ist in Dinkelsbühl schon sehr gespannt.“

Info Der Vorverkauf beginnt am 1. Dezember.

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