Zwischen allen Stühlen

Regierung Der Kulturstaatsminister Wolfram Weimer gilt als ein enger Vertrauter von Bundeskanzler Friedrich Merz. In den Lagern links und rechts eckt er jedoch an. Und nicht nur dort.

Kulturstaatsminister Wolfram Weimer kann überraschen. Anfang Mai tritt er zum ersten Mal ans Rednerpult des Deutschen Bundestags und die Abgeordneten des Mitte-Links-Spektrums gehen schon mal in Deckung. Aber Weimer spricht sanft und freundlich. Bedankt sich höflich bei seiner Vorgängerin Claudia Roth, kündigt eine dialogorientierte Amtsführung an und verspricht sogar, die Kulturpolitik „nicht nach rechts“ zu rücken. Bemerkenswert, dass er das so betonen musste. Ihm eilt ein Ruf voraus. Er hat nie damit hinter den Berg gehalten, dass er sich als Konservativer versteht. Aber auch bei den Konservativen gibt es solche und solche. Es gibt die Konservativen, die mit einer grundgelassenen Ironie, auch Selbst-Ironie, auf die Weltläufte blicken.

Aber Gelassenheit ist nicht gerade Weimers Kerntugend. Seine Schriften sind eher durchzittert von der Angst vor Veränderung, tief beunruhigt von dunklen Bedrohungen für die westliche Zivilisation. „Während Generation um Generation in einer Jahrtausende währenden Selbstverständlichkeit die Fortdauer der eigenen Familie, des eigenen Blutes, der Sippe, des Stammes, der Nation, der Kultur, der Zivilisation als einen heiligen Moment des Lebens begriffen hat, so zerbricht dieses Bewusstsein plötzlich in Scherben“, stoßseufzt er in seinem „Konservativen Manifest“. Kultur ist ihm eine Wagenburg. Am Lagerfeuer der Tradition schmilzt der Eishauch der Globalisierung. Das ging selbst dem Zentralorgan salonkonservativer Bürgerlichkeit zu weit. Die FAZ nannte ihn schon vor seiner Amtseinführung erschreckt den „falschen Mann am falschen Ort“.Hat Weimer seither die Befürchtungen bestätigt? Eigentlich lässt sich seine bisherige Amtszeit eher als eine Ausweitung der Kampfzone beschreiben. Natürlich hat er sich an dem abgearbeitet, was er als „woke“ beschreibt, das Gendern hat er in der offiziellen Kommunikation seiner Behörde verboten. Er hat viel über Erinnerungskultur gesprochen, wobei der Holocaust und die DDR-Zeit im Fokus stehen, keineswegs die grimmige deutsche Kolonialvergangenheit. Er hat – mit guten Argumenten – gegen die israelfeindlichen Tendenzen an Universitäten und im Kulturbetrieb Stellung bezogen. Und er hat eine verstörende Gleichsetzung von Linkspartei und AfD vorgenommen, die angeblich gleichermaßen Gefährder unserer Demokratie seien.

Weimer hat einige Klischees durchaus erfüllt. Aber in dieses graue Bild mischen sich auch hellere Farben. Er hat genauso tapfer wie erfolgreich für eine Ausweitung seines Etats gekämpft. Sein Einsatz für die Filmbranche, für Verlage und Bibliotheken ist zu erkennen. Er flieht nicht (nur) vor der Kältekammer der Politik in den Trost der warmen Worte. Er kann hart arbeiten.

Und er kann kämpfen. Das ist vielleicht die größte Überraschung: Schon in seiner ersten Bundestagsrede hatte er „fast monopolistische Strukturen“ bei Online-Plattformen kritisiert. Das Thema hat er konsequent durchgehalten. Als er sich zum ersten Mal für eine Digitalabgabe, die große Internetkonzerne wie die Google-Mutter Alphabet und den Facebook-Konzern Meta treffen würde, eingesetzt hatte, wurde die Idee von Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) noch kalt abserviert. Aber Weimer blieb am Ball und nun sollen die Eckpunkte der Reform bald vorgestellt werden.

Das ist mutig. Die US-Regierung hört das nicht gern. Als Weimer den KI-Konzernen Chinas und Amerikas gar „geistigen Vampirismus“ vorwarf, meldete sich Trump-Intimus und Ex-Botschafter Richard Grenell zu Wort. Er spricht von einem „massiven Angriff auf die gesamte US-amerikanische Digitalindustrie“. Das ist ein mächtiger Gegner. Manche Beobachter meinen, Anzeichen dafür zu erkennen, dass Grenell sein deutsches Netzwerk gegen Weimer positioniert. Auffallend, dass rechtspopulistische Plattformen wie „Nius“ Weimer nun stärker ins Visier nehmen.

Die Frage der Unabhängigkeit

Steht Weimers jüngster Konflikt damit in Verbindung? AfD-Chefin Alice Weidel wirft der Wochenzeitung „The European“, die in Weimers Medienverlag erscheint, Verletzungen des Urheberrechts vor. Das Magazin hatte lange ohne Honorar öffentlich gehaltene Reden von Politikern einfach abgedruckt. Es ist kaum ein Zufall, dass dieses Thema gerade jetzt hochkocht.

Die Situation ist für Weimer nicht nur auf der Sachebene unangenehm. Weit brisanter ist für ihn, dass er nun auch Fragen bezüglich seiner politischen Unabhängigkeit beantworten muss. Er war bis unmittelbar vor seiner Amtseinführung als Kulturstaatsminister Geschäftsführer und Inhaber der Weimer Media Group. Mit dem Amtsantritt hat er diese Tätigkeit niedergelegt. Seine Anteile hält er aber offenbar immer noch. Das kann für Weimer noch gefährlich werden: Die politischen Kämpfe auch gegen mächtige Gegner kann der Merz-Vertraute durchstehen. Aber bald könnte es persönlich werden.

Kommentar

Wende ist nicht Ende

Immer schärfere Gesetze, Regeln und Kontrollen für Menschen, die nach Europa wollen, ändern nichts an den Gründen für Aus- und Zuwanderung. Staut sich da etwas auf?

Die Asylbewerberzahlen gehen immer weiter nach unten. In Wirklichkeit kommen noch weniger Menschen zu uns, als die Statistik scheinbar aussagt. Denn zuletzt gab es mehr Folge- als Erstanträge. Folgeanträge werden unter anderem gestellt, wenn ein Asylantrag abgelehnt wurde, sich aber die Bedingungen im Herkunftsland geändert haben. Nachdem der Europäische Gerichtshof entschieden hat, dass die vom Taliban-Regime erlassenen diskriminierenden Maßnahmen und Gesetze für Frauen so schlimm sind, dass sie nun als Verfolgungshandlungen gelten, gibt es einen starken Zuwachs bei den Folgeanträgen, die von Afghanen gestellt werden. Das sind also Migranten, die schon hier sind.

Ansonsten existiert mittlerweile ein ganzes Bündel von Maßnahmen, die Einreisen in die EU und nach Deutschland verhindern. Es gibt mehr Abschiebungen, mehr Länder, die als sichere Drittstaaten gelten, mehr Zäune, mehr Abkommen mit fragwürdigen Regimen und bald gibt es Aufnahmelager an den EU-Außengrenzen, vielleicht Abschiebelager in Drittstaaten und wohl auch unbegrenzte Abschiebehaft, zumindest für Straftäter.

All diese staatlichen Abwehrmaßnahmen haben einen guten Grund. Die Migration soll gedrosselt und geordnet werden. Das ist legitim und entspricht dem Wunsch großer Bevölkerungsmehrheiten in den europäischen Ländern.

Die Sache hat jedoch mehrere Haken. Einer davon ist, dass immer mehr Regierungen bereit sind, sich weder um europäisches Recht noch um Menschenrechte noch um die eigenen Verfassungen zu scheren. Es soll keiner glauben, das beträfe ihn nicht. Wenn es zur Gewohnheit wird, dass das Recht unter schwierigen Umständen gebeugt werden kann, dann wird es bald gar nichts mehr wert sein. Das zersetzt Demokratien von innen.

Migration ist die ganz natürliche Reaktion von Menschen, die unter ihren bisherigen Lebensumständen nicht mehr leben können oder wollen. Ebenso jahrtausendealt ist die Abwehrhaltung derjenigen, die in der Einwanderungsregion leben. Es geht um das Austarieren von Interessen, was selten gut gelingt. Am Ende steht oft die nackte Gewalt. Weil wir das alles aber schon wissen, wäre es klug für ein Land, das auf Einwanderer angewiesen ist, nicht einfach nur Reflexen zu folgen und sich in einen Anti-Migrationsrausch zu steigern. Nach dem Motto: „Hurra, ich habe die meisten abgeschoben! Morgen schaffe ich noch mehr!“ Misstrauen, Angst und Ablehnung werden auch bei uns geschürt. Dieses Gift bekäme man nur sehr schwer wieder aus der Gesellschaft. Selbst wenn man es wollte.

Und immer noch gibt es kaum legale Wege für Migranten nach Deutschland. Für die gewünschte geordnete Migration wäre es wichtig zu wissen, was das Ziel ist. Ab wann ist denn die Migration geordnet? Wird es Einwanderungskontingente geben? Greencards?

Im Moment sieht es nach stumpfem Überbietungswettkampf in Hässlichkeiten aus. Mehr Härte? Mehr Schärfe? Das ist Migrationspolitik auf unterem Western-Niveau. Eigentlich ist es gar keine Politik.

leitartikel@swp.de

Kommentar

Nicht auf Bierzelt-Niveau

Gesundheitsministerin Warken macht konstruktive Vorschläge zu Änderungen am Cannabis-Gesetz. Das ist auch nötig, um einen Kompromiss mit der SPD zu finden – denn die hat einen entscheidenden Hebel.

Gesundheitsministerin Nina Warken (CDU) hat jetzt erläutert, wo sie Änderungsbedarf am Gesetz zur Teil-Legalisierung von Cannabis aus der Feder ihres Vorgängers Karl Lauterbach sieht: bei der „viel zu hohen“ Besitzmenge von 25 Gramm im öffentlichen Raum und den „kaum kontrollierbaren“ Abstandsregeln zu Kitas, Schulen und Spielplätzen.

Damit spricht Warken vielen Polizisten, die sich aktuell mit den Regelungen überfordert fühlen, aus der Seele. Es ist eine legitime, konstruktive Kritik – mit der sich die Gesundheitsministerin angenehm von CSU-Innenminister Alexander Dobrindt abhebt. Dieser hatte am Freitag auf Bierzelt-Niveau gegen die Teil-Legalisierung gepoltert („Scheißgesetz“) und das mit Argumenten begründet, die man als kontrafaktisch bezeichnen muss.

Bei aller berechtigten Kritik an dem Gesetz: von der destruktiven Verbotspolitik der Union hat das Land jahrzehntelang genug gesehen – allen voran, dass sie nicht funktioniert.

Die Union muss einen neuen Umgang mit der Volksdroge Nummer zwei finden: konservativ, aber seriös und an der Lebensrealität der Bevölkerung orientiert. Das ist schon aus Eigeninteresse zu empfehlen, wenn sie das Cannabis-Gesetz wirklich ändern will. Denn die SPD hat einen nicht zu unterschätzenden Hebel: Jede Änderung benötigt die Zustimmung der Bundestagsfraktion, in der einige einflussreiche Legalisierungsbefürworter sitzen.

Diese können mit dem Status quo zunächst einmal leben – und müssen mit guten Argumenten überzeugt werden. Für die Union bedeutet das: weniger Dobrindt, mehr Warken.

Wenn „kritische Rohstoffe“ zur Waffe werden

Welthandel China nutzt gezielt die Abhängigkeiten der europäischen Wirtschaft von manchen Ressourcen als Druckmittel. Die EU will das nicht länger hinnehmen und steuert dagegen.

Brüssel. Europa ist von China gefährlich abhängig. Die Führung in Peking kann mit einem Machtwort die Industrieproduktion in wichtigen Bereichen ins Wanken bringen. Wie groß die Bedrohung ist, zeigen die aktuellen Lieferengpässe beim niederländischen Chip-Hersteller Nexperia, dem weltgrößten Anbieter einfacher Halbleiter wie Dioden oder Transistoren.

Die Regierung in Den Haag hatte in einem ungewöhnlichen Vorgang die Kontrolle über das Unternehmen übernommen, das zum chinesischen Wingtech-Konzern gehört. Offenbar sollten damit Strafmaßnahmen der USA vermieden werden. Dort steht Wingtech auf der Sanktionsliste. Peking belegte die Nexperia-Produkte daraufhin mit einem Exportstopp. In der Folge warnte unter anderem der Verband der Europäischen Automobilhersteller vor einem akuten Mangel an Chips.

Diese Eskalation wirkte in Brüssel wie ein allerletzter Weckruf. Über Jahre wurden die Warnungen vor dem zu großen Einfluss Chinas in diplomatische Floskeln verpackt – das hat nun ein Ende. „Wenn man bedenkt, dass wir mehr als 90 Prozent unseres Bedarfs an Magneten aus Seltenen Erden durch Einfuhren aus China decken, sieht man, welche Risiken hier für Europa und seine strategisch wichtigsten Industriesektoren bestehen“, betonte die EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen am Wochenende bei der Konferenz „Berlin Global Dialogue“.

Sie kündigte einen Plan namens RESourceEU an: „Ziel ist es, unserer europäischen Industrie kurz-, mittel- und langfristig den Zugang zu alternativen Quellen für kritische Rohstoffe zu sichern.“ Eine Maßnahme sei das Recycling, um wertvolle Rohstoffe zurückzugewinnen. Zudem sollen neue Partnerschaften geschlossen werden, etwa mit der Ukraine, Australien, Chile oder Kanada.

Seit einigen Wochen herrscht zwischen der EU und China ein offen ausgetragener Handelsstreit um Seltene Erden und Halbleiter. Peking hatte Anfang Oktober seine Exportkontrollen für Seltene Erden verschärft. Jetzt benötigen Unternehmen eine Genehmigung der Behörden, wenn sie Maschinen und Technologien für Abbau und Verarbeitung der Materialien aus China exportieren. Für ausländische Unternehmen gelten zusätzliche Einschränkungen: Sie brauchen auch eine Genehmigung für den Export von Produkten, die Seltene Erden enthalten.

Beide Seiten versichern, dass man daran arbeite, die Differenzen beizulegen. So wird EU-Handelskommissar Maros Sefcovic in diesen Tagen den chinesischen Handelsminister Wang Wentao in Brüssel empfangen. Bei dem Treffen soll es um „dringende Lösungen“ im Zusammenhang mit den chinesischen Exportbeschränkungen gehen.

Europa müsse angesichts der fundamentalen Umwälzung in der Welt grundsätzlich umdenken, forderte nun von der Leyen. „Ob es um Energie geht oder um Rohstoffe, Verteidigung oder Digitales: Europa muss seine Unabhängigkeit anstreben.“

Bund geht gegen „Sklaverei“ vor

Menschenhandel Im Nagelstudio, auf dem Bau, im Bordell: Die Justizministerin will Deutschland als „Tatort“ unattraktiver machen.

Berlin. Die Bundesregierung verstärkt ihren Kampf gegen internationalen Menschenhandel und sexuelle Ausbeutung. Diesem Zweck dient der Referentenentwurf eines neuen Gesetzes, den Justizministerin Stefanie Hubig (SPD) vorgelegt hat. Strafrahmen sollen erhöht, die Tatbestände erweitert und bereits die Nachfrage nach Dienstleistungen von ausgebeuteten Menschen umfassend unter Strafe gestellt werden. Insgesamt sollen Täter auf diese Weise besser zur Rechenschaft gezogen werden können.

„Bislang kommen Menschenhändler zu oft ohne Strafe davon“, sagte die Ministerin bei der Vorstellung des Entwurfs, der nun den Bundesländern und Verbänden zur Stellungnahme vorgelegt wurde. Menschenhandel sei „moderne Sklaverei“. Deutschland sei „Tatort“, sagte Hubig, „im Bau, in der Pflege und im Bereich der Zwangsprostitution.“

Der Vorstoß beruht auf zwei Impulsen: Er stellt die Umsetzung einer EU-Richtlinie dar, geht aber in wichtigen Teilen darüber hinaus. Vor allem aber reagiert der Entwurf auf eine vom Ministerium in Auftrag gegebene wissenschaftliche Evaluation der geltenden Rechtslage. Das damit beauftragte Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen kam darin bereits 2021 zum bedenklichen Ergebnis: Es habe sich gezeigt, „dass der Gesetzgeber das Ziel, die strafrechtliche Bekämpfung des Menschenhandels zu verbessern, bislang nicht erreicht“ habe.

Verdoppelung der Strafe

Die Justizministerin zieht daraus die Konsequenzen. Der Gesetzentwurf sieht die Heraufsetzung der Strafrahmen vor. Für den Grundtatbestand des Menschenhandels soll beispielsweise zukünftig eine Höchst­freiheitsstrafe von zehn Jahren statt bisher fünf Jahren gelten. Eine zehnjährige Freiheitsstrafe wäre in besonders schweren Fällen möglich, zum Beispiel, wenn Gewalt oder eine Entführung nachgewiesen werden kann oder das Opfer minderjährig ist.

Der Gesetzentwurf sieht auch erstmals eine Nachfragestrafbarkeit in Bezug auf alle Ausbeutungsformen des Menschen­handels vor. Bislang gab es derlei in Bezug auf Menschenhandel nur, soweit es um die Inanspruchnahme von sexuellen Dienstleistungen geht. Künftig soll sich aber grundsätzlich strafbar machen, wer andere Dienstleistungen von Personen in dem Wissen in Anspruch nimmt, dass diese Personen ausgebeutet werden. Die Ministerin gibt als Beispiel für die Anwendung des geplanten Gesetzes die wissentliche Inanspruchnahme von Diensten ausgebeuteter Menschen in Nagelstudios oder auch im Rahmen eines Bauvorhabens an.

Zudem soll der Tatbestand des Menschenhandels auf neue Formen der Ausbeutung ausgeweitet werden. Zukünftig sollen auch die Ausbeutungsformen der Leihmutterschaft, Adoption und Zwangsheirat erfasst sein.

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