Pleitewelle rollt durchs Land

Konjunktur Die Insolvenzzahlen sind so hoch wie seit 20 Jahren nicht mehr. Experten sagen: Es ist normal in einer Marktwirtschaft, dass Unternehmen verschwinden, die nicht funktionieren.

Die Lage der Wirtschaft ist schlecht. Dabei fällt immer wieder eine Zahl auf: die der Insolvenzen, die sich auf ihrem höchsten Niveau seit 20 Jahren bewegt. Zuletzt waren es laut Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) jeden Monat deutlich mehr als 1400 Unternehmen, deren Pleite durch ein Insolvenzgericht bekanntgemacht wurde. Nicht nur eine monatliche Steigerung gibt es, auch sind es deutlich mehr als im September 2024. Gravierender ist der Vergleich sogar zum Vor-Corona-Niveau: Jetzt sind die Insolvenzzahlen 64 Prozent höher als in einem durchschnittlichen September der Jahre 2016 bis 2019.

„Grundsätzlich kommen und gehen Unternehmen, das ist ein normaler Rhythmus in der Wirtschaft“, erklärt Hanna Hottenrott, die am Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung den Bereich „Innovationsökonomik und Unternehmensdynamik“ leitet. Auch vor Corona gab es Insolvenzen, „also angemeldete Verfahren von Unternehmen in ernsthaften Zahlungsschwierigkeiten. Allerdings lag damals die Größenordnung bei 5000 bis 10.000 im Jahr“, erklärt die Wirtschaftsprofessorin an der TU München, die auch im Wissenschaftlichen Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums sitzt.

„Es ist total wichtig, dass Firmen, die nicht funktionieren, aus dem Markt gehen“, sagt Steffen Müller, Leiter der Insolvenzforschung am IWH. Gerade in Zeiten des Fachkräftemangels sollten Arbeitskräfte bei zukunftsfähigen Unternehmen arbeiten, damit diese wachsen können, und nicht bei nicht-wettbewerbsfähigen Firmen – „so funktioniert Marktwirtschaft“. Betroffen sind laut Müller, der auch Wirtschaftsprofessor an der Uni Magdeburg ist, vor allem Personen- und Kapitalgesellschaften, „bei Solo- oder Kleinstunternehmen ist der Anstieg nicht so ausgeprägt zu beobachten“. Seien traditionell vor allem die Baubranche und der Handel betroffen, bleibe nun keine Branche verschont. Etwas häufiger als andere seien es aber nach wie vor Betriebe im Bau- und Wohnungswesen. „Nicht in der Statistik sind die Betriebe, die freiwillig schließen, also die aus anderen Gründen als Zahlungsschwierigkeiten schließen“, erklärt Ökonomin Hottenrott. „Das ist die große Mehrheit übrigens, nur etwa zehn Prozent der Schließungen sind Insolvenzen geschuldet. Öfter finden sich keine Nachfolger, es fehlen Arbeitskräfte, die Nachfrage für ein Produkt sinkt …“ Für die Insolvenzen seien die Gründe auch vielfältig, die Zollthematik und allgemein geopolitische Verschiebungen träfen exportorientierte Firmen, dazu kämen Steigerungen der Arbeits-, Material- und Energiekosten für alle Branchen, so Hottenrott.

Für sie und Müller ist die gesamtwirtschaftliche Situation entscheidend, auch wenn teilweise noch Corona-Nachholeffekte wirkten. „Gerade in Deutschland erhielten besonders viele unproduktive Unternehmen Corona-Hilfen. Das überrascht nicht, dass die in den letzten Jahren umgefallen sind, wenn Hilfen ausbleiben und die Wirtschaftslage schlecht ist“, erklärt Insolvenzforscher Müller. Für ihn werde noch ein Faktor aber zu oft ausgeblendet: die Zinspolitik: „Durch die Niedrigzinspolitik sind gewissermaßen Zombieunternehmen entstanden. Viele Firmen überlebten nur, weil sie sich billig verschulden konnten und ihre schlechten Geschäftsmodelle gerade so überlebten.“ Als die Europäische Zentralbank die Leitzinsen angezogen habe, führten die teuren Kreditkosten viele Unternehmen in den Ruin. Das kann Folgeeffekte haben: Einerseits bleiben andere Firmen auf ihren Kosten sitzen, wenn Firmenkunden insolvent gingen, auch sei theoretisch eine Bankenkrise bei hohen Insolvenzzahlen denkbar, so Müller. Allerdings beobachte man noch keine massiven Kreditausfälle. Und „dass Unternehmen nun wie die Dominosteine umfallen, das sehe ich eher nicht“, sagt er.

Nachrücker sind wichtig

Hottenrott zufolge würde es dann brenzlig, wenn zu wenige neue Unternehmen nachrückten – schon jetzt gehe generell der Unternehmensbestand leicht zurück – dazu kämen schwierige Bedingungen für Neugründungen. Deshalb fordert sie von der Politik, Unsicherheitsfaktoren wie in Bezug auf die Energiepreisentwicklung zu reduzieren und andererseits Markteintritte zu ermöglichen, indem Gründungen vereinfacht werden.

Auch Müller sagt: „Die Forscher, die vor wenigen Tagen den Wirtschaftsnobelpreis bekommen haben, zeigen es eigentlich gut: Es braucht Innovationsdynamik, um die Wirtschaft am Laufen zu halten. Leider ist die deutsche Wirtschaft keine, die sich schnell ändert oder in der leicht gegründet werden kann.“ Gründungen zu erleichtern, wäre zwar ein Schritt – „aber wir brauchen gute Gründungen. Im Prinzip kleine Elon Musks – von seiner politischen Einstellung einmal abgesehen“, so Müller. „Doch noch entscheidender als ein Abbau von Hürden seitens des Staates ist die Verfügbarkeit von privatem Venture Capital, also Wagniskapital für Gründungen.“

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Alles außer Disruption

Das deutsche Wirtschaftsmodell war lange erfolgreich. Aber die weltweiten und ökonomischen Umbrüche erfordern eine radikale Umstellung. Das allerdings können wir nicht so gut. Hoffnungslos ist die Lage deswegen nicht.

Ehe Baden-Württemberg „The Länd“ wurde, warb es viele Jahre für sich mit dem Slogan: „Wir können alles. Außer Hochdeutsch.“ Das war so gelungen, dass der Spruch bis heute in zahllosen Varianten fortlebt. Mit Blick auf die deutsche Gesamtsituation hier also ein neuer Vorschlag: „Wir können alles. Außer Disruption.“

Denn immer deutlicher zeigt sich, welche Schwierigkeiten „The Länd“ und auch alle anderen Bundesländer sowie überhaupt Wirtschaft, Bürger und Republik mit den aktuellen Umbrüchen haben. Das hat mit unseren spezifisch deutschen Fertigkeiten zu tun, unseren Traditionen und unserer Mentalität. Das Gute daran ist: All das lässt sich ändern. Und zu spät ist es auch nicht. Das war übrigens auch ein Teil der Botschaft, die sich das Bundeskabinett bei seiner Klausur in der Berliner Villa Borsig vor einigen Wochen von dem Ökonomen Markus Brunnermeier erklären ließ.

Tatsächlich war das deutsche Geschäftsmodell sehr lange sehr erfolgreich: Billige Energie, eine stabile Weltordnung und hohe Qualität „made in Germany“ sicherten Absatz weltweit und entsprechende Gewinne hierzulande. Blöd allerdings, dass diese Aussage nur noch in der Vergangenheitsform uneingeschränkt richtig ist. Die billige Energie jedenfalls ist vorerst futsch und die stabile Weltordnung auch.

Beides wird sich auf absehbare Zeit auch nicht zurückholen lassen: Selbst wenn Russlands Präsident Wladimir Putin und sein Angriffskrieg gegen die Ukraine und damit Sanktionen und Boykotte eines Tages Geschichte sein sollten – fossile Brennstoffe aus russischen Böden sind kein Modell für die Zukunft mehr. Und selbst wenn die Amtszeit von Präsident Donald Trump und die erratische US-Handelspolitik eines Tages enden sollten – andere Staaten haben sich längst aufgemacht, mitzumischen beim großen Spiel um Macht und Geld.

Aber nicht nur die weltweiten Umstände, auch der wirtschaftliche Umbruch selbst fordert Deutschland heraus. Denn was wir hierzulande immer besonders gut gemacht haben, ist die Verfeinerung von Produkten. So lange am Verbrennermotor schrauben, bis es nirgendwo mehr einen besseren gibt. So lange an Fensterrahmen feilen, bis da wirklich kein Zuglüftchen mehr durchweht. So lange an Maschinen hämmern, bis sich die ganze Welt um die Anlagen reißt. Im – sozusagen linearen – Veredeln des Vorhandenen sind wir unschlagbar, in disruptiver Innovation leider nicht.

Das Ganze ist aber alles andere als hoffnungslos. So schlecht ist Deutschland für die Zukunft nicht aufgestellt. Die Grundlagenforschung gehört immer noch zur Weltspitze, Experten schwärmen vom Netzwerk und vom Niveau der republikweit verteilten Institute wie Helmholtz und Fraunhofer. Die duale Ausbildung wird weltweit kopiert. Und das System der Familienunternehmen erschwert mitunter zwar die Steuerpolitik, ist aber eigentlich bestens für schnelles wirtschaftliches Umsteuern geeignet.

Wenn fortan also neben Auto- und Maschinenbau auch Biotech und Künstliche Intelligenz zu unseren Spezialgebieten gehören, dürfte es gute Aussichten auf eine gute Zukunft geben in „the Deutschländ“.

leitartikel@swp.de

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Facette der Bildungsmisere

Schwarz-Rot will das BaföG reformieren, doch mit Priorität treibt die Koalition dies nicht voran. Dabei zeigt sich, dass es nicht nur um die finanzielle Unterstützung Studierender geht, sondern gute Bildungschancen eine Querschnittsaufgabe ist.

Junge Menschen haben in unserer Gesellschaft keine starke Lobby. Es ist deshalb kein Zufall, dass im Bundestag mit Hingabe über die Altersvorsorge gestritten wird. Unzufriedene und in ihrem Protest gut organisierte Rentner können Wahlen entscheiden. Die Jungen stehen dagegen mit ihren Problemen eher allein.

Ein Wechsel des Fokus ist überfällig. An der Frage, ob es uns gelingt, einen möglichst breiten Zugang zu akademischer Bildung zu ermöglichen und dabei niemanden aus sozialen Gründen auszugrenzen, entscheidet sich die Zukunftsfähigkeit unseres Landes, das mehr denn je auf Innovation und wissenschaftliche Exzellenz angewiesen ist.

Dass das BAföG bei immer weniger Studierenden ankommt, ist nur eine kleine Facette der Bildungsmisere. Bildungsstudie um Bildungsstudie bescheinigt uns, dass unser Schulsystem nicht durchlässig genug ist. Bildungserfolg – auch der akademische – hängt eben doch vom Geldbeutel der Eltern ab. Die Zahl der Studierenden aus nicht-akademischen Familien stagniert seit Langem. Das ist keine linke Kampfrhetorik. Talente aus allen Schichten zu finden und zu fördern, entscheidet über die Zukunftschancen unserer Industrie auf den globalen Märkten.

Am Beispiel des BAföG blitzt auf, dass das Thema guter Bildungschancen kein Randthema für Fachpolitiker ist. Es ist eine Querschnittsaufgabe, die alle angeht. Wenn etwa die Mieten in Metropolregionen und Universitätsstädten nicht so drastisch steigen würden, wäre auch das BAföG-Thema erheblich weniger brisant. Auch eine gute Sozialpolitik ist Bildungspolitik. Das gilt auch für die Infrastruktur-Politik. Der bauliche Zustand vieler Hochschulen ist mehr als bedenklich.

„No Kings“: Massenproteste in tausenden Städten der USA

Demokratie Millionen Menschen gehen auf die Straße und stemmen sich gegen den Autoritarismus der Trump-Regierung. Der Präsident reagiert mit Verachtung und versprüht virtuell Fäkalien.

Washington. In den USA sind am Samstag Millionen von Menschen bei den sogenannten „No Kings“-Märschen durch die Straßen gezogen, um gegen den autokratischen Regierungsstil von US-Präsident Donald Trump zu demonstrieren. In mehr als 2700 Städten und Gemeinden protestierten sie gegen die Razzien der Grenzschutzbehörde ICE und die Verletzung von Bürgerrechten, gegen Kürzungen bei der staatlichen Krankenversicherung, den Verwaltungsstillstand in Washington und die Diskriminierung von Transgendern sowie ethnischen Minderheiten.

Bereits im Juni folgten dem Aufruf der „No Kings“-Veranstalter rund fünf Millionen Menschen – dieses Mal schätzten die Organisatoren sieben Millionen Teilnehmer. Sie machten ihrem Zorn in demokratisch regierten Großstädten wie New York, Chicago, Los Angeles, Atlanta und Washington Luft – aber auch in republikanischen Hochburgen, die Trump bei drei aufeinanderfolgenden Wahlen souverän gewonnen hatte. So hing vor dem Rathaus von Boise, der Hauptstadt des US-Staats Idaho – dort hatte der Präsident 2024 mit 67 Prozent der Stimmen einen Erdrutschsieg gefeiert – das Banner: „Demokratie statt Diktatur“. Ähnliche Bilder boten sich in Südstaaten wie Kentucky und Alabama.

Mike Wofford, ein Armeeveteran aus dem Irakkrieg, sprach vielen aus der Seele: „Ich war bereit, für diese Demokratie zu sterben und habe im Krieg ein Bein verloren“, erklärte der Ex-Soldat aus dem republikanischen Oklahoma. „Auf keinen Fall werde ich nun mit dem einen Bein, das ich noch habe, vor einem Möchtegern-König niederknien.“

Trump reagiert mit KI-Video

Die Demonstranten bewiesen Einfallsreichtum. Auf ihren Schildern standen Sprüche wie „Trump lies while America dies“, also „Trump lügt, während Amerika stirbt“. Oder „Macht Orwell bitte wieder zur Fiktion“, eine Anspielung auf den von Schriftsteller George Orwell beschriebenen autokratischen Überwachungsstaat. Junge Menschen hatten auf ihre Transparente geschrieben „Auch meine Großeltern kämpften gegen Faschisten“ oder „In Amerika ist das Gesetz König!“.

Republikaner kritisierten die Demos, bei denen es keine nennenswerten Zwischenfälle gab, als „Hass-auf-Amerika-Proteste“. Trump reagierte auf seine Art – und postete im Internet ein KI-generiertes Video, das ihn als Piloten eines Kampfjets mit der Aufschrift „King Trump“ zeigt. Mit dem Flieger wirft er braunen, an Kot erinnernden Schlamm über Demonstranten ab. In einem zweiten KI-Video ist Trump zu sehen, wie er sich mit königlichen Insignien – Krone, Mantel und Schwert – ausstattet, während demokratische Politiker vor ihm niederknien.

Grüne fordern Angleichung

BAföG Die Unterstützungsleistungen sollen ein Update erhalten, das will auch Schwarz-Rot. Allerdings läuft die Reform schleppend.

Berlin. Die grüne Bundestagsfraktion fordert eine sofortige Reform des BAföG, also der staatlichen Unterstützung für Studierende. Nach den Vorstellungen der Grünen sollen die BAföG-Grundbedarfssätze auf das Niveau des Bürgergeld-Regelsatzes angehoben werden. Dadurch würde sich die Förderung von aktuell 475 Euro auf 563 Euro erhöhen. Zudem müsse die Wohnkostenpauschale dynamisch an das regionale Mietniveau angepasst werden. Ein entsprechender Antrag der Partei wurde am Freitag in den Bundestag eingebracht.

Für die Bundesregierung kommt diese Debatte zu einem heiklen Zeitpunkt. Die Koalition ringt derzeit um das Thema Rente. Das sogenannte „Rentenpaket“ sieht eine Stabilisierung des Rentenniveaus bei 48 Prozent vor. Die junge Gruppe der Union sperrt sich dagegen, dieses Niveau auch über das Jahr 2031 hinaus festzuschreiben. Wenn nun in der BAföG-Debatte der Eindruck entstünde, die Koalition kümmere sich nur um die Bedürfnisse der älteren Generation, wäre das für die Regierung ausgesprochen problematisch.

Dass Handlungsbedarf in Sachen BAföG besteht, ist unbestritten. Es erfüllt seine Ziele nicht mehr. Obwohl 36 Prozent der Studierenden statistisch als armutsgefährdet gelten, erhalten nur noch 11,5 Prozent aller Studierenden BAföG. Die Zahl der BAföG-Geförderten ist im vergangenen Jahr auf den niedrigsten Stand seit dem Jahr 2000 gesunken. Nur noch 612.800 Personen werden gefördert, 3,6 Prozent weniger als im Vorjahr.

Union und SPD hatten sich in ihrem Koalitionsvertrag auf eine Reform geeinigt – aber erst zum Wintersemester 2026/27. Die Wohnkostenpauschale soll dabei zum Wintersemester 2026/27 auf 440 Euro pro Monat erhöht werden. Sie liegt heute bei 380 Euro. Die Sätze sollen regelmäßig überprüft und die Freibeträge dynamisiert werden. Auch der Grundbedarf für Studierende soll in zwei Schritten (je zur Hälfte zu den Wintersemestern ‚27/‘28 und ‚29) dauerhaft an das Grundsicherungsniveau angepasst werden.

Um die Einzelheiten dürfte in der Koalition aber noch heftig gerungen werden. Während die SPD-Bildungspolitikerin Lina Seitzl für eine Absenkung des Darlehen-Anteils des BAföGs eintrat, warnte der CDU-Politiker Joachim Ebmeyer vor falschen Erwartungen. Die Kombination aus Darlehen und Zuschuss sei richtig. Für Studierende besteht die Förderung jeweils zur Hälfte aus Zuschuss und zinslosem Staatsdarlehen. Das BAföG solle „ermöglichen, nicht alimentieren“, sagte Ebmeyer. Es sei kein „unbedingtes Studierenden-Einkommen“.In einem aber sind sich alle einig: Der sehr komplizierte BAföG-Antrag soll vereinfacht und möglichst rasch digitalisiert werden. Die komplizierte Beantragung gilt neben der Angst vor Verschuldung als einer der großen Faktoren, die Studierende abschrecken.

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